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Weihnachten bringt uns zurück ins Idyll 

GASTKOMMENTAR / PFARRER KLAAS ÜBER WEIHNACHTEN UND WIRTSCHAFT

Zum Feste kommen die Kinder heim - und die Lausitz will sie gleich als Fachkräfte hier behalten. Wir sollten sie nicht mit Niedergangs-Geschichten empfangen, schreibt der Pfarrer von Forst.  

Von Simon Klaas

  1. Dezember 2022

"Für mich ist der Weg nach Weihnachten kein Weg mehr zurück in die Kindheit", schreibt Simon Klaas. Foto: Christian Swiekatowski
"Für mich ist der Weg nach Weihnachten kein Weg mehr zurück in die Kindheit", schreibt Simon Klaas. Foto: Christian Swiekatowski

De Erwartungen an Weihnachten steigen nicht nur Tag für Tag im Advent. Sie werden auch von Jahr zu Jahr größer. Wir erwarten wenigstens dieses eine Mal im Jahr ein harmonisches Fest im Kreise der Liebsten, glücklich und zufrieden - vor allem satt - um den hell erleuchteten Baum. Es gibt Berge von Geschenken, Kinder lachen und alle vertragen sich bestens. Oder so ähnlich. Eigentlich fangen wir nur deshalb schon im September an, Zimtsterne zu kaufen, weil es uns in eine einfachere Zeit zurückbringt. Jene Zeit, als wir noch klein, jung und unschuldig waren - und die Weihnachtswelt voller Zauber war. 

Ähnlich verträumt klingt es, wenn an die Vergangenheit erinnert wird, die die Lausitz mal hatte. Da ist die Wehmut zuweilen grenzenlos. Wie schön war es doch als hier noch ein Kino war und an jeder Straßenecke eine Kneipe. Als täglich tausende Bockwürste in die Betriebe geliefert werden mussten. Und als man als junger Mensch hier noch eine Perspektive hatte. - Es ist das verlorene Idyll, das in der Nachwendezeit verloren ging. Bleiben nur die schönen Erinnerungen.

Jugend zieht es in die Ferne oder in virtuelle Welten

Ob in der Kommunalpolitik, in der Lokalpresse oder in der Kirche: Der Wegzug der Jugend (Si apre in una nuova finestra) wird überall betrauert. Ich schaffe es als Pfarrer vielleicht noch, eine Handvoll Jugendliche über die Konfirmation hinaus zu begleiten. Spätestens mit dem Beginn der Ausbildung ist in den allermeisten Fällen Schluss. Viele verlassen dann ihre Gruppen und Vereine - oder sie ziehen gleich ganz weg. Und wenn es dann noch eine Stadtverordnetenversammlung schafft, sich überregional medienwirksam über ein Jugendzentrum (Si apre in una nuova finestra) zu zerstreiten, das bis heute nicht Realität geworden ist, dann sieht es für diese Jugend doch recht mau aus. So ist es in Forst geschehen - das war keine Sternstunde der kommunalen Demokratie. Corona hat dieser sowieso schwierigen Situation noch die Krone aufgesetzt: Viele Jugendliche haben sich mehr denn je in die eigenen vier Wände oder eine virtuelle Welt zurückgezogen.

Aber es gibt auch Hoffnung. Immer öfter ist die Rede von jüngeren Rückkehrerinnen und Rückkehrern um die 30, die am Anfang des Berufslebens stehen oder gerade eine Familie gegründet haben. Diese Leute versuchen Städte und Arbeitgeber dort abzuholen, wo sie sind - etwa beim Weihnachtsbesuch in der alten Heimat. Nach Weihnachten öffnen wieder die Rückkehrer-Börsen. Dort wird nicht nur mit zahlreichen freien Jobs geworben, es wird auch eifrig mit dem Kindheitsidyll gelockt. 

Doch diese Rückkehrer kommen nicht unbedingt wegen der rosigen Aussichten, sondern trotz aller Unwägbarkeiten heim. Dafür sollte man sich noch nicht gegenseitig auf die Schultern klopfen. Ja, einige werden hier bleiben und einige zurückkommen. Auch meine Kirchengemeinde wird nie ganz ohne Mitglieder sein. Doch ein Grund zum Feiern ist das noch lange nicht. Eine Region braucht etwas mehr als Erinnerungen an die gute alte Zeit oder günstigen Wohnraum, um für Menschen aller Art und allen Alters attraktiv zu sein. 

Traditionshandwerk neben Technologie

Die Weihnachtsgeschichte ist auch alles andere als die heimelige Winterwunderland-Zauberei, zu der wir sie gemacht haben. Es ist die Geschichte einer viel zu jungen Frau, die unter widrigsten Umständen ein Kind erwartet und zur Welt bringt. Es ist auch Martin Luthers Schuld, dass oft nur der Weihnachtskitsch übrig geblieben ist: Um die Heiligenverehrung einzudämmen, hat der Reformator den Geschenkbrauch vom Heiligen Nikolaus auf das Christkind übertragen. Der Anfang war gemacht, sodass bald der Säugling in der Krippe und das Schenken in der Familie im Mittelpunkt standen. Ein Weihnachtsbaum in der Stube war da in gewisser Weise die logische Konsequenz. Denn so wurde die anstößige Geburtsgeschichte Jesu zur Geschichte von der perfekten heiligen Familie. Dieser Geschichte eifern wir nun Jahr um Jahr nach, weil es doch früher auch so war, oder? 

Früher war alles besser, sagt manchmal das Gefühl. Früher war auch hier in der Lausitz alles besser, höre ich oft. Für mich ist der Weg nach Weihnachten seit einigen Jahren kein Weg mehr zurück in die Kindheit. Das war gar nicht so leicht zu akzeptieren, aber heute bin ich froh darum. Mit dem Advent beginnt für mich etwas Neues und mit dem Blick in die Krippe schöpfe ich Kraft für die Aufgaben, die vor mir stehen. Ich wünsche mir auch, dass die Straßen und Orte der Lausitz geschäftiger werden. Ich würde es gern sehen, wenn altes Traditionshandwerk und neue Technologie nebeneinander Wohlstand kreieren. Ein Kino und eine Kneipe für den Feierabend, das wäre ein Traum.

Aber es gibt etwas, das die Lausitz viel dringender braucht, das ist mehr jugendlichem Geist in den Köpfen. Einen optimistischen Blick nach vorn. Die Bereitschaft, sich an Neues zu gewöhnen. Dann bleiben vielleicht wirklich mehr junge Menschen hier. Nur ein bisschen mehr davon - und es wäre wie Weihnachten an jedem einzelnen Tag. 
 

Simon Klaas, 35, ist evangelischer Pfarrer in Forst. Der gebürtige Genfer kam über Greifswald nach Berlin, wo er an der Humboldt-Universität Evangelische Theologie studierte. Nach dem Vikariat südlich von Cottbus blieb Klaas in der Lausitz. Seit Januar 2021 betreut er die Gesamtkirchengemeinde Region Forst.

Argomento Gesellschaft und Kultur