Wessi oder Ossi - was bin ich und wie sag ich es?
Für mich hat es sich immer seltsam angefühlt, so weit im Osten Deutschlands zu leben und trotzdem als Wessi bezeichnet zu werden. Was bin ich als West-Berlinerin, warum ist das immer noch so wichtig und darf ich mich über diese Zuschreibung überhaupt beschweren?
Und, wo aus Berlin kommt ihr her? Ich schaue nach rechts und lasse meinem Freund den Vortritt bei der Antwort. „Aus Lichtenberg“, sagt er. Hoffentlich kommen sie jetzt vom Thema ab und mich fragt niemand mehr, denke ich.
Wir haben uns gerade erst kennengelernt. Das Gespräch läuft gut. Ich möchte nicht, dass es unangenehm wird. Das klingt vielleicht komisch, es ist mir aber schon häufiger passiert, dass ein gutes Gespräch merklich abkühlte sobald ich offenbart hatte, dass ich aus Schmargendorf komme. Ein Wessi.
Du bist Wessi? Aber du bist doch so nett
Das erste Mal ist mir dieses Ressentiment bewusst begegnet, als ich 17 Jahre alt war. Ich war neu auf dem Beachvolleyball-Gelände in Berlin Mitte, machte schnell Bekanntschaften und war auf dem Weg, mich in die Community zu integrieren. Doch als wir alle nach Hause fuhren und ich in die entgegengesetzte Richtung musste, kam die entrüstete Frage: „Du bist Wessi? Aber du bist so nett! Das passt ja gar nicht.“
Solche Sätze sind mir häufiger begegnet. Gerade im Sport hatte ich es häufiger mit Menschen zu tun, die im DDR-System ausgebildet worden sind oder eben aus Ost-Berlin, Brandenburg, Thüringen oder Dresden kamen. Wenn über affektierte Wessis gelästert wurde, hielt ich mich leise zurück. Meist kam meine Herkunft nicht zu Sprache. Wenn ich “Berlin” sagte, waren die Leute zufrieden. Ich war ja nett und unkompliziert, also konnte ich nur Ossi sein. Und wenn sie mich erst einmal mochten, gab es zwar eine kleine Irritation, es wurde aber akzeptiert. Unangenehm wurde es immer dann, wenn die Frage Ost- oder West-Berlin gestellt wurde, bevor wir uns intensiver unterhalten konnten. Lügen wollte ich ja auch nicht, also sagte ich “West-Berlin” und merkte, wie Gesichter einfroren und das Interesse erlosch.
Eigentlich komme ich doch aus dem Osten - oder?
Für Leute aus Westdeutschland komme ich aus dem Osten. Und das stimmt ja im Hinblick auf die Himmelsrichtung bezogen auch. Manchmal frage ich mich: Komme ich nun aus dem Osten oder aus dem Westen, machen wir das an der Regierung oder der Verortung im Land fest und warum ist das immer noch so wichtig? Unter Westdeutschen oder West-Berlinern bemerkte ich, dass ich Sympathiepunkte sammelte, wenn ich aufklärte, dass ich aus West-Berlin komme. Manchmal mache ich das absichtlich nicht , weil ich es unangenehm finde, meine Herkunft zu meinem Vorteil zu nutzen, wenn ich sie andererseits verschweige. Manchmal gibt es auch Sprüche, warum in aller Welt ich denn in Lichtenberg (inzwischen in Friedrichshain) wohne, wenn ich doch aus West-Berlin komme.
Auch in meiner Arbeit als Journalistin sind mir solche Wertungen begegnet. Während manche Menschen aus Spandau die Nase rümpften, als ich für die Berliner Zeitung arbeitete (das ist nicht die B.Z.), fanden andere aus Prenzlauer Berg es uncool, als ich für die Berliner Morgenpost schrieb. Bei beiden Zeitungen war ich jeweils drei Jahre tätig. Bei der Berliner Zeitung habe ich viel gelernt, es wurde sehr ehrgeizig und investigativ gearbeitet, allerdings war die Atmosphäre untereinander sehr Konkurrenz getrieben. Bei der Morgenpost ging es wesentlich kollegialer zu, allerdings bestand durch Kooperationen auch eine größere Nähe zu den Vereinen, über die wir berichteten, was ich in der journalistischen Arbeit manchmal schwierig fand. Aber ob das jetzt etwas mit Ost und West zu tun hatte, ich kann es nicht sagen.
Familiengemisch aus Ost und West
Als die Mauer fiel, war ich vier Jahre alt. Ich erinnere mich an Grenzposten auf Urlaubsreisen, an eine Wanderung auf Mauertrümmern nach 1990 und daran, das Brandenburger Tor häufiger von hinten als von vorne gesehen zu haben. Mein Freund ist gebürtiger Ost-Berliner, was meine Eltern kurz verarbeiten mussten. Allzu lange hat das aber nicht gedauert, denn unsere Familie ist ein absoluter Mix: Meine Mutter kommt aus Kreuzberg, mein Vater aus Lüchow Dannenberg in Niedersachsen, seine Mutter, also meine Oma, aus Mecklenburg Vorpommern. Mein Vater hat drei Cousins, die alle im Osten aufgewachsen sind und unterschiedliche Ansichten hatten. Der Älteste war eher staatskonform, der Mittlere ist in den Westen geflüchtet, während die Mauer noch stand. Sein Foto hing lange im Museum am Checkpoint Charly. Der jüngste Bruder war gegen das DDR-Regime eingestellt, ist aber dort geblieben. In unserer Familie sind also alle Richtungen vertreten, dementsprechend habe ich – auch durch meinen Vater – früh gelernt, Menschen nicht nach dem zu beurteilen wo sie herkommen, sondern danach wie sie sich verhalten, mir oder anderen gegenüber und die Story zu berücksichtigen. Die wenigsten Menschen haben sich ja ausgesucht, auf welcher Seite der Mauer sie leben wollen, die meisten wurden davon überrascht, plötzlich durch eine Mauer getrennt zu werden und ich finde es immer wieder beeindruckend wie sehr sie noch da ist, diese Mauer in unseren Köpfen.
Zwei Schmargendorferinnen in Pankow
Am vergangenen Wochenende habe ich auf einer Veranstaltung in Pankow eine sehr nette Frau kennengelernt. Nachdem sie erzählte, dass sie in Wilmersdorf wohnt, traute ich mich zu sagen: “Da komme ich auch her.” Im weiteren Gesprächsverlauf stellten wir fest, dass wir sogar beide aus Schmargendorf kommen und auf dieselbe Grundschule gegangen sind. Ich erzählte ihr von meiner Angst zuzugeben, dass ich Wessi bin . “Ich kenne das”, sagte sie verständnisvoll. “Ich komme ursprünglich aus Palästina. Das sage ich auch nicht gern.”
Schon fühlte sich mein Problem ganz klein an.
