Den Punkt hab ich ja trotzdem gemacht
Eve Schmidt-Ott ist seit über 20 Jahren eine der erfolgreichsten Beachvolleyballspielerinnen in Berlin und zeigt, dass Herz, Wille und Mut oft mehr zählen als die perfekte Technik. Im Gespräch erzählt sie von ihren Volleyball-Wurzeln, wir sprechen über Vielseitigkeit, Selbstbestimmtheit und Ehrgeiz und gehen der Frage nach, warum Menschen sich über andere erheben auf der Grundlage einer Volleyball-Technik.
Beim Verabschieden werfe ich noch einen Blick auf Feld drei und muss lachen. Das gibt es doch nicht. Eve und Steffi sind immer noch im Turnier. Später erfahre ich, dass die beiden bei dem wirklich stark besetzten A-Turnier auf Beachmitte Zweite geworden sind. Das war der Moment, in dem ich entschieden habe, einen Text über Eve Schmidt-Ott zu schreiben.

Man steht immer zu zweit auf dem Feld und eigentlich kann man kaum über Eve schreiben, ohne über Steffi Kelm zu berichten, denn die beiden spielen bereits seit fast 20 Jahren erfolgreich zusammen. Meine Historie mit Eve Schmidt-Ott reicht aber noch weiter zurück. In dem Gespräch ist uns aufgefallen, dass unsere Vergangenheit sogar noch verknüpfter ist, als ich dachte – also mir ist das als Neuigkeit aufgefallen. Eve wusste das schon längst, wie sie mir grinsend bei einem Kaffee auf Beachmitte erzählte: Von Post Telekom über den VfK Südwest Berlin, Tiefwerder und Beachmitte sind wir ähnliche Stationen durchlaufen, nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten.
Jetzt müssen wir beide viel laufen
Als ich 2003 meine 18 Jahre jungen Füße in den Sand von Beachmitte steckte, damals noch auf dem Gelände in der Chausseestraße, und dort zum ersten Mal ein Erwachsenen-Turnier spielte, hatte ich meine erste Begegnung mit Eve. Ich erinnere mich weder, mit wem ich gespielt habe, noch, wer an ihrer Seite stand, aber ich weiß noch sehr genau wie ich mich gefühlt habe, als sie jeden meiner Bälle abwehrte und links, rechts, vor oder hinter mir in den Sand setzte. Die Wörter macht- und chancenlos beschreiben es ganz gut. Die Partie war schnell beendet und egal, welches Turnier ich danach spielte, die Frau mit der wuscheligen blonden Kurzhaarfrisur, den blauen Augen und dem verschmitzten Lachen war immer vorne dabei.
Auch ich wurde über die Jahre etwas konkurrenzfähiger und wenn wir uns bei Mixed-Turnieren begegneten grinsten wir uns schon über die Diagonale hinweg an, weil wir wussten: Jetzt müssen wir beide viel laufen. Einmal, als ich bei einem A-Turnier der damaligen Berlin-Serie mal wieder gegen Eve verloren hatte, sagte sie zu mir: „Zum Glück hast du angefangen zu schlagen.“ Bis heute habe ich diesen Satz im Kopf, wenn ich im Turnier wieder anfange, blind auf den Ball zu hauen, anstatt klug in die Ecken zu spielen.
Neun Mal Deutsche Meisterin
Ich würde behaupten, Eve Schmidt-Ott hat mich zu einer besseren Beachvolleyballspielerin gemacht, weil ich immer wieder an ihr gescheitert bin und weil ich durch sie gesehen habe, was mit einer Größe von knapp 1,70 Metern alles möglich ist: Sie hat sowohl bei den Damen als auch im Mixed zahlreiche Turniersiege eingefahren, auf der deutschen Tour mitgespielt und es sogar zu den Deutschen Meisterschaften in Timmendorfer Strand geschafft. Neun Mal in Serie gewann sie die Deutsche Meisterschaft der Seniorinnen wobei sie nie in ihrer eigenen, sondern stets in den jüngeren Altersklassen gespielt hat. Außerdem hat sie so einigen Frauen, die heute erfolgreich im Berliner Turnierzirkus unterwegs sind, das Beachvolleyballspielen als Trainerin diverser Uni-Kurse beigebracht.
Umso erstaunter war ich, als ich sie sagen hörte: „Ich habe mich in der Beachvolleyball-Szene nie richtig zugehörig gefühlt.“ Das lag unter anderem an ihrer Technik. „Ich habe ja keine“, sagte Eve grinsend. „Ich kann nicht pritschen, ich kann nicht richtig angreifen, weil ich das mal falsch gelernt habe und ich schaue, wie weit ich damit komme.“
Der Ball ist immer versprungen
Angefangen hat Eve mit dem Volleyball in Berlin Steglitz. Trainer Michael Schwedtke lief durch ihre Grundschule und warb für den Sport, doch die erste Einheit war für Klein-Eve wenig erbaulich: „Ich konnte nicht baggern. Der Ball ist immer versprungen. Das Mädchen, das mit mir spielen musste, hat sehr böse geschaut. Dann bin ich erstmal nicht mehr hingegangen“, erzählt sie. Doch Eve wäre nicht Eve, wenn sie so einfach aufgegeben hätte. Dazu ist sie viel zu ehrgeizig. Sie erzählt auch, woher das kommt: „Mein älterer Bruder ist ein virtuoser Pianist, er konnte eigentlich alles besser als ich und hat mich gern belehrt. Der einzige Bereich, in dem ich ihn übertrumpfen konnte, war der Sport.“ Zwei Jahre später, mit 14, probierte sie es noch einmal mit dem Volleyball und blieb fortan beim VfK Südwest, wo sie als Außenangreiferin und Libera eingesetzt wurde.
„Micha Schwedtke hat mir richtig gut baggern beigebracht“, erzählte sie – so gut, dass sie 2005 den Sprung zum TSV Spandau in die 2. Liga wagte. „Das war aber nicht so gut für mich. Das war zu hoch“, sagt sie. „Ich war auch nur zweite Libera, manchmal wurde ich gar nicht aufgeschrieben.“ Und ihr fiel etwas auf: „In dem Moment, in dem ich nicht mehr die Gratifikation des Angriffsschlages habe, baggere ich schlechter“, sagt sie.
Sechs Leute sind zu viel
Hallenvolleyball war aber ohnehin schon zweitrangig für Eve, seit sie 1995 Beachvolleyball entdeckt hatte. „Ich fand es cool, dass man das nicht abends machen musste und mochte das lockere Lebensgefühl mit Strand und Sonne. Außerdem ist man nur zu zweit, hat mehr Verantwortung und mehr Bewegung. Sechs Leute waren mir eh immer zu viel“, sagt sie.
Bis zu acht Stunden am Tag zockte sie zeitweise auf Beachmitte. Mit Jana Köhler spielte sie diverse Vodafone Masters und Renault Beach Cups, dann mit wechselnden Partnerinnen, bis sie im Mai 2006 auf Steffi Kelm traf. „Mit Steffi kann man gut gewinnen und das Spielen macht einfach immer Spaß. Es gab keine Spielerin in meinem Leben, die so gut gepasst hat wie sie“, sagt Eve und fügt kichernd hinzu: „Bis heute habe ich das Problem, dass ich zu schnell baggere. Ich nehme für alle zu flach an – außer für Steffi.“
Die Technikfrage ist ein Dogma in Deutschland
Als Kelm/Schmidt-Ott im Juli 2006 auf der deutschen Tour auf Fehmarn im Halbfinale landeten, setzten sie sich für die Saison 2007 das Ziel, die Deutsche Meisterschaft in Timmendorfer Strand zu erreichen, was ihnen auch gelang. „Allerdings nur, weil zwei Spielerinnen verletzungsbedingt ausfielen“, räumt Eve ein. Beim letzten Tourstopp in Bonn wurden sie von Team 17 überholt und schafften es daher nicht ganz unter die Top 16. Am Mittwoch vor dem Finalwochenende kam dann aber doch der ersehnte Anruf vom Deutschen Volleyball Verband. „Ich war in der Schule, habe die Vorwahl für Frankfurt gesehen und dachte: Yessssss“, sagt Eve, die seit 2002 als Lehrerin arbeitet.
So richtig wohl fühlte sie sich während ihrer ambitionierten Zeit nicht auf der deutschen Tour. Weil keines der Damenteams mit ihnen trainieren wollte, spielten Kelm/Schmidt-Ott oft mit Männerteams. „Das waren die einzigen, die mit uns spielen wollten, vermutlich, weil sie scharf auf Steffi waren“, sagt Eve mit einem Zwinkern. Kelm/Schmidt-Ott spielen anders als die Teams, die Sportschulen durchlaufen haben. „Unorthodox“, „unkonventionell“ oder „wurschtelig“, sind die Wörter, die gern genutzt werden, wenn die Technik nicht einem gewissen gelehrten Standard entspricht. „Die Technikfrage ist ein richtiges Dogma in Deutschland. Alle spielen gleich, aber warum muss es so sein, wenn es auch anders geht?“, fragt Eve.
Du und deine komischen Bälle
Sportlich ist Eve breit aufgestellt. Sie ist bereits drei Mal Marathon gelaufen, beherrscht Badminton, Leichtathletik und Turnen genauso wie Wasserspringen, Skifahren und Inline-Skaten. In ihrer Familie war Volleyball kein Thema. Da kam eher die Frage: „Wer braucht denn Volleyball?“ Im Sportstudium machte sie die Beobachtung, dass die Leistungssportler im Vergleich am schlechtesten abschnitten. Im Beachvolleyball allerdings wurde sie immer wieder mit rollenden Augen konfrontiert und mit Gegnerinnen, die sich über ihre Angriffe beschwerten: „Du und deine komischen Bälle“, hört sie noch heute manchmal. Sie antwortet dann: „Aber den Punkt habe ich ja trotzdem gemacht.“

Eve wird noch etwas deutlicher: „Ich finde es ganz furchtbar, den Wert eines Menschen an seiner Fähigkeit, Volleyball zu spielen zu beurteilen. Oder an seiner Technik. Was soll dieses Erheben über andere auf der Basis, ob jemand Volleyball spielen kann?“
Bei ihrer Tochter achtet sie ebenfalls darauf, dass sie viele Interessen verfolgen kann, vom Klavier spielen bis zum Trampolin springen. „Mir hat nie jemand gesagt: Spiel da oder spiel mit der und ich denke, diese Selbstbestimmtheit ist ausschlaggebend dafür, dass ich so lange dabeigeblieben bin“, sagt sie. In diesem Jahr hätte Eve die Chance, bei der Deutschen Meisterschaft der Seniorinnen ihren zehnten Titel in Folge zu holen. Da ist sie allerdings schon in Neuseeland, wo sie im September ihren 50. Geburtstag feiert. Es gibt schließlich noch wichtigeres im Leben als Beachvolleyball.
Dieser Text stammt aus der neuen Reihe: beachvolleyball.stories:
Geschichten, die es Wert sind, erzählt zu werden.
