Kennen wir uns?
Mein Membership-Newsletter "Blaupause" hilft dir, dich unabhÀngig zu machen, indem du erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Diese Woche: Welche Sorte "Engagement" sich eignet, Beziehungen in digitalen Communitys aufzubauen.
Hallo!
ich zĂ€hle dich zu meinen 833 engsten Freunden. Â
Kleiner Scherz. Zwar lesen tatsĂ€chlich ĂŒberdurchschnittlich sympathische, intelligente und gut aussehende Menschen die Blaupause! Aber wie soll ich mit dir befreundet sein, ohne dass wir uns je kennengelernt haben? Auch wenn es etwas schmerzt, das auszusprechen: Du und ich tun gerade nur so, als wĂŒrden wir uns kennen.Â
Ich wĂŒrde das gern Ă€ndern. Mehr dazu am Ende dieser Blaupause (Si apre in una nuova finestra).
Zugewandtheit oder Einschleimen?
Eingebildete Freundschaften in der virtuellen Welt können einen schalen Beigeschmack bekommen. User, die einen hohes Level an Engagement zeigen â also hĂ€ufiger wiederkommen, auf Angebote klicken, Umfragen ausfĂŒllen, Newsletter abonnieren â schlieĂen wahrscheinlich etwa zehnmal hĂ€ufiger (!) eine Mitgliedschaft oder ein Abo ab (Si apre in una nuova finestra) als der Durchschnitt. User zum Interagieren zu ĂŒberreden rutscht leicht ab in das passiv-agressive SĂ€useln, mit dem Klinkenputzer Rentnerinnen Kaffeefahrten andrehen. Ein persönlicher, vertrauter Tonfall ist angenehm â und gut fĂŒr's GeschĂ€ft. Es ist ein Dilemma, das alle kennen, die eine Community aufbauen. Wo genau verlĂ€uft die Grenze zwischen freundlicher Zugewandtheit und Schleimen?Â
Es gibt kaum etwas Unangenehmeres als kalkulierendes Ankumpeln. Aber genau das ist anscheinend ein groĂer Verkaufstrend: Community-Marketing. Firmen in aller Welt versuchen seit einiger Zeit, persönliche Beziehungen zu ihren Kunden aufzubauen, man könnte sagen: Firmen wollen sich mit dir anfreunden. "People are always willing to pay more if a service makes them feel special",  schreibt (Si apre in una nuova finestra) die nigerianische Community-Expertin Osioke Itseuwa. Und darum kommunizieren auf einmal Konzerne und Behörden wie Menschen, oder versuchen es zumindest.
https://twitter.com/kaffeewanderer/status/1512860328492740617 (Si apre in una nuova finestra)DÀumchen-TrÀumchen
Auf die Gefahr hin, dass ich mich in Boomer-Rage schreibe: Eine verwandte Unart dieser pseudo-authentischen Kommerz-Kommunikation ist das penetrante Auffordern, ein Like oder einen Kommentar "dazulassen", mal schnell "das Plus wegzumachen", "DĂ€umchen wĂ€r'n TrĂ€umchen" und so weiter â also der Versuch, die Algorithmen von Plattformen auszutricksen, indem Interaktion simuliert wird. SĂ€tze wie "sharing is caring" waren ursprĂŒnglich mal ironisch gemeint. Inzwischen riecht man die Verzweiflung. Es ist wĂŒrdelos.
Ich selbst mache das natĂŒrlich auch stĂ€ndig, um Reichweite herzustellen fĂŒr meine Inhalte. Ich glaube jede:r von uns hat das schon mal gemacht. Und sich dabei schlecht gefĂŒhlt. Wir tun uns mit unserer Community zusammen, um gemeinsam die groĂe Techno-Maschine zu manipulieren. In der Logik von Social Media bedeutet Engagement alles, was die ViralitĂ€t erhöht. Das klappt am besten mit Emotionen, Meinungen manchmal LĂŒgen. Diese Sorte Engagement ist, wenn du mich fragst, die Plage unserer Zeit.Â
Hör zu, statt nur zu senden
Dazu kommt: Mit dieser Methode verkaufst du keine Mitgliedschaften. Social Media Engagement sorgt fĂŒr hohen Blutdruck, ist aber kein Geld wert. Eine Meinung haben wir alle, Talk is cheap. Das Engagement, das ich meine, funktioniert anders.

Social Media ist gut, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und neue Leute zu erreichen. Erst durch ehrliche Kommunikation wird daraus Community â und Zahlungsbereitschaft.
Seit einigen Jahren gibt es eine Bewegung namens engaged journalism. Dazu gehören viele amerikanische Redaktionen, aber interessanterweise startete das Ganze eher in Europa, nĂ€mlich mit der GrĂŒndung des niederlĂ€ndischen Mitglieder-finanzierten Magazins De Correspondent 2013. Krautreporter, ein Jahr spĂ€ter gegrĂŒndet, ist auch Teil dieser Welle, ebenso wie etwa Zetland in DĂ€nemark, Republik in der Schweiz und viele andere mehr. Â
Die meiner Meinung nach wichtigste Vordenkerin dieser Schule ist die amerikanische Journalistin und Unternehmerin Jennifer Brandel, GrĂŒnderin von Hearken. Von ihr stammt folgende Definition von Engagement: Engagement happens when members of the public are responsive to newsrooms, and newsrooms are in turn responsive to members of the public. Itâs a feedback loop. Ihr "Engagement-Ring" verdeutlicht das Konzept eines ewigen Kreislaufs aus Fragen und Antworten.

Es geht also um einen Kulturwandel bei der Zusammenarbeit zwischen Creators und Leser:innen. Statt in eine Richtung zu senden, ist die Rolle von Journalist:innen die von Conversation Leaders, also von Personen, die Unterhaltungen ermöglichen. Zuhören, nicht senden, ist dabei die wichtigste FÀhigkeit. Bei Krautreporter sieht das so aus (Si apre in una nuova finestra).

(Materialien, Links und zusĂ€tzliche Informationen zu engaged journalism finden Blaupause-Mitglieder im Bonus-Teil dieser Ausgabe.)Â
Sei kein Fragloch
Jenn Brandel argumentiert noch eine Ebene tiefer. Einfach nur Informationen und Geschichten abzufragen, das kann eigentlich nicht das Ziel von engaged journalism sein. So eine Beziehung wĂ€re schlieĂlich eher auf Ausbeutung ausgerichtet, nĂ€mlich das Wissen und die Geschichten der Community abzugreifen und ein GeschĂ€ft daraus zu machen. Zwar werden die Storys besser und die Zahlungsbereitschaft nimmt zu, weil die Mitglieder der Community stĂ€rker emotional involviert sind; allerdings bleiben sie, sobald sie ihre Leben und Herzen geöffnet haben, allein zurĂŒck. Das kann nicht richtig sein.
Hier kommt ein genialer Brandel-Fachbegriff ins Spiel, den ich hier mit "Fragloch" ĂŒbersetzen möchte: das Askhole (Si apre in una nuova finestra). "Too often, when it comes to engaging communities, we act like askholes. We ask for their story, we extract their experiences and concerns, and then we package and polish them up to share with audiences for our own financial gain. We donât follow up. We donât thank them. We donât ask what they need. We just ask for what we need from them."
Fraglöcher sind also Journalist:innen, die ausbeuterische Methoden nutzen, um an Geschichten zu kommen. Im Boulevardjournalismus nannte man so jemanden frĂŒher "WitwenschĂŒttler" â also Reporter:innen, deren Spezialgebiet es war, die Hinterbliebenen von Unfall- oder Verbrechensopfern im Ausnahmezustand emotionaler Not auf so perfide Weise zu bequatschen, dass diese ihre Fotoalben öffnen. Nur um ein Bild des Verstorbenen am nĂ€chsten Tag auf der Bild-Titelseite wiederzufinden. Â
Ein extremes Beispiel, aber dieses Verhalten ist bei uns Journalist:innen leider ausgeprĂ€gt. Ich habe zum Beispiel mit einigen Kolleg:innen ĂŒber die GrĂŒndung von Krautreporter gesprochen und sie so vor den Fehlern bewahrt, die wir recht schmerzhaft fĂŒr sie durchgespielt hatten. In einem Interview habe ich spĂ€ter dann folgendes Erfolgsgeheimnis von so einem Kollegen gelesen: Er sei halt journalistisch vorgegangen und hĂ€tten einfach Interviews mit anderen GrĂŒndern gefĂŒhrt, um herauszufinden, wie das geht. Bei mir blieb dadurch das schale GefĂŒhl zurĂŒck, ausgenutzt worden zu sein. Ich hatte nur gegeben, er hatte nur genommen. So geht es, fĂŒrchte ich, vielen Leuten, die mit den Medien zu tun bekommen.
Eine einfache Anleitung
Das geht besser. Eine Beziehung zu deinen Usern aufzubauen und dadurch eine Community zu schaffen, das ist gar nicht kompliziert. Verhalte dich möglichst Ă€hnlich wie in einer guten Unterhaltung im nicht-digitalen Leben. ErzĂ€hle etwas, dann stell eine Frage. Hör gut zu, dann reagiere auf die Antwort. Sag bitte und danke, hallo und tschĂŒss.  Statt einfach wortlos zu verschwinden, melde dich spĂ€ter nochmal und informiere dein GegenĂŒber ĂŒber das Ergebnis eures Austausches. Sei einfach ein freundlicher Mensch. Â
Gutes Engagement erkennst du an folgenden Merkmalen:
Du fragst nicht nach Meinungen, sondern nach Wissen, Erfahrungen und Geschichten.Â
Du interessierst dich tatsĂ€chlich fĂŒr die Antworten, weil sie dir bei deiner inhaltlichen Arbeit helfen.
Du fragst nicht nach den Extremen, sondern den Nuancen.
Du stellst Fragen, die man nicht einfach mit ja oder nein beantworten kann.
Du stellst offene Fragen, auf die du die Antworten nicht schon im Voraus kennst.Â
Du gehst davon aus, dass es in deiner Community Menschen gibt, die besser informiert sind als du, oder einfach schlauer.
Diese Sorte Engagement wird zwar kaum helfen, die Reichweite zu erhöhen. Aber du baust ein Beziehung auf, die auf ehrlichem Interesse beruht, auf intelligentem Austausch und Neugier. Aus so einer Beziehung kann Vertrauen werden. Dieses Vertrauen ist die Voraussetzung dafĂŒr, dass deine Leser:innen und Leser Teil deiner Community werden wollen â und auch bereit sind,  finanziell etwas beizutragen.
Wer bist du?
Richtig toll wird es, wenn man nicht alle alles fragt, sondern die Community so gut kennt, dass man gezielt das GesprĂ€ch mit den richtigen Leuten suchen kann. Deswegen wĂŒrde ich dich gern besser kennenlernen â mit Hilfe einer 2-Minuten-Umfrage. Bitte mach mit!
Warum mitmachen? Ich weiĂ, dass viele Blaupause-Mitglieder eine Menge wissen. Wahrscheinlich hast du beim lesen schon hĂ€ufiger gedacht: "Dazu fĂ€llt mir dies und das ein. Warum guckt er sich nicht mal dieses Projekt an? Dazu hab ich eine Idee!" Vielleicht hast du sogar mal ĂŒberlegt: "Ich könnte ich aus meiner Erfahrung berichten." Mein Problem: Ich weiĂ nicht, was du weiĂt.    Deswegen kann ich dich nicht kontaktieren, bevor ich eine neue Ausgabe recherchiere. Die Umfrage Ă€ndert das.
Was passiert, nachdem du die Umfrage ausgefĂŒllt hast? Wahrscheinlich erstmal wenig. Allen Teilnehmenden schicke ich kommende Woche eine Auswertung der Ergebnisse zu. Allerdings werde ich dich irgendwann kontaktieren und dich nach genau denem Spezialwissen fragen, in der Hoffung, dass alle Blaupausen-Leser:innen von dir lernen können.Â
Bis nĂ€chsten Montag, Â
đ Sebastian
PS: Herzlich willkommen den neuen Blaupause-Mitgliedern (Si apre in una nuova finestra) Steffen, Christian, David, Marlene und Sebastian! Das Think-In beginnt heute Abend schon um 4, es geht um das Thema dieser Ausgabe, Engagement.
đ Hat dir jemand diesen Newsletter weitergeleitet? Dann melde dich hier kostenlos an. (Si apre in una nuova finestra)
𫧠Kennst du jemanden, dem die Blaupause auch gefallen könnte? Das teile diesen Link (Si apre in una nuova finestra) oder öffne hier eine E-Mail, die du versenden kannst. (Si apre in una nuova finestra)
đ„ Henning Kornfeld vom Medienbranchendienst Turi2 (Si apre in una nuova finestra) hat mir diese Woche Fragen zur Blaupause gestellt:
https://twitter.com/hkornfeld/status/1522120581105307648 (Si apre in una nuova finestra)đ± UnterstĂŒtze meine Arbeit mit einer Blaupause-Mitgliedschaft. Du bekommst den ausfĂŒhrlichen Newsletter, wir lernen uns kennen und tauschen uns aus.
mehr erfahren (Si apre in una nuova finestra)
Sei giĂ un affiliato? Accedi (Si apre in una nuova finestra)