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Böhnchen und Wimmelbild

Von Hasnain Kazim - Bohne / “Gorch Fock” / Niki Glattauer / Amazon

Liebe Leserin, lieber Leser,

vergangene Woche sind die “Erbaulichen Unterredungen” erstmals in ihrer langmonatigen Geschichte nicht erschienen. Prompt rief meine Mutter an, um mich zu fragen, ob mit ihrem Computer etwas nicht in Ordnung sei. Ich bekam Zuschriften auf unterschiedlichem Wege, in denen nachgefragt wurde, was los sei, ob alles in Ordnung sei, ob man mir irgendwie helfen könne. Eine Leserin schrieb auf “X”, ehemals Twitter, die “Erbaulichen Unterredungen” seien eingestellt worden.

Nun, das stimmt nicht. Aber es war mein Fehler, nicht wenigstens eine kurze Nachricht zu schicken, dass sie nicht erscheinen. Ich hatte am vergangenen Montag nämlich Abgabetermin für ein Buchmanuskript, und da habe ich in den Tagen davor noch intensiv dran gewerkelt und keine Zeit für etwas anderes gehabt. Jetzt bin ich fertig, jedenfalls mit der Rohfassung, und nun kann ich mich wieder auch anderen Dingen widmen.

Heute also wieder, wie gewohnt zur üblichen Zeit am Sonntagmorgen, die “Erbaulichen Unterredungen”!

Happy Bohne!

Ende August haben wir gefeiert: Mein Hund, Frau Dr. Bohne, ist seit drei Jahren bei uns! Und ich kann sagen: Das ist wirklich ein Grund zum Feiern! Zum Jubiläum gab es einen Stoffkrebs - ihr absolutes Lieblingsspielzeug, seit langem schon. Es ist ihr dritter oder vierter, den sie zerfetzen darf. Sie liebt das!

Eigentlich ist jeder Tag mit ihr ein Fest. Ich will nicht dafür werben, sich einen Hund zuzulegen, das ist eine verantwortungsvolle Sache, die viel Zeit und Aufmerksamkeit und Fürsorge und auch Geld kostet und die gut überlegt sein will. Für mich kann ich sagen: Es ist das Beste, was mir passieren konnte!

Böhnchen, nachdenklich.

Im Grunde genommen wollte ich immer schon einen Hund. Als Kind ging das nicht, weil meine Eltern dagegen waren - aus nachvollziehbaren Gründen, denn die Arbeit wäre letztlich an ihnen hängen geblieben, da kann man als Kind noch so oft versprechen, dass man sich kümmern werde. Später passte es aus beruflichen Gründen nicht, die Umzieherei während der Marinezeit, das wechselhafte Journalisten- und Korrespondentenleben… Aber jetzt passt es!

Überall schon hatte ich stets einen Überblick über das Angebot der jeweiligen Tierheime. Überall hatte ich die Namen und Telefonnummern der Züchter, die mich interessierten. In Hamburg, in Heilbronn, in Islamabad, in Istanbul, in Wien. Ich war nie festgelegt auf einen Hund vom Züchter oder vom Tierheim, mir war immer klar: Der Hund findet einen. Am liebsten hätte ich einen Rhodesian Ridgeback gehabt, die mag ich immer noch sehr gerne. Aber dafür sollte man ein großes Haus, einen Hof und am besten Wiesen, Felder, Wälder in seiner Nähe haben.

Frau Dr. Bohne sahen wir - meine Familie und ich - auf der Homepage des TierQuarTiers, dem Tierheim in Wien (Si apre in una nuova finestra). Sie war einer von drei Hunden, die uns gefielen, aber die anderen beiden erforderten Hundeerfahrung, wie man uns sagte, anders als Bohne. Bohne, so hatte eine Mitarbeiterin des Tierheims sie genannt und so wurde sie auf der Homepage bezeichnet. Wir dachten zuerst: Seltsamer Name, wir werden einen anderen wählen, sollten wir sie nehmen. Aber dann sahen wir sie, und es war klar: natürlich Bohne! Und da man in Wien wert legt auf Titel, fügten wir den Doktortitel hinzu. Für die Öffentlichkeit ist sie also Frau Dr. Bohne, wir nennen sie Bohne, Bohni, Bohnshi, Böhnchen, Bohnita. Sie hört auf alle diese Namen.

Sie versteht eh viel mehr, als wir glauben. Sie kennt meine Laune, noch bevor ich ein Wort gesagt habe. Sie weiß aufzumuntern, zu trösten, zu sagen: “Hey, das ist alles nicht so wichtig, das hier ist viel wichtiger!”, und dann zeigt sie einem, wie das Leben funktioniert. Und wenn ich krank bin, legt sie sich zu mir und tröstet mich. Überhaupt: Sie kuschelt gerne, obwohl sie ein Deutscher Jagdterrier (mit einem gewissen Anteil Rauhaardackel) ist. Sie kann ein richtiges Schoßhündchen sein - und dann wieder, in der Hundezone, wie ein schwarzer Blitz rennen, dass man nur noch eine Staubwolke hinter ihr sieht. Lebensfreude pur.

Irgendjemand hat sie ausgesetzt, da war sie schätzungsweise ein Jahr alt. Angebunden, an einer Autobahnraststätte. Dann hat jemand sie gefunden und im Tierheim abgegeben. Das ist alles so tragisch. Ein einfacher Hund ist sie nicht. Sie hasst andere Hunde. Ebenso laute Lastwagen, laute Motorräder, laute Skateboarder. Mit kleinen Kindern kann sie auch nicht so gut umgehen, reagiert irritiert, wenn sie sie streicheln wollen. Und doch frage ich mich: Wie kann man so mit einem solchen Lebewesen umgehen und es einfach aussetzen? Und dann denke ich: Zum Glück für uns war es so. Sonst hätten wir sie nicht.

Eine fantastische Begleiterin, seit August 2022 schon!

Wimmelbild

Einen Offiziersjahrgang bei der Marine nennt man Crew. Ich gehöre zur Crew VII/94, also zu jenen, die im Juli 1994 ihren Dienst begonnen haben. Wir haben nach wie vor einen Kontakt zueinander, zu manchen mehr, zu anderen weniger, aber zu allen herzlich und kameradschaftlich. Manche sind noch dabei in der Marine, der größere Teil nicht mehr. Alle paar Jahre gibt es ein Crewtreffen.

In den vergangenen Tagen ist ein Foto aufgetaucht von einem Teil unserer Crew, und zwar von einem Unterricht auf dem Segelschulschiff “Gorch Fock”:

Ich musste ein wenig suchen, habe mich dann aber gefunden. (Und lag beim ersten Mal sogar falsch…). Lustigerweise gehen die Kommentare innerhalb der Crew bezüglich der “Gorch Fock” weit auseinander: Manche hassen sie, andere lieben sie. Es gibt sogar einige, die sie am liebsten versenken würden… Ich selbst habe vor vielen Jahren mal für “Spiegel Online” aufgeschrieben, wie ich diese Zeit sehe: “Segeln, bügeln, kotzen” heißt der Text, Sie können ihn hier nachlesen. (Si apre in una nuova finestra)

Vor zwei Jahren durfte ich noch einmal mitfahren für ein paar Tage, und im Wesentlichen hat sich meine Meinung zu diesem Schiff nicht verändert.

Niki Glattauer

Was mich in den zurückliegenden Tagen wirklich beschäftigt und nicht losgelassen hat, ist der Suizid des Journalisten, Autors und Lehrers Niki Glattauer. Der hat zwei österreichischen Journalisten, mit denen er befreundet war, ein Interview gegeben, von seiner unheilbaren Krebserkrankung erzählt, aber auch über Bildung und Politik und von seinem Leben erzählt, und das alles vor dem Hintergrund, dass er in dem Gespräch ankündigte, sich am 4. September das Leben zu nehmen. Assistierter Suizid. Und tatsächlich hat er, der 66-Jährige, das durchgezogen.

In Österreich ist das seit zwei Jahren legal, nachdem der Verfassungsgerichtshof zwar das Verbot der aktiven Sterbehilfe weiterhin aufrecht erhält, das Verbot des assistierten Suizids aber untersagte, woraufhin der Gesetzgeber ein Gesetz schuf, wonach Letzteres unter strengen Regeln erlaubt ist. Man muss unheilbar krank sein, also sterbenskrank, zwei Ärzte müssen das unabhängig voneinander bestätigen und ein Notar muss, nach einer zwölfwöchigen (und im fortgeschrittenen Krankheitsfall zweiwöchigen) Frist, die ab der ersten ärztlichen Begutachtung läuft, eine Sterbeverfügung unterzeichnen. Erst dann bekommt man das nötige Mittel in der Apotheke.

Es gibt weitere Hürden: Keine Apotheke, kein Arzt, kein Notar, überhaupt: niemand ist verpflichtet, Teil des Prozederes zu sein.

Es gab in Österreich nach Veröffentlichung des Interviews, das zu lesen oder auch zu hören oder zu schauen ich empfehle (aber Achtung, es ist harter, belastender Stoff, Sie finden es hier) (Si apre in una nuova finestra), eine rege, aber doch alles in allem konstruktive Debatte. Genau das wollte Niki Glattauer auslösen. Es gab kluge Stimmen (inklusive Glattauers), die für ein würdevolles, selbstbestimmtes Lebensende plädierten, Kritiker, die aus kirchlicher oder anderer ethischer Sicht argumentierten, wiederum andere, die warnten, es erzeuge möglicherweise einen Druck auf andere Kranke.

Es gab auch Kritik an der Vorabveröffentlichung, manche sprachen von “Inszenierung”, kritisierten Glattauer, aber auch die beiden beteiligten Journalisten. Es gab Streit darüber, dass doch schon die Thematisierung einen Nachahmungseffekt (“Werther-Effekt”) haben könne. Ich kann alle möglichen Stimmen nachvollziehen, habe selbst starke Bedenken, verstehe aber auch die Argumentation Glattauers. Für seine Entscheidung habe ich Respekt. Und die Art und Weise, wie die beiden Journalisten - Christian Nusser und Florian Klenk - das gemacht haben, halte ich für richtig und gut.

Glattauers Bruder, der Schriftsteller Daniel Glattauer, teilte am Donnerstag der Nachrichtenagentur APA mit: “Ich möchte all jenen, die am Schicksal meines Bruders Niki Anteil genommen haben, danken und mitteilen: Wir haben im Kreis der Familie einen schönen letzten Abend miteinander verbracht. Wir haben Karten gespielt, gegessen, getrunken, gelacht und geweint. Am Donnerstagvormittag ist er daheim friedlich, entspannt, ohne Angst und ohne Schmerzen vor unseren Augen eingeschlafen. Seine letzte Worte waren: ‘Schön. Wow!’”

Wie gesagt: Mich hat das alles nicht losgelassen. Mich lässt es immer noch nicht los. Und ich finde: In diesem Fall ist Reden besser als Schweigen. Und es wurde, zumindest soweit ich es in den Medien und in den “sozialen” Medien gelesen und gehört habe, sehr konstruktiv und alles in allem doch respektvoll geredet.

Niki Glattauer wünsche ich, dass er in Frieden ruhen möge. Und seiner Familie, dass sie die Kraft finden, das alles zu verarbeiten.

Bei Amazon bestellen oder nicht bei Amazon bestellen…

Vor einigen Tagen war im Magazin der “Süddeutschen Zeitung” ein Text aus der Kolumne “Die Gewissensfrage”. Ich lese die immer gerne. Diesmal fragte eine Frau, die technische Probleme mit ihrem Computer hat (nicht meine Mutter!) und deswegen nichts mehr bei Amazon bestellen kann und nun regelrechte Entzugserscheinungen hat, ob sie weiter dort bestellen solle. Die von mir geschätzte Journalistin Johanna Adorján riet ihr, abstinent zu bleiben.

Ich selbst bestelle hin und wieder Dinge bei Amazon. Manche Dinge kosten dort ein Drittel dessen, was der Einzelhandel vor Ort verlangt. Ich zahle grundsätzlich gerne etwas mehr, wenn ich es vor Ort und gegebenenfalls mit Beratung kaufen kann - aber nicht das Dreifache. Aber muss ja jeder selbst wissen.

Jedenfalls teilte ich den Artikel, den Sie hier lesen können (Si apre in una nuova finestra), und schrieb in den “sozialen” Medien dazu: Man müsste diesen Artikel mal dem durchschnittlichen Bewohner von Bangladesch oder Eritrea oder Venezuela oder überhaupt drei Viertel der Menschheit vorlesen, und an der Reaktion würden wir erkennen, welche Probleme wir haben.

Hui, da kamen einige böse Reaktionen!

Dabei finde ich den Text gut und die Frage der Leserin auch völlig okay. In der “First World” haben wir nun mal “First World”-Probleme, und das ist in Ordnung. Probleme sind immer und überall relativ. Nur sollte man, finde ich, sich dessen ab und zu mal bewusst werden, damit die Dinge nicht völlig aus dem Gleichgewicht geraten.

Ich habe einige Bekannte, die noch nie (!) bei Amazon bestellt haben, weil sie froh sind, wenn sie sich überhaupt die Lebensmittel für die Familie leisten können. Und ich kenne Leute, die müssten mit dem Geld insgesamt auskommen, was andere bei Amazon ausgeben.

Noch einmal: So ist die Welt, und man muss es sich hin und wieder einmal sagen und sich darüber im Klaren sein.

Fakt ist zum Beispiel: Meiner Hündin Frau Dr. Bohne geht es in vielerlei Hinsicht - zum Beispiel ernährungstechnisch und in ihrer medizinischen Versorgung - deutlich besser als vielen Menschen. Hier und da kann ich anderen helfen, an der grundsätzlichen Situation kann ich nichts ändern, und man sollte sich über all das bewusst sein. Auch darüber, was man tun kann und was man nicht tun kann, weil es nichts bringt. Und über all das sollte man zugleich nicht verzweifeln, denn das hilft nun wirklich niemandem! Ein Spagat, I know. Üben wir uns darin.

Ich wünsche Ihnen eine angenehme, schöne, noch halbwegs sommerliche Septemberwoche!

Herzliche Grüße aus Wien,

Ihr Hasnain Kazim

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