Die Fahrt der Argonauten ist vorbei. Und wie geht’s jetzt weiter?
Kurz gesagt: mit Medea.
Nachdem ich in den letzten 10 Folgen geradlinig die Geschichte der Argonauten nachgezeichnet habe, indem ich mich vor allem an Apollonios von Rhodos’ Epos entlang gehangelt habe, tun sich vor uns nun unterschiedliche Wege auf.
Ein Weg führt die Reise logisch und weiterhin linear fort. Das ist auch mein erster Ansatz für die nächste Folge:
Was passiert mit Jason und Medea nach ihrer Ankunft in Iolkos?
Was kann ich in den unterschiedlichen Quellen über diesen Lebensabschnitt der beiden Figuren herausfinden?
Und eine andere Frage leitet mich aber gleichzeitig in eine etwas tiefere Recherche: Wie wird Medea dargestellt? Bzw.: Wann wird Medea wie von wem dargestellt? Und wieso?
Das sind Themen, zu denen es sicher einige Doktor- und Masterarbeiten gibt und ich weiß jetzt schon, dass ich mich an dem Thema totarbeiten könnte. Denn hierzu finde ich schon bei meinen ersten oberflächlichen Nachforschungen unendlich viel Lesestoff.
Für mich bedeutet das jetzt also erst einmal - zwangsläufig - zu reduzieren. Ich will ja eine Folge aufnehmen und keine Doktorarbeit schreiben.
Also, wo liegt aktuell mein persönlicher Wissensstand?

Wer ist Medea für mich bisher?
Sicher wurde das Thema Medea damals in der Schule besprochen, vielleicht im Deutschunterricht, aber ich bin kein Mensch mit besonders gutem Schul-Gedächtnis. Ich kenne Medea vor allem aus meiner Tätigkeit als Schauspielerin.
Medea ist eine dieser Traumrollen für Theaterschauspielerinnen und ich bereue jetzt gerade, dass ich während meiner Schauspielausbildung, in der ich meine Rollen frei und selbständig wählen und erarbeiten durfte, nicht auf die Idee gekommen bin, mich der Medea in szenischer Arbeit zu nähern. Tja, nun ist es zu spät, die Schauspielschule ist vorbei und meine geballte Neugier braucht einen Blitzableiter. Wie schön, dass es diesen Podcast gibt!
Vielleicht bemerkt ihr beim lesen: ich schreibe das hier vor allem, um meinen Kopf etwas zu ordnen, bevor ich mich an diesen großen Bissen mache.
Eine meiner besten Freundinnen kommt aus Südafrika. Sie würde mir jetzt sagen: How to eat an elefant? - Bit by bit. Und bit by bit will ich nun also auch Medea in kleinen Häppchen gut verdaulich aufbereiten. Also, wo war ich? Ach ja: mein Wissensstand.
Ich habe an der Schauspielschule damals eine Kollegin gesehen, die ihre kontemporäre Version der Medea dargestellt hat - düster, kaputt, wütend und depressiv saß ihre Medea in einer Badewanne auf der Bühne und war zerfressen vom Mord an ihren Kindern, den sie entweder in dieser Szene schon begangen hat, oder noch begehen würde - wie gesagt, ich habe kein besonders gutes schulisches Gedächtnis. Ich erinnere mich nur, dass ich das irgendwie affig fand. So aus dem Zusammenhang gerissen schien mir die Darstellung meiner Kollegin eher ihrer Selbstdarstellung als ganz verruchter, tiefsinniger und radikal emotionaler Schauspielerin zu dienen.

Zur Verteidigung meiner Kollegin: sie ist nicht die einzige!
Es ist generell mein Eindruck beim Thema Medea, dass das Motiv der Kindermörderin Medea für unzählige unterschiedliche Meinungen und Darstellungen der jeweiligen zeitgenössischen Nöte benutzt und angepasst wird.
So habe ich Dea Loher’s Manhattan Medea und Christa Wolf’s Medea.Stimmen auch auf meinem Schreibtisch zu liegen. Die habe ich noch nicht gelesen, werde das aber auch tun, denn das sind eben neuere und auch bekannte Versionen des Mythos. Einerseits aus Neugierde: ich will wissen, wie andere Frauen sich dem Thema bisher genähert haben. Und andererseits aus dem Pflichtgefühl (als podcastende Chaos-Tante) heraus, mein allgemeines Wissen über die heutige Wahrnehmung der Figur Medea etwas zu erweitern, bevor ich euch meine Interpretation vorlege.
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Denn in der Argonautika habe ich mich so gut es ging an die Argonautenfahrt-Medea gehalten, so wie Apollonios von Rhodos sie beschreibt. Dieses “Mädchen” Medea weint - vor allem am Anfang - viel.
(Im Podcast habe ich das Weinen übrigens etwas reduziert, weil mich das Motiv der weinenden Jungfrau in zu hoher Dosis einfach langweilt. Da bin ich ganz in meinem eigenen zeitgenössischen Weltbild verankert. Aber natürlich ist noch genug weinende Medea im Podcast übrig, um das Bild nicht komplett zu verzerren. Dass Apollonios von Rhodos in seiner Argonautika Jason als zaghaften und unentschlossenen Anführer darstellt, finde ich, nebenbei gesagt, sehr spannend!)
Am Anfang ist Medea also das unschuldige weinende Mädchen, das durch einen Kniff der Götter dazu gezwungen wird, sich ausgerechnet in Jason zu verlieben.
Dadurch macht Medea sich im Argonauten-Epos bereits in mehrerlei Hinsicht schuldig:
Sie hintergeht das eigene Elternhaus, indem sie Jason mit ihrer Magie zum goldenen Vlies verhilft.
Sie flieht auf dem fremden Schiff.
Als die Männer ihres Vaters sie einholen, hilft Medea Jason, ihren Bruder Absyrtos zu töten und
ohne regelkonforme Bestattung zu verscharren.
Das Bild der Medea pendelt zwischen der verfolgten und ängstlichen Jungfrau, und der wehrhaften Zauberin und Frau hin und her, die auf ihrem gerechten Schutz durch Jason und die Argonauten besteht und nicht zögert, ihm die Leviten zu lesen, sobald er auch nur kurz daran denkt, sie auszuliefern.
Dann heiratet Medea Jason, nachdem Kirke sie beide von ihrer Mordschuld gereinigt hat. Von nun an ist sie keine ängstliche Jungfrau mehr, sondern ganz die Frau, die Zauberin, die auf der letzten Etappe der Reise den Riesen Thalos verhext und damit wieder den Argonauten tatkräftig zur glücklichen Heimfahrt verhilft. ( → Folge 51 ) (Si apre in una nuova finestra)
Diese tatkräftige und etwas unheimliche Zauberin Medea ist das letzte Bild, durch das Apollonius von Rhodos Medea beschreibt und das nachhallen wird, während ich andere Werke zu Medea lese. Denn aus dieser Frau wird im Anschluss an die Argonautenfahrt die sagenumwobene Mörderin Medea werden. Und ich bin gespannt, was die alten Schriften Ovids, Euripides’ und Apollodors so hergeben, um ein komplexes Bild dieser Frau zu zeichnen.
Ich hoffe ihr seid genau so gespannt wie ich.
Eure Sophia.
Mögen die Götter - auch in den nächsten Folgen - mit uns sein.