Passa al contenuto principale

Rechtsextremismus als Massenhysterie

Psychoanalyse der Neuen Rechten: Wie Trump, Kickl, Weidel & Co. an sich anständige Leute zur Bestialität umerziehen.

Der legendäre Sozialforscher Leo Löwenthal hat einmal in einem Interview die faschistische und populistische Agitation mit den schönen Worten charakterisiert, „dass sie die Psychoanalyse auf den Kopf stellt“. Während der Psychoanalytiker die Neurosen, psychotischen Störungen und die Spuren von Traumata im Individuum zu heilen versucht, betreibt die populistische Agitation das Gegenteil: die schürt die Wut, die Verbitterungsgefühle, will ihre Anhänger in vollends paranoide Charaktere verwandeln. Löwenthal: „Man macht den Menschen neurotisch und psychotisch und schließlich völlig abhängig von ihren sogenannten Führern“ und verstärkt „die mörderischen, aggressiven und destruktiven Impulse“.

Leo Löwenthal war eine der Zentralfiguren der später „Frankfurter Schule“ genannten Gelehrtengruppe, hat mit Theodor W. Adorno und Max Horkheimer die Untersuchungen über den „autoritären Charakter“ entwickelt, und in seiner Studie „Falsche Propheten“ minutiös die Techniken und Rhetoriken amerikanischer faschistischer Führer offengelegt. Es gibt bis heute wenig an Gesellschaftstheorie rechter Bewegungen, das diese Arbeiten übertrifft.

Ich denke in letzter Zeit häufiger und intensiver über diese Studien nach, und zwar aufgrund eines Verdachtes, den man auch eine Art Terror des Vorgefühls nennen kann: Agitation und Verhetzung macht Menschen nicht nur zu Wählern rechter Parteien, sie spricht auch nicht einfach „Vorurteile“ und Ressentiments an, die die Menschen schon haben – sie verwandelt diese Menschen. Und zwar sowohl die Menschen als einzelne Individuen als auch als Kollektive von Individuen.

Wie rechte Agitation die Menschen verändert

In der mittlerweile endlosen Literatur zum Aufstieg der Neuen Rechten wird leider hauptsächlich analysiert, warum Menschen zu Anhängern harter Rechtsparteien werden, durch welche Verwundungen das begünstig wird, welche gesellschaftliche Pathologien und Ängste angesprochen werden. Bedrohungsgefühle durch Wandel werden ins Treffen geführt, Abstiegsängste, ein Mangel an sozialer Anerkennung usw. Das ist alles total richtig. Aber es wird viel weniger untersucht – und zwar sowohl empirisch wie theoretisch –, wie das die Menschen verändert, die in die Fänge der rechten Agitation geraten, und damit auch, wie das Gesellschaften verändert, die Opfer dieser Agitation werden.

Dabei wissen wir aus dem Horror der Geschichte: Ende der dreißiger Jahre machten Menschen enthusiastisch bei der Judenvernichtung mit, die sich das zehn Jahre vorher nicht hätten vorstellen können. In den neunziger Jahren machten am Balkan Menschen bei der systematischen Ermordung ihrer Nachbarn mit, die sich das zehn Jahre vorher nicht hätten vorstellen können. Wir können hier noch sehr viele weitere Beispiele aufführen, die beiden sollten aber reichen, um klar zu machen: Dazwischen liegt stets eine Phase der Verwandlung, in der die Menschen psychisch geradezu ummontiert wurden. In denen Anlagen von Verbitterung und Grausamkeit vorsätzlich zum Eskalieren gebracht wurden. Simpel gesagt: In denen die Menschen buchstäblich zu „ganz anderen“ gemacht worden sind. Jahre, in denen sie zur Grausamkeit und Bestialität umerzogen wurden.

Eines der Instrumente dafür ist natürlich, diese jeweiligen Anderen – die „Feinde des Volkes“ – in den grellsten Farben zu zeichnen, sie unentwegt so zu charakterisieren, als wären sie Monster, bis sie in den Augen der faschistischen Anhängerschaft so weit entmenschlicht sind, dass man ohne Achselzucken an ihnen die unmenschlichsten Verbrechen begeht. Das ist ein schleichender Prozess. Aber auch das ist nur ein Aspekt des dynamischen Geschehens, in dessen Zuge sich die Umerziehung zur Grausamkeit entfaltet.

Erziehung zur Grausamkeit

Diese Verwandlung des populistisch-faschistischen Anhängersubjektes ist der blinde Fleck unserer Debatten und Gesellschaftsanalysen. Gerne wird ja erklärt, dass der Aufstieg der Neuen Rechten von Trump bis zu Kickl und zur FPÖ bis zur AfD vor allem ein Symptom für das Versagen traditioneller Parteien, auch der Linksparteien sei: Menschen fühlen sich vom politischen System nicht mehr repräsentiert, ihre Probleme, der ökonomische Stress und ihre Abstiegs- und Verlustängste sind ignoriert, die Ungerechtigkeiten der heutigen Welt werden einfach so hingenommen. Dann kommen populistische Anführer, zeigen auf Eliten, die sich angeblich gegen die Masse der „normalen Leute“ verschworen hätten und bekunden: „Ich bin Eure Stimme.“ Und die Leute laufen ihnen nach, quasi aus Notwehr gegenüber einer Politik, die sie vergessen hat. Die implizite Botschaft dieser Art von Analyse ist: an sich gute Leute werden von bösen Rattenfängern „verführt“.

Das ist ja auch nicht gänzlich falsch. Es trifft einen Teil der Wahrheit. Aber eben nur einen Teil.

Eine andere Spielart der Gesellschaftsanalyse zeigt, dass eine Reihe von Voraussetzungen und Persönlichkeitsmerkmale diese „Verführbarkeit“ begünstigt. Etwa eine rigide Persönlichkeitsstruktur, die es erschwert, mit Ambiguitäten und Graustufen umzugehen und die dazu neigt, die Welt in Schwarz und Weiß zu teilen; oder ein Hang zu konventionellen Vorstellungen; eine Lebensgeschichte von mangelnder Anerkennung, am besten von Kindestagen an; der Hang zu autoritärer Unterwürfigkeit kombiniert mit Impulsen autoritärer Aggression; Machtdenken, Destruktivität und Zynismus.

Menschen des Ressentiments

Es besteht auch weitgehender Konsens, dass ein wichtiger Nährboden für die Empfänglichkeit menschenfeindlicher und autoritärer Botschaften das Ressentiment ist. Das Ressentiment, der Groll, also der Hang dazu, Andere als Urheber des eigenen Missvergnügens zu betrachten und diesen die Schuld dafür zu geben, ist wohl im Menschen auf irgendeine Weise angelegt, bildet also tatsächlich einen „Nährboden“. Aber wenn Personen zu „Menschen des Ressentiments“ in einem eminenten Sinne werden, dann ist das eine psychische Störung. „Beim Ressentiment gibt es immer ein Überborden“, schreibt die französische Philosophin und Psychiaterin Cynthia Fleury. Ist jemand vom Ressentiment besessen, dann ist das eine „Kolonisierung des Seins“, eine „Vergiftung“ und „Selbstvergiftung“. Fleury: „Eine Person, die diese Störung hat, gibt ihre Fehler nie zu, ist aggressiv und provoziert andere, hat unbeherrschte Wutausbrüche, ist pathologisch unaufrichtig, überempfindlich, weist jede Form von Autorität zurück…“ Fleury spricht von „querulatorischer Paranoia“. Die zeitgenössische psychoanalytische Forschung kennt sogar bereits das Krankheitsbild der „Verbitterungsstörung“.

Das Ressentiment, so der deutsche Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth, hat „einen heimtückischen, schleichend zersetzenden, bösartigen und hinterhältigen Charakter“. Wer vom Ressentiment nicht nur angekränkelt, sondern vollends befallen ist, öffnet sich der Bereitschaft zur Grausamkeit, malt sich alle möglichen sadistischen Taten aus, die den Verursachern seines Unbills angetan werden könnten.

Rechtsextremismus als Massenhysterie

Der populistische und faschistische Agitator versucht täglich, diese Gefühle zu nähren und seine Anhänger in eine mehr und mehr ressentimentgeladene Masse zu verwandeln, also zu einer Masse an „Menschen des Ressentiments“. Von daher auch die enorme affektive Erregung, „mit der Populisten ihre Anliegen vortragen. Der affektive Furor aus Verbitterung, Ressentiments, Wut, Hass, Neid, Verfolgungsgefühlen, moralischer Empörung und Rachegelüsten ist das eigentliche motivationale Ferment, das die populistischen Bewegungen antreibt“ (Wirth). Die „Heftigkeit der Gefühle“ selbst ist eine charakteristische Eigenart solcher Anhängerschaften, schreiben Agnes und Thomas Stephenson im „Journal für Psychoanalyse“.

Deswegen sind rechtspopulistische Agitatoren eben nicht nur Sprachrohr einer berechtigten Empörung und nachvollziehbaren Verbitterung, sondern bombardieren ihre Anhänger mit realen genauso wie mit erfundenen Schrecken, um sie in einen Tunnelblick der Paranoia und der psychischen Störung hineinzutreiben. Es geht ihnen um die Verrohung von Menschen, die ohne sie keineswegs so rohe Leute wären. Der zeitgenössische Rechtsextremismus ist eine Massenhysterie.

Der Trump-, Kickl- oder Weidel-Anhänger muss als solche analysiert werden, also mit primär sozialpsychologischen Theoremen und Instrumenten, in all seiner Wirrheit und Paradoxie. Denn an Eigentümlichkeiten sind diese Bewegungen reich: Etwa, wie man eine Anhängerschaft mit einem Idealbild ausstattet, und sie zugleich als permanentes Opfer anspricht, als Verlierer, die von allen Seiten nur untergebuttert werden; also diese eigentümliche Mixtur aus Gigantomanie, Selbstabwertung und Selbstmitleid; oder wie die autoritäre Aggression sich mit dem antiautoritären Impuls „gegen die da oben“ paart; oder wie der kritische Impuls, keiner Art von Autorität irgendetwas zu glauben, in Verschwörungstheorien umkippt und in die Psychopathologie, der gesamten Umwelt zu misstrauen; wie der Rechtsextremismus ein Panorama allgemeiner Malaise zeichnet, diese aber geradezu genießt; wie Grausamkeiten erst ausgemalt werden (und dann begangen) und als Lustgewinn in der Phantasie (oder Realität) erlebt werden. Wie die Schwelle zur Gewalttätigkeit sukzessive gesenkt wird. Oder: die Unterwürfigkeit des autoritären Charakters, bei gleichzeitiger Renitenz und sein lustvolles Erleben des Aufgehens in der grölenden, gleichförmigen Masse, was auch als Selbstermächtigung empfunden wird. All das ist doch ohne das Kategoriensystem von Psychologie und Psychoanalyse überhaupt nicht vernünftig zu beschreiben.

Verbreitung paranoider Störungen

Der Rechtsextremismus als Massenhysterie unserer Zeit unterliegt einem Steigerungskalkül, muss die Dosis dauernd erhöhen. Insofern ist die begriffsscholastische Debatte, ob man besser vom „rechten Populismus“, vom „Rechtsextremismus“, vom „Faschismus“ oder vom „Neuen Faschismus“ spreche, weitgehend uninteressant, denn was „populistisch“ beginnt, kann durch die Eskalationslogik ganz schnell in „faschistisch“ übergehen. Wenn die Anhängerschaft psychisch und emotional ummontiert, also verändert wird, dann verändern sich die politischen Bewegungen und Anführerschaften mit. Das ist wohl auch die simple Erklärung für die Selbstradikalisierung von Parteien wir der FPÖ und der AfD und die atemberaubende Verwandlung der amerikanischen Republikaner.

Die Agitation verfolgt eine Taktik des „Alles-in-einen-Topf-werfens“ (Löwenthal), der Agitator „aktiviert die primitivsten und bedrängendsten Reaktionen seiner Anhängerschaft“. Schon Adolf Hitler, bemerkt Löwenthal, habe unverblümt bekundet, dass in die Hirne „das Bewusstsein ständiger physischer und geistiger Bedrohung eingebrannt“ werden müsse, und das Um und Auf der rechten Propaganda die „systematische Umwandlung der Begriffswelt und der Empfindungsschemata der Masse“ sei. Die Menschen werden mit Schreckensnachrichten bombardiert, somit in einen Zustand permanenter Erregung versetzt. In einer durchmedialisierten Gesellschaft mit ihrem „Schwund genuiner Erfahrung“ kommt noch hinzu, dass Menschen den Eindruck bekommen, manche Verbrechen, etwa von Ausländern oder Muslimen (und früher Juden) wären epidemisch, auch wenn sie selbst noch nie eines dieser Verbrechen selbst erlebt haben. Die Möglichkeiten zur paranoiden Aufganselung, die heute das Internet und die Social-Media-Plattformen als „Erregungsmedien“ bieten, sind noch einmal ganz andere und effektivere, als dies frühere Agitation vorfand. Mit dem Sog der extremistischen Propaganda geht immer auch eine „Entrealisierung“ einher, ein Verlust an Wirklichkeitssinn und eine Fixierung auf den Negativismus. Es ist erhellend, dass Forscher herausgefunden haben, dass sogar unglückliche Menschen noch einmal markant unglücklicher werden, wenn sie in die Fänge rechtsextremer Netzwerke geraten: die Welt, die sie vorher als Ort des Missbehagens wahrnahmen, erscheint ihnen noch mehr als bedrohlicher und feindseliger Ort, sobald sie Opfer der Agitatoren werden.

Die Gesellschaftsanalyse der Gegenwart muss also nicht nur die Umstände, die Menschen für faschistische Agitation empfänglich machen, mit rationalen Methoden ergründen, wie das heute Gang und Gäbe ist. Die Gesellschaftstheorie sollte mehr Augenmerk auf die Sozialpsychologie – oder soziale Psychoanalyse – dieser Bewegungen legen und nicht nur auf die Anführer starren, sondern sich genauer ansehen, was es mit den Menschen macht: Wie diese Menschen dann verändert, wie sie von normal empfindenden Leuten zu verbitterten, vergifteten Gefühlszombies verwandelt werden, zur Grausamkeit erzogen und zu potentiellen Mördern ummontiert.

Die Massengräber dieser Welt sind schließlich voller Ermordeter, die von irgendwann einmal „an sich guten Leuten“ vom Leben zum Tode gebracht worden sind.

0 commenti

Vuoi essere la prima persona a commentare?
Abbonati a Vernunft und Ekstase e avvia una conversazione.
Sostieni