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Leben auf dem Land - Frühling: hell und leuchtend

Zurück im November. Oder war es Oktober? Ich weiß es nicht mehr, denn an einen recht regnerischen Sommer schloss sich ein ebenso nasser Herbst an. Und dann ein Winter – Wolkenverhangen und Grau. Obwohl es hier im Norden nur selten schneit, hofft man dennoch, dass etwas weiße Pracht ihren Weg hierher findet. Alles wird langsamer und ruhiger, der Schnee dämpft nicht nur Geräusche, sondern beruhigt ganz plötzlich die eigenen Gedanken und Handlungen. Kommen Ostwinde hinzu, lässt klare kalte Luft einen durchatmen und sich lebendig fühlen, eingehüllt in dicke Schals und Jacken. 

Aber dieser Winter war das Gegenteil. Tiefe, graue, regengetränkte Wolken lagen über den bewaldeten Berghängen. Tag für Tag. Es war nicht mal sonderlich kalt, nur sehr ungemütlich. Etliche Abende vor dem Kamin waren zunächst winterlich heimelig. Aber irgendwann wurde es zu einem Ort, an dem man vom Frühjahr träumt. Von Sonnenstrahlen auf der Haut und leichtem, warmen Wind im Gesicht. Keinen starken Sturm, mit tosenden Böen, Regen umherpeitschend. 

Irgendwann schlug dieses Wetter aus Dauergrau, Wind und Regen auf mein Gemüt. Ganz langsam machte sich eine innere Unzufriedenheit breit, welche sich einfach nur nach etwas Licht, Sonne und Wärme sehnte. Für gewöhnlich bin ich kein Mensch der Hitze sehr mag und raues Wetter immer mal wieder gern hat. Regentropfen im Gesicht verbreiten ihr ganz eigenes Glück. Zunächst will man nicht raus, aber einmal im strömenden Regen angekommen, während man total durchnässt, verleiht es mir immer ein fluchendes Lächeln. Aber nach Wochen oder eher Monaten des Regens ist auch das vorbei. Und so sehnte ich mich nach Mittelmeerwärme. Ich hatte unbelaubte Bäume und Matsch satt. Wandern ist schön, auch im Winter, aber irgendwann sieht alles gleich aus. Bäume sind braun, der Boden ist braun, alles ist Matsch. Der Himmel grau-blau-weißlich verhangen. Nicht diese Art von grau-blau-weißlich die neben strahlendem Himmel ein Gewitter und das Freisetzen gewaltiger Energie ankündigt. Einfach eine einheitliche Masse.

So kam es, dass ich zum ersten Mal begann Vitamin D zu nehmen und so wenigstens eine leichte Stimmungsaufhellung spürte. Mir fehlte die Sonne also nicht nur im Geiste, sondern tatsächlich. Ein doch beruhigendes Gefühl, dass die schlechte Gemütslage nicht nur ein mentales Stimmungstief ist. Dennoch wurde es nicht ganz besser und rückblickend kann ich mich kaum an diesen Winter erinnern. Als hätte mein Kopf ihn ausgeblendet, in freudiger Hoffnung auf bessere Zeiten. 

Winter auf dem Land ist etwas Schönes und zugegeben mit Winter der Stadt verbinde ich meist nur dreckige, nasse Gehwege voller Kaugummiflecken, noch mehr Grau in Grau dank der vielen, dicht gedrängten Häuser und schmuddelige Ecken, über die man nun nicht mehr hinweg gucken kann. Da ist mir das Leben auf dem Land, wo die Wege Pfützen übersäht und matschig sind und das Leben selbst in einen kleinen Winterschlaf verfällt, deutlich lieber. 

Nun steht jedoch das Frühjahr vor der Tür. Als die ersten Veilchen im Dorf begannen zu blühen und die Vögel lauter zwitscherten, war mir bewusst, dass es bergauf geht. Die Sonne tauchte plötzlich wieder auf, sogar für mehrere Tage! Es gab diesen inneren Sog, ganz dringend in den Garten meiner Mutter zu müssen, um dort Rosen auszupacken und tote Sträucher abzuschneiden. So ein bisschen wie Frühjahrsputz im Garten. Alles aufwecken, damit auch die letzte Pflanze verstand, dass es nun losgeht. Aber natürlich ging sehr lange erstmal nichts los, weil es weiterhin viel zu kalt war. 

Die Natur ließ, ganz versunken in sich selbst, mal wieder auf sich warten. Ließ die Bedürfnisse eines Menschen außer Acht und machte, wie es ihr beliebt. Also im eigenen Rhythmus, ganz langsam. Ein wenig bewundert man sie ja dafür. Ganz gleich, wie man sich fühlt und was man sich wünscht: Die Natur macht einfach, wie sie das möchte und wie sie es seit Jahrtausenden macht. Die Jahreszeiten sind wie die Gezeiten der Meere. Immer gleich und doch jedes Mal anders. Mal kommt der Frühling schnell, rasant, wie eine Springtide angerauscht, alles fließt über und schon ist der Sommer mit voller Hitze da. Dann wieder braucht er lange und ist langsam, wie die zurückkehrende Flut im Watt. Hier ein Rinnsal voll kleiner, grüner Spitzen, dort das erste Sprudeln kleiner Blüten und kaum einen Augenschlag später ist alles grün, aber es dauert wiederum ein Weilchen, bis der Sommer vollends Einzug hält. 

So ist es jetzt. Langsam, aber sicher taucht immer mehr Grün auf, die Bäume im Wald zeigen nicht mehr nur angeschwollene Astspitzen, sondern kleine Blätter. Die Sonne scheint häufig, Vögel zwitschern und sammeln kleine Äste zusammen. Am Vogelhäuschen auf dem Balkon kommen sie trotzdem weiterhin vorbei. Es wird wieder lauter im Dorf, zwischen den Feldern sind mehr Menschen in der Ferne zu sehen und im Dorf wird häufiger wieder über die Gartenzäune ein kurzes Gespräch gehalten. Mit dem Grün kommen auch die Menschen zurück, die Lebendigkeit in den im Winter versunkenen Ort. 

Aber so ganz realisiert habe ich es noch nicht. Dieser Winter hat mich mitgenommen. Monatelanges Grau lässt einen nach Sonne und Grün und Lebendigkeit sehen, aber wenn es dann da ist, ist es schwer zu begreifen. Wird es wirklich Frühjahr? Im Wald ist in tiefen Ecken noch ein Rest Dunkelheit, ja gar Feuchtigkeit, klamm und kriechend, zu spüren. Man riecht es, fühlt es. Doch blickt man sich um und schaut auf hellgrüne, im Sonnenlicht leuchtende Blätter ist man vollkommen erstaunt. Das braun-matschige verändert sich und wird hell-leuchtend. Es ist greifbar nah und trotzdem scheint mein Kopf ebenso langsam wie die Natur zu erwachen. Zu begreifen, dass Leben zurück ist. Das Gewimmel in den Gärten, summende Töne über dem Zaun. Abends fliegen bald wieder Schwalben durchs Dorf und verwandeln es in die Idylle pur. Es ist auf dem Weg, es ist sogar da, nur begreifen kann ich es noch nicht. Vielleicht braucht auch der Geist einen Frühjahrsputz, um ihn wach zu rütteln?