Liebevolle Achtziger
Zwei prächtige Wirtschaftsgebäude aus dem 16. Jahrhundert sollten in der Kleinstadt Güglingen schon im Zuge der »Flächensanierung« abgerissen werden, als der Architekt Heinz Rall, der dort um 1975 die Kirche sanierte, eine Chance sah. Über Jahrzehnte fand in Güglingen eine musterhafte Stadterneuerung mit Sanierung, Neubau und öffentlicher Kunst statt – so liebevoll konnten die 80er Jahre sein, wenn man Glück hatte.
https://www.youtube.com/watch?v=O0O0pTr0U3g (Si apre in una nuova finestra)Der renommierte Kirchenarchitekt Rall (Si apre in una nuova finestra) fand in Güglingen seine Heimat und ein Betätigungsfeld für den Rest seines Lebens: die hingebungsvolle Sanierung und Ergänzung des Ortskerns, später auch angrenzender Bereiche. Bis heute merkt man der Stadt eine gewisse Ambitioniertheit an, was das Planerische angeht.
Rall und seine Lebensgefährtin, die Künstlerin Ursula Stock, holten auch eine für die kleine Stadt geradezu verschwenderische Fülle an Kunstwerken nach Güglingen. An jeder Ecke finden sich Objekte teils überregional bekannter Bildhauer:innen. Allein aufgrund dieser ganz besonderen Atmosphäre ist Güglingen schon einen Ausflug wert.
Das Ziel all der Arbeit war natürlich auch eine Belebung der Stadt: In der weitgehend ruinösen Ortsmitte gab es bei Projektbeginn noch zwei Geschäfte. Der Planungsstand von 1994 zeigt auf derselben Fläche zwei Supermärkte, Metzgerei, Drogerie, Schreibwarengeschäft, drei Textilgeschäfte, zwei Gaststätten, einen Juwelier und eine Bank. Heute wiederum ist davon gerade noch die Bank und eine Pizzeria übrig – das zeigt, dass Stadtentwicklung nicht von Architektur allein lebt, ganz gleich, wie liebevoll.
Es gibt einen Bildband Güglingen. Erneuerung einer Stadt (Stuttgart 1995, 100 Seiten), (Si apre in una nuova finestra) der zwar etwas amateuerhaft-chaotisch gestaltet ist und z.B. kein Inhaltsverzeichnis hat, aber wohl mit die beste Quelle darstellt. An der Bürgerbeteiligung zum Stadtentwicklungskonzept 2016 (Si apre in una nuova finestra) ist zu sehen, dass die in den 80ern sanierte und gestaltete Ortsmitte zugleich als wichtigster Identifikationsort und als größtes Problem gesehen wahrgenommen. Wie so oft bleibt es also spannend.
Geh mit anderen Augen durch die Stadt.
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