Befreiung von unten, autoritär von oben
Wer sich auf Palästina-Demonstrationen in deutschen Großstädten begibt, stößt auf rote Gruppen, die sich als links verstehen – und dabei eine politische Praxis pflegen, die mit Emanzipation wenig, mit autoritärem Kaderdenken umso mehr zu tun hat. Allen voran treten marxistisch-leninistische Organisationen auf, diszipliniert, geschlossen, mit Transparenten, die Israel als „zionistisches Kolonialprojekt“ und „Aggressormacht“ sehen.
Zu den Akteuren zählt u.a. die „Jugend gegen Imperialismus“ (Jgl), ein Jugendverband mit Nähe zur „Partei der Arbeit“ (PdA). In ihren Aufrufen schwärmen sie vom „Volkskrieg in Gaza“ und erklären ausgerechnet die islamistische Hamas – eine Organisation, die sich durch Antisemitismus, Frauenverachtung und autoritäre Gewalt auszeichnet – zum legitimen Widerstand. Wer dem widerspricht, wer feministische, jüdische oder universalistisch orientierte Perspektiven einbringt, wird als Störfaktor wahrgenommen, an den Rand gedrängt oder sogar offen bedroht.
Vom Antizionismus zum Antisemitismus
Radikalisierung die auf einem ideologisch verengten Antiimperialismus begründet liegt. In der vereinfachten Weltsicht dieser Gruppierungen stehen sich das allmächtige „Weltkapital“ und der „globale Süden“ gegenüber – Israel wird dabei als verlängerter Arm der USA im Nahen Osten konstruiert. Eine Analyse der konkreten israelischen Gesellschaft, ihrer sozialen Widersprüche, ihrer linken Bewegungen oder ihrer Geschichte findet nicht statt. Stattdessen wird eine geopolitische Projektion mit antisemitischer Tiefenstruktur konstruiert.
Das Bild vom „zionistischen Projekt“ als Vorposten des Westens reproduziert klassische antisemitische Motive.
Jüdinnen und Juden, beziehungsweise der jüdische Staat, erscheinen nicht als politische Subjekte, sondern als Werkzeug einer fremden Macht. Die Vorstellung vom „Weltkapital“ als Feindbild bedient sich einer Chiffre, die historisch antisemitisch aufgeladen ist – ob in der NS-Propaganda oder im „linken“ Antisemitismus des 20. Jahrhunderts. Im Umkehrschluss heißt das, es ist keine Kapitalismuskritik, sondern Mythologie. Die Welt wird in Täter und Opfer, Gut und Böse geteilt – und Israel fungiert als Projektionsfläche für das absolut Böse. Der Holocaust wird dabei mittlerweile wie selbstverständlich relativiert, die Gründung Israels nicht als Folge der Shoah verstanden, sondern als deren Verlängerung. Zionismus gilt nicht als Ausdruck jüdischer Selbstbestimmung, sondern wird als kolonial-imperiale Ideologie diffamiert.
Die Jungle World sprach jüngst von einer „post-autonomen Sehnsucht nach Eindeutigkeit“. Diese trifft den Kern.
Früher wurden Debatten über Strategien und Praxis geführt, heute herrscht ein politischer Stil, der Widerspruch sanktioniert und auf Parolen setzt. Wer sich nicht fügt, wird zum „zionistischen Handlanger“ erklärt. Das trifft nicht nur jüdische Gruppen, sondern auch all jene, die an universalistischer Solidarität festhalten. Innerhalb dieser Szenen funktioniert Kritik nicht zur Selbstreflexion politischer Entwicklung, sondern als Angriff auf die Gemeinschaft. Organisatorisch zeigt sich das in den geschlossenen Strukturen, die an Parteikader erinnern. Die Praxis ist autoritär, der Ton martialisch. Erstaunlich ist, wie sehr sich diese Gruppen dabei identitätspolitischer Rhetorik bedienen – in ihrer autoritärsten Form. Der jüdische Staat wird ethnisiert und dämonisiert, das jüdische Kollektiv als strukturell unterdrückend markiert. Dass es in Israel arabische Gewerkschafter, queere Aktivistinnen, antizionistische Linke und eine streitbare Öffentlichkeit gibt, interessiert nicht. Die Komplexität wird zugunsten eines eindeutigen Feindbildes ad acta gelegt. Was genau an dieser Praxis noch als „links“ gelten soll, bleibt unklar.
Wer autoritären Islamismus legitimiert, wer antisemitische Narrative verbreitet und Kritik mit Rassismusvorwürfen abwehrt, verabschiedet sich aus jeder emanzipatorischen Tradition.
Solidarität meint hier nicht die Unterdrückten, sondern die, die sich auf der 'richtigen Seite' der Geschichte wähnen. Wer Kritik zur moralischen Verfehlung erklärt, braucht keine Argumente mehr – nur noch Feindbilder.
Der reflexartige Vorwurf, antideutsche Linke seien „rechts“ oder „rassistisch“, weil sie sich dem autoritären Antizionismus entgegenstellen, bedient die gleiche Logik, mit der Trump und Co. ihre Gegner delegitimieren.
Am Ende steht ein Antisemitismus, der sich als Befreiungskampf tarnt – und dabei die Grundlagen linker Politik demontiert. Der Ruf nach Gerechtigkeit ist nichts wert, wenn er von autoritären Stimmen vereinnahmt wird. Wer sich für Palästina starkmacht, aber Antisemitismus duldet oder verbreitet, kämpft nicht für Emanzipation, sondern dagegen.
Wer sich vertieft mit der Thematik auseinandersetzen möchte, dem sei geraten, sich auch mit weiterführenden Quellen und Perspektiven auseinanderzusetzen:
https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/was-heisst-antisemitismus/307887/antisemitismus-im-linken-spektrum/ (Si apre in una nuova finestra)https://jungle.world/artikel/2025/22/bomber-harris-ist-angeschlagen (Si apre in una nuova finestra)