Maru (Naoko Ogigami)
„Making money is art and working is art and good business is the best art.“ - Andy Warhol
Nicht nur Warhol, sondern auch Joseph Beuys, Theodor W. Adorno, Karl Marx, Banksy – ja sogar Donald Trump – haben sich zur Rolle des Künstlers im Kapitalismus geäußert. Zugegeben: Trump meinte mit dem Titel seiner Biographie The Art of the Deal etwas anderes. Doch auch dieser Titel wirft letztlich die Frage auf, was überhaupt als Kunst anerkannt wird – und was nicht. Welche realen Konsequenzen das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Kapital haben kann, zeigen uns zahlreiche Beispiele: Van Gogh, Gauguin, Kafka und Mozart starben allesamt in bitterer Armut. Ob ihr posthumer Ruhm die erlittenen Strapazen aufwiegt, bleibt Spekulation.
Naoko Ogigami nimmt sich in ihrer Satire Maru genau dieses Spannungsfelds an: zwischen kreativer Selbstverwirklichung und ökonomischer Abhängigkeit. Der gefeierte Künstler Akimoto (Kotaro Yoshida) lässt seine Werke von einem Team Assistenten anfertigen – für einen Hungerlohn. Ruhm und Geld jedoch kassiert er allein. Einer dieser Assistenten ist Sawada (Tsuyoshi Domoto), der längst mit eigenen Ambitionen abgeschlossen hat und sich seiner Rolle gefügt hat.
Doch als sich Sawada den Arm bricht und seine Anstellung verliert, beginnt er aus Langeweile, Kreise zu malen. Erst der mysteriöse Kunstsammler Yokoyama (Go Ayano) entdeckt diese zufällige Ausdrucksform – und Sawadas Leben scheint sich zu wenden. Doch auch dieser neue „Gönner“ gibt fortan vor, was Sawada zu malen hat. Liefert er nicht, bleibt die Bezahlung aus. Aus einem Ausbeuter ist schlicht ein anderer geworden.
Leistungsgesellschaft
Sawadas Nachbar Tsuchiya (Taichi Saotome), ein gescheiterter Mangazeichner, zieht einen düsteren Vergleich mit Arbeiterameisen: In jeder Kolonie seien 20 % faul – entfernt man sie, treten neue faule 20 % hervor. Tsuchiya fürchtet nichts mehr, als zu diesen unproduktiven „Ameisen“ zu gehören, die angeblich keinen gesellschaftlichen Beitrag leisten. „Was soll jemand tun, der nichts beiträgt?“, fragt er verzweifelt. „Pfeifen“, schlägt Sawada vor.
Es geht also nicht nur um materielle Not, sondern vor allem um das eigene Selbstbild in einer Gesellschaft, die Leistung zum höchsten Wert erklärt.
Dass Menschen keine Ameisen sind, liegt auf der Hand. Und doch scheint diese Einsicht im gesellschaftlichen Diskurs nicht angekommen zu sein. Immer wieder fordern deutsche Spitzenpolitiker und Ökonomen härtere Sanktionen gegen sogenannte Totalverweigerer. Schon Karl Marx aber erkannte die Funktion der „industriellen Reservearmee“ – also der Arbeitslosen – für das Kapital: Je größer die Zahl der Ersatzarbeitskräfte, desto eher lassen sich Beschäftigte ausbeuten – aus Angst, ersetzt zu werden. Die „faule Ameise“ hat nichts zu befürchten – der Mensch im Kapitalismus dagegen sehr wohl. Wer nicht arbeitet, wird schnell gesellschaftlich ausgeschlossen.
Gerade durch die Existenz der Arbeitslosen ist es möglich, dass Menschen wie Akimoto andere zu Niedriglöhnen für sich schuften lassen. Und sobald sie nicht mehr „liefern“, werden sie aussortiert.
Dass Sawada und Tsuchiya bei Arbeitslosigkeit sofort an Faulheit denken, zeigt, wie tief der Nützlichkeitsgedanke in uns verankert ist. Für viele ist der Gang zum Arbeitsamt mit Scham verbunden – selbst wenn die ökonomischen Verhältnisse es erlauben würden, eine Zeitlang nicht zu arbeiten. Die Vorstellung, nichts „beizutragen“, wiegt schwerer als die materielle Realität. Arno Dübel bleibt die Ausnahme, nicht die Regel.
Sawadas Kollegin Yajima (Riho Yoshioka) schlägt radikalere Töne an. Als bekennende Antikapitalistin stürmt sie eine Ausstellung und prangert die obszöne Ungleichheit in der Gesellschaft an. Auf die ewige Neid-Debatte antwortet sie lakonisch: Ihr reiche es, wenn jeder Mensch genug Geld habe, um sich Sushi leisten zu können. Ihre Forderung erscheint im Film radikal, ist aber letztlich bescheiden und versöhnlich. Keine Guillotinen, nur eine faire Verteilungsfrage. Wie kann es gerecht sein, dass wenige fast alles besitzen – während viele nicht wissen, wie sie die Miete zahlen sollen?
Die Fragen, die Ogigami aufwirft, sind berechtigt. Schade nur, dass der Film die Positionen von Yajima und Tsuchiya nicht wirklich zusammenführt. Was wäre, wenn unter den „faulen“ 20 % auch Superreiche wie Akimoto wären? Der tut nämlich gar nichts mehr – und lebt trotzdem in Wohlstand. Seine Rolle innerhalb der Leistungsgesellschaft wird gar nicht erst hinterfragt. Es ist nicht Faulheit, die zur Scham führt, sondern der ökonomische Status. Und volkswirtschaftlich betrachtet: Welchen „Nutzen“ hat jemand wie Akimoto? Während Arbeitslose zumindest als Drohkulisse die Lohnabhängigen disziplinieren – und somit eine Funktion erfüllen –, sind die oberen 5 % selbst aus kapitalistischer Logik heraus weitgehend nutzlos.
Die unsichtbare Hand des Marktes
Der Ökonom Adam Smith prägte einst das Bild der „unsichtbaren Hand des Marktes“ – ein Prinzip, das angeblich für automatische Selbstregulierung und das Gemeinwohl sorgt. In Maru stellt sich die Frage, ob und wie sich dieses Prinzip auf die Kunst übertragen lässt: Ist Popularität ein verlässliches Indiz für Qualität?
Akimoto sieht sich als schöpferisches Genie – der schöpferische Akt sei geistiger Natur, die eigentliche Ausführung nebensächlich. Die Frage nach der Urheberschaft bleibt im Raum: Wer hat die Burg Edo wirklich geschaffen? Nobunaga? Sein Architekt? Oder die Handwerker?
Yajima erkennt Sawadas Talent, auch wenn ihm der Erfolg bisher verwehrt blieb. Als der Kunstsammler Yokoyama und die Kuratorin Wakakusa (Satomi Kobayashi) schließlich auf ihn aufmerksam werden, scheint Adam Smiths These zu greifen: Wahre Kunst findet früher oder später ihr Publikum. Doch Sawada kann seinen Erfolg nicht reproduzieren. „Die Kreise müssen leer sein“, verlangt Yokoyama – ohne zu erklären, was das heißen soll. Wenn Sawada dann im Internet nachlesen muss, was es mit den Kreisen auf sich hat und was er da eigentlich gemalt hat, illustriert Maru auf herrliche Weise die Absurdität des Kunstbetriebs.
Bald tauchen Nachahmer auf, die unter seinem Namen gefälschte Werke verkaufen. Doch der Markt durchschaut die Fälschung – keine der Kopien erzielt Erfolg. Erst als Sawada im Affekt ein Werk zerstört entsteht – unbeabsichtigt – wieder Kunst. Die Botschaft: Wahre Kunst entsteht jenseits ökonomischer Motive. In gewisser Weise bestätigt Ogigami damit Smiths These in zweierlei Hinsicht: erstens wird “wahre” Kunst früher oder später erolgreich und zweitens erkennt der Markt von selbst, was Original und was Fälschung ist.
Fazit
Maru endet versöhnlich. Sawada wird pfeifend glücklich, die Kunst scheint sich von ökonomischem Druck zu lösen. Die Rufe nach gesellschaftlicher Intervention verstummen, und am Ende regelt – scheinbar – wieder der Markt. Schade, denn Yajimas Forderung bleibt bestehen: Sushi für alle! Dieses Ziel wird sich aber kaum erreichen lassen, solange wir die gesellschaftliche Ordnung weiterhin einer „unsichtbaren Hand“ überlassen.