„Wir müssen den Naturschutz aus der rechten Umklammerung reißen“
INTERVIEW / SERGEY LAGODINSKY ÜBER ENERGIEWENDE UND VERTEIDIGUNG
September 2025
Rechtspopulisten nutzen erneuerbare Energien als Mobilisierungshilfe gegen den Strukturwandel, ist der Grünen-Politiker Sergey Lagodinsky überzeugt. Dem müssen die anderen Parteien entschiedener entgegentreten. Auch seine.

Herr Lagodinsky, das Treffen von Trump und Putin in Alaska hat viele in Europa schockiert. Haben wir in den zwei Wochen seither die richtigen Konsequenzen gezogen?
Die sichtbaren Konsequenzen sind richtig. Das waren die in Washington, als Europa da gemeinsam saß mit abgestimmten Positionen. Ergebnisse wird es nicht so schnell geben, wie sich Herr Trump das wünscht. Vize J.D. Vance hat betont, dass er keineswegs proeuropäisch geworden ist. Aber auf die Positionen dieser Administration kann man sich auf Dauer eh nicht verlassen. Wir Europäer haben jedenfalls zu spät gemerkt, dass wir uns um unseren Kontinent selber kümmern müssen. Das betrifft Verteidigung wie auch wirtschaftliche Eigenständigkeit und Energiesouveränität. Ich sehe die Lausitz als Modell, wie unsere Wirtschaftszweige nicht nur grüner sondern auch selbstständiger werden. Insofern ist auch das, was hier geschaffen wird, eine richtige Konsequenz aus der neuen Weltlage.
Was kann die Lausitz beitragen zu einer Lösung im künftigen Umgang mit Russland?
Mit Russland geht man am besten selbstbewusst um, nicht automatisch feindselig. Aber die Abhängigkeit bei der Energie, auf die wir uns eingelassen haben, trug nicht zu friedlichen Beziehungen bei. Wir waren abhängig zu 60 Prozent bei Gas, bei Öl im Osten fast vollständig, übrigens auch bei Kohle zu 50 Prozent. Das dürfen wir nicht als eine herzliche Freundschaft missverstehen. Wir brauchen kein russisches Gas, um mit einem demokratischen Russland der Zukunft gut zusammenzuarbeiten. In der Lausitz zeigt sich, ob wir mit eigenen erneuerbaren Ressourcen aus der Abhängigkeit finden können.
Wenn die ostdeutsche Wirtschaft bezahlbare Energie fordert, klingt das manchmal nach den Verhältnissen von früher, die man sich zurückwünscht. Können Sie das nachvollziehen?
Die billige Energie von früher bezahlen wir heute mit den Milliarden, die wir für Verteidigung ausgeben müssen. Wir haben Russland eingeladen, eine aggressive geostrategische Politik zu machen, die uns jetzt sehr viel Geld kostet. Deswegen ist die Entscheidung der EU, sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen, eine Investition in eine Zukunft, in der wir friedlich und frei von Erpressung leben können. Für mich steht fest: Erneuerbare kosten viel weniger als Gas aus Russland.
Warum haben es die Grünen nicht geschafft, den Ausbau der Erneuerbaren als Konjunkturprogramm für den ländlichen Raum zu verkaufen?
Weil die Grünen - wie viele andere Parteien - bei vielen Themen sehr wenig auf ländliche Räume geschaut haben. Das ändert sich. Ich sehe in Brandenburg viele gute Ansätze für eine grüne Agenda, gerade beim Naturschutz. Was auch zu wenig von uns kommuniziert wurde. Hier geht es um den Fortbestand von Wäldern und Wiesen, dieses Thema der Erhaltung haben wir zu lange in unserer Kommunikation vernachlässigt, trotz eines Grünen-Ministers für Landwirtschaft und Umwelt in Brandenburg, der mit Herz uns Seele dabei war.
Stattdessen sieht sich Naturschutz im Widerstand gegen grüne Klimapolitik. Man sieht das in den kommunalen Parlamenten. Wie konnte es zur Verbrüderung von Naturschutz und Rechts kommen, wenn es gegen den Windpark oder die Batteriefabrik geht?
Wir müssen das Thema Naturschutz aus der rechten Umklammerung reißen. Die Rechtspopulisten sehen solche Vorhaben als Gelegenheit, das als Gegensatz zu den nötigen Veränderungen ins Feld zu führen. Ich beobachte auf dem Land eine Spannung zwischen Veränderung und Erhaltung. Leider haben wir Grünen das Erhaltungsnarrativ zu wenig gespielt. Das hat vielen Menschen das Gefühl gegeben, wir würden Veränderungen betreiben, die ihre Lebensverhältnisse destabilisieren. Dabei geht es um das Gegenteil. Wir wollen nicht die Lausitz zu einem Berlin-Kreuzberg machen, was uns manche vorwerfen. Wir wollen, dass auch die Kinder und Enkel in dieser schönen Landschaft leben können. Das geht nicht, ohne dass sich Dinge verändern. Dafür brauchen wir eine Seewasser-Wärmepumpe wie hier am Ostsee in Cottbus und viele andere innovative Dinge mehr. Es geht darum, die Liebenswürdigkeit von Lausitz und Brandenburg zu erhalten. So verstehe ich meine Mission. Wenn wir das nicht klar genug kommuniziert haben, müssen wir uns verändern.
Wie weit ist die grüne Transformation fünf Jahre nach dem Kohleausstiegsbeschluss geglückt?
Man kriegt die schwierigsten Zielkonflikte nicht weg. Die gibt es zwischen Ausbau der Erneuerbaren einerseits und planerischer Sicherheit oder Naturschutz auf der anderen. Ich bin überzeugt, man kann das lösen. Das Wirtschaftsministerium hat unter Robert Habeck viel getan. Wir sehen jetzt einen deutlichen Kontrast mit seiner Nachfolgerin von der CDU (Si apre in una nuova finestra). Mit den Grünen in der Bundesregierung wurden die Zukunftsthemen Klima und strategische Souveränität angepackt. Jetzt werden sie auf Abstellgleis gestellt.
Mit diesen Zielkonflikte haben viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister auf dem Land zu kämpfen, die Energieprojekte angehen wollen. Wie kann man die Akzeptanz solcher Projekte wirklich bekommen?
Ich glaube, das ist ein kommunikatives Problem in beide Richtungen und auch ein Führungsproblem. Wenn ich Gemeinden besuche, treffe ich Menschen, die mit besten Absichten in die Kommunalpolitik gegangen sind. Die sind nicht ausgestattet mit der dicken Haut oder mit Rezepten, wie man mit Populisten umgeht oder mit Leuten, die Pläne durchkreuzen. Es ist auch für uns als grüne Bewegung ein Kommunikationsproblem, wie können wir Menschen mitnehmen. In der großen Perspektive wissen wir, worum es geht, nämlich um das Überleben des Planeten und Landschaften, wie die in der Lausitz. Es sind die kleineren Erzählungen vor Ort, mit denen wir bis jetzt gescheitert sind.
Sie fordern mehr militärische Unterstützung für die Ukraine. Welche Rolle wird Rüstung (Si apre in una nuova finestra) künftig spielen in der ländlichen Wirtschaft?
Ich würde mir wünschen, dass zivile Forschung in der ländlichen Wirtschaft eine größere Rolle spielt. In einer idealen Welt wäre das toll. Aber die Realität ist jetzt leider anders. Wir sind nicht imstande, uns selbst zu verteidigen. Und wir müssen uns verteidigen können gegen das heutige Russland. Der Blick aufs große Ganze zeigt uns: Das grosse Land im Osten hat uns zu seinem Feind erklärt. Im russischen Fernsehen, das ich gelegentlich schaue, hört man unverhohlene Drohungen gegen Europa. Die kamen auch schon vor dem Angriff auf die Ukraine. Ich glaube nicht, dass wir uns als Gesellschaft militarisieren müssen, aber wir müssen verteidigungsfähig sein. Auch mit Blick auf unsere Verbündeten im Baltikum oder in Polen, die noch viel mehr bedroht werden.
Wie steht Ostdeutschland nach drei Jahren Krieg zu Russland?
In Ostdeutschland gibt es eine Mischung aus Angst und Furcht vor einer Eskalation mit Russland, die stärker ist als in anderen Teilen Deutschlands. Und auf der anderen Seite auch eine Faszination und eine falsche Empathie für Putin. Dass diese Besonderheit jahrelang von der Politik übersehen wurde, liegt daran, das Ostdeutschland nicht richtig verstanden wurde von vielen Menschen, die in Verantwortung stehen. Das muss sich ändern, egal wo wir inhaltlich und politisch stehen.
Sergey Lagodinsky, 49, sitzt seit 2019 für die Grünen im Europäischen Parlament. Der promovierte Jurist ist im russischen Astrachan geboren und kam 1993 mit seiner Familie nach Deutschland. Er ist eng verbunden mit der demokratischen Opposition in Russland und setzt sich für eine stärkere militärische Unterstützung der Ukraine ein. Mit Sergey Lagodinsky sprach Christine Keilholz.