Lausitz an der Bruchkante zum Science Valley
ANALYSE / WISSENSCHAFT IN SACHSEN UND BRANDENBURG
Zwischen Berlin und Dresden entsteht eine deutschlandweit einmalige Dichte an Forschungsinstituten. Wo steht die Wissenschaftsregion Lausitz nach zwei Jahren Aufbau?
von Christine Keilholz
Januar 2023

Kurz vor Weihnachten ging in Cottbus ein „Lausitz Science Network (Si apre in una nuova finestra)“ an den Start. Mit dem Verein knüpft die BTU Cottbus-Senftenberg noch engere Bande mit den Forschungseinrichtungen, die in Brandenburgs zweitgrößter Stadt ansässig geworden sind. Gemeinsam will man Nachwuchs fördern, zu Tagungen einladen und Fachkräfte gewinnen. Das Wichtigste: Man will den Wissenschaftsstandort Lausitz bekannter machen.
Die Aktion ist keine Sternstunde der Wissenschaftsfreiheit, sondern politisches Programm. Die Lausitz soll Forschungsregion werden. So wollen es der Bund und die Länder Brandenburg und Sachsen. Die Region zwischen Berlin und Dresden braucht ein neues Image und neue Wirtschaftskraft. Mit dem Kohleausstieg bekommt die Lausitz 17,2 Milliarden Euro an Aufbauhilfen zugesprochen, ein großer Teil davon fließt in Forschung.
Das hat einen einfachen Grund: Industrie-Ansiedlungen (Si apre in una nuova finestra) kann der Staat zwar fördern, aber nicht dorthin verpflanzen, wo er sie haben will. Bleiben nur Behörden und Forschungszentren, um Arbeitsmärkte in bedürftigen Regionen anzukurbeln. Die Jobs, die dabei entstehen, sind hoch spezialisiert, anspruchsvoll und akademisch. Bund und Länder legen zusammen, um an den Lausitzer Abbruchkanten etwas zu pflanzen, das sich irgendwann vielleicht sogar mit Harvard (Si apre in una nuova finestra) messen kann.
Sehr teures strukturpolitisches Experiment
Das ist hoch gegriffen und ob es jemals klappt, hängt von vielen Unwägbarkeiten ab. Klar ist allerdings jetzt schon: Das Experiment, die Lausitz zu einem vibrierenden Zentrum von Wissenschaft zu machen, wird am Ende viel öffentliches Geld gekostet haben. Der Erfolg lässt sich schwer messen - und so misst man vorerst nur das eingesetzte Geld. Gerade erst bekam die BTU 52 Millionen Euro für Verbundvorhaben zur klimafreundlichen Energieerzeugung, teils aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Das ist mehr als die gängige Wissenschaftsförderung. Es ist der Versuch, eine Hochschule, die bisher ein Mauerblümchendasein führte, zu einem Zugpferd für die ganze Region zu machen. Dieses Ziel wird mit viel Zweckoptimismus kommuniziert. „Was wir nicht brauchen, ist Schwarzmalerei und Panikmache, sondern einladende Visionen“, sagte Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) im Sommer bei einer ihrer zahlreichen Scheckübergaben an die BTU.
Beim Strukturaufbau ist Wissenschaft ein wichtiger Faktor - und Fraunhofer und Helmholtz wirken als schnelle Ausbautruppen. In der Lausitz sind sie alle vertreten. Zwischen dem brandenburgischen Cottbus und dem ostsächsischen Zittau haben seit Ausrufung des Kohleausstiegs vor drei Jahren gut zwei Dutzend Einrichtungen eröffnet. Görlitz hat seitdem ein „Center for Advanced Systems Understanding (Si apre in una nuova finestra)“ (Casus). Das Zentrum ist eine Filiale des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) und stellt sich in einem Bürgerhaus in der Görlitzer City den globalen Zukunftsfragen. Fraunhofer zog mit einem „Hydrogen Lab (Si apre in una nuova finestra)“ in die Turbinenfabrik ein, die Siemens nur nach massivem politischen Druck nicht vollends schloss. Zittau hat ein Kunststoffzentrum (Si apre in una nuova finestra) bekommen, ebenfalls von Fraunhofer.
Wissenschaft als wichtigster Jobsektor
Allein in Cottbus ist eine unüberschaubare Fülle an Instituten entstanden. Das Bundesumweltministerium ist mit gleich zwei Häusern in der Lausitz-Metropole vertreten - dem Kompetenzzentrum für energieintensive Industrien (Si apre in una nuova finestra) (KEI) und dem PtX Lab Lausitz (Si apre in una nuova finestra), das sich der Entwicklung von CO2-freiem Kerosin widmet. Das Deutsche Luft- und Raumfahrzentrum (DLR) hat neuerdings ebenfalls zwei Lausitzer Filialen. Neben dem Institut für Elektrifizierte Luftfahrtantriebe (Si apre in una nuova finestra) gibt es das Institut für CO2-arme Industrieprozesse (Si apre in una nuova finestra), das einen zweiten Standort in Zittau unterhält.
Eine solche Dichte an Neugründungen ist deutschlandweit einmalig. Die Lausitz als größte der vier deutschen Braunkohle-Regionen ist gleichzeitig das Sorgenkind des Strukturwandels. Während das mitteldeutsche Revier rund um Halle und Leipzig oder das Rheinland wirtschaftliche Alternativen zur Kohle haben, geht der Lausitz mit dem Kohleausstieg die Kernindustrie verloren. Der Wissenschaft, so sie denn wächst, käme hier die Rolle des wichtigsten Jobsektors zu.
Institute sollen Unternehmen ausgründen
Entsprechend groß sind die Investitionen, um auf dem alten Kohle-Image eine neue Energie-Kompetenz aufzubauen. In Cottbus sollen die Kräfte konzentriert werden, die an der CO2-freien Zukunft forschen und entwickeln. Ein gescheitertes Gewerbegebiet am Rand von Cottbus steht im Mittelpunkt aller Hoffnungen. Es soll zum „Lausitz Science Park (Si apre in una nuova finestra)“ werden, einem Campus nach Vorbild des Technologieparks Adlershof (Si apre in una nuova finestra), auf dem Uni-Professoren mit den Kollegen der außeruniversitären Institute zusammenarbeiten - und am besten gleich Firmen ausgründen.
Projekte, die Wissenschaft mit der regionalen Wirtschaft verbinden, stehen hoch im Kurs. Anfang 2022 ging in Cottbus ein „Center for Hybrid Electric Systems Cottbus (Si apre in una nuova finestra)“ (Chesco) an den Start. Chesco ist 39 Millionen Euro schwer und soll in Kooperation mit Rolls-Royce Jobs für 400 Menschen schaffen. Ein „internationales Führungscluster für elektrische Antriebe“ wolle man aufbauen, verkündete BTU-Präsidentin Gesine Grande. Im Sommer kam ein Energie-Innovationszentrum (Si apre in una nuova finestra) (EIZ) dazu. Ein Innovations-Campus für Sensortechnik bekommt 20 Millionen Euro Förderung von Bund und Land.
Die Psychologin Grande hat 2020 die Aufgabe übernommen, die BTU wissenschaftlich international zu positionieren. Ein ambitioniertes Vorhaben für die an Studierendenschwund leidende Hochschule, die noch immer an den Folgen einer halbgaren Fusion leidet. 2013 klebte Brandenburgs Wissenschaftsministerium die Universität Cottbus mit der in Senftenberg ansässigen Hochschule Lausitz zusammen, um Geld zu sparen.
Oberlausitz als Zentrum für Astrophysik
Mit dem Strukturwandel wird die BTU nun mit Geld überschüttet, etwa um eine Universitätsmedizin aufzubauen. Schon in zwei Jahren sollen an der BTU und am noch städtischen Carl-Thiem-Klinikum Cottbus (Si apre in una nuova finestra) die Ärzte ausgebildet werden, die Brandenburg bisher aus anderen Ländern abwerben muss. Das Innovationszentrum Universitätsmedizin Cottbus (IUC) ist mit 1,9 Milliarden Euro das größte Lausitzer Strukturwandel-Projekt in der Wissenschaft. Jedenfalls in Brandenburg.
Die sächsische Oberlausitz hatte schwerere Startbedingungen. Dünn besiedelt und weit weg von den Ballungszentren, verfügt sie über keine eigene Universität. Zwar ist mit der TU Dresden eine Einrichtung mit Exzellenzprädikat nicht weit entfernt - aber Dresden liegt nicht im Fördergebiet des Strukturwandels. Das trifft nur auf die Hochschule Zittau-Görlitz zu, der es aber an Ausstrahlung fehlt. Bisher sind die wisenschaftlichen Leuchttürme in der sächsischen Lausitz rar.
Das heißt: noch. Mit dem Deutschen Zentrum für Astrophysik (Si apre in una nuova finestra) (DZA) soll in Görlitz eine Art Wissenschafts-Stadt entstehen, die 1500 Menschen Arbeit gibt. Ein Kollektiv an deutschen Physikern und Astronomen gewann im Herbst den Auswahlprozess für das Riesenprojekt, das Bund und der Freistaat Sachsen mit 170 Millionen Euro jährlich finanzieren. Das Zentrum entsteht in Görlitz zwar in historischer Umgebung - aber forschungspolitisch auf der grünen Wiese. Ob das funktionieren kann, ist schon für sich ein Experiment.