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Und dann klickte ich auf „speichern“

Ein Date mit dem Glück: Unsere Autorin feiert ihr Buch, ihr Gestern und ihr neues Ich.

Dieses Foto! Wie ich es liebe! Eine Leserin nahm es mit ihrer Handykamera auf an diesem schwülen Donnerstag im Juli, der so viel mehr war als ein Donnerstag im Juli. Er war der Tag meiner kleinen Buchpremiere im schönsten Werkstattladen in Seeshaupt, und ich hätte mit keinem Wort beschreiben können, was sich in diesem Moment in meinem Sonnensystem abspielte. Aber als ich das Foto am nächsten Morgen auf Instagram entdeckte, konnte ich exakt die Gefühle abrufen, die ich in diesem Augenblick fühlte: vornehmes Zittern, unbändige Freude, Erleichterung und Stolz. Weswegen ich es von der ersten Sekunde an liebte. Das aufgeknöpfte, etwas schlampig gebügelte Hemd, die Perlen meiner Schwiegermama, der messy Dutt, die Art, wie ich fast ein bisschen schelmisch mein Büchlein signiere, die tausend Gedanken hinter meiner Stirn, einfach alles daran! Vor allem aber die Erinnerung an diese Ära und die Frau, die ich geworden war in all den Jahren, die ich nun schon meine Notizen verfasste. Und dass ich es bis hierher einigermaßen anmutig geschafft hatte. Danke, Petra, dass du mich in diesem Augenblick gesehen hast.

Als ich die Story auf Instagram entdeckte und die Gefühle ungefiltert in mein Herz schossen, klickte ich schnell auf „speichern“, weil ich nicht nur das Bild, sondern all die Momente meiner kleinen Buchpremiere archivieren wollte, damit sie nie verloren gehen. Ich sie immer wieder herauskramen kann, immer und immer wieder. Sie konservieren und festhalten kann für blöde Tage, an denen ich mal wieder an mir und allem zweifle. Ich jagte das Bild durch meinen Drucker und verstaute es in der Kiste mit der Aufschrift „Erinnerungen“. Weil, ach, ich mag Papier so gerne. Manchmal stecke ich die Nase rein, in alte Briefe, Fotos, Zettelchen, weil sie so nach echtem Leben riechen. Sie berühren mich, wenn ich sie berühre. Vielleicht werde ich in zehn Jahren das Foto in den Händen halten und dieser Film wird anspringen: Wie ich schon von Weitem, über die Hauptstraße kommend, das große, goldene W sehe. Wie ich aus dem Auto springe und die schweren Bücherkartons in den Werkstattladen bugsiere, vorbei an Hortensien und Buchsbäumchen. Wie ich Ulrike lachend in die Arme falle und ihr zurufe: Hello hello, da bin ich! Wie wir die Bücher auspacken und auf den mintfarbenen Verkaufsthresen legen, vier Stapel, daneben die InStyle mit meinem Büchlein auf Seite 141. Wie die ersten Gäste eintrudeln, ich meinen Knicks mache, mich freue über so viel feierliche Erwartung und ein bisschen nervös an meinem stillen Wasser nippe. Wie ich Ulrikes zärtlicher Rede lausche und von irgendwo aus der Tiefe eine Träne hochkommen fühle. Dreimal schlucke und mich wieder fange in allerletzter Sekunde. Wie ich mit dem Scheinwerfer über meinem Kopf und meinem Büchlein in der Hand seelenruhig sieben Kapitel lese plus eine Zugabe. Eine Stunde und zehn Minuten in mein eigenes kleines Leben eintauche, alles wieder fühle, durchlebe, mich wundere, leide, lache und mich für eine Sekunde wie die junge Carrie fühle. Mich getragen fühle vom Lauschen, stillen Lächeln, leisen Seufzen und all den wohlwollenden Blicken um mich herum. Wie ich mitten im Text aufschaue und staune: Ist das wirklich alles wahr? Wovor hatte ich eigentlich so viel Angst? Mich in den Klang meiner eigenen Stimme verknalle. In das Licht, die Spätnachmittagssonne, das Interieur, Ullis cooles Kleid und meine 30 Zuhörer. Dann tief einatme und ausatme, mir blasiert etwas Luft zufächere und mich strecke wie die Katze draußen auf der Straße. Wie ich dutzende Bücher signiere, bis ich meine eigene Schrift nicht mehr entziffern kann. Für Flora, Petra, Anja, Birgit, Sylke, Julia, Maj…, so viele Namen. So viel Glück.

In dem Karton mit den Fotos fand ich gestern auch ein Bild mit dem Datum Juli 2015 wieder. Darauf ich in einem rotweiß geringeltem Langarmshirt und Kellnerschürze, wie ich an einem monströsen Cimbali Kaffeeautomaten stehe und Espresso koche. Damals balancierte ich Teller, Gläser und Espressotassen statt Bücher durch mein kleines Restaurant in Seeshaupt, winkte morgens um 10 Uhr Ulrike zu, die ihren Werkstattladen auf der anderen Seite der Straße aufsperrte, ihre Schaufenster dekorierte, während ich die Sonnenschirme aufspannte und dem Rosmarin auf den Tischen frisches Wasser gab. Hätte mir damals jemand gesagt, dass der Tag kommen würde, an dem ich bei Ulli sitzen, mein Buch in den Händen halten und daraus lesen würde, ich hätte es für einen kolossal kosmischen Witz gehalten.

Aber nun saß ich hier. Mit meiner Lesebrille auf der Nase und sehr viel innerem Leuchten. Was geschehen war? Zeit war vergangen. Und das Leben. Damals war ich eine andere Frau.

Wieviele Jahre hinter uns lagen, verstand ich erst nach einer Weile, als hätte ich während der letzten zehn Jahre unbemerkt eine Transformation durchlebt. All die Menschen wiederzusehen aus meinem früheren Leben überrollte mich wie eine riesengroße Welle. Ich stand in der Tür, hielt mich an meinem Buch fest, elektrisiert von all dem Wiedersehen, von Küsschen links, Küsschen rechts, so vielen lachenden Gesichtern, so viel spürbarer Freude, als ginge ein kollektives „Hach“ durch unser aller Leben. So viel Leuchten in den Augen, so viel „Hach, wie geht’s dir denn?“. Es war, als würde jemand das Pflaster von einer Wunde reißen und darunter war alles verheilt.

Früher feierte ich Partys nicht gern, jedenfalls nicht meine eigenen. Schon als Kind machte mich meine Geburtstagssause jedes Jahr fertig. Was, wenn keiner kommt? Was, wenn sich keiner amüsiert? Wenn wir nicht genug Limo/Chips/coole Songs haben? Gastgeber zu sein, erfordert eine gewisse Lässigkeit, auf die ich lange vergebens wartete. Aber gekniffen wird nicht. Gab auch gar keinen Grund, denn wider Erwarten kamen ganz viele zu meiner kleinen Buchpremiere. Ich amüsierte mich köstlich, alle waren fröhlich, freundlich, mein Herz schlug friedlich in meiner Brust, und Limo in Form von Gin Tonic gab‘s auch genug. Danke from the bottom of my crazy heart dafür! Alle Aufregung also mal wieder für die Katz gewesen! Hätte ich das mal früher geahnt. Aber das ist ja das Dolle am Leben: keine Generalprobe! Also muss man sich von Zeit zu Zeit ins Leben stürzen und beten, dass es gut wird. Oder, statt beten, einfach tief atmen, die coolsten Freunde und Gastgeber auf der ganzen Welt haben, dem Universum vertrauen und dankbar loslassen, whatever works.

Später an diesem Abend saßen wir noch in kleiner Runde gegenüber in diesem kleinen Restaurant, das mal meins war. Erst wollte ich abhauen, flüchten vor meinen Gefühlen und all den Dingen, die mich daran erinnerten, wer ich mal war. Aber dann sagte ich mir: Hey, sollte es etwa anders sein? Ein trauriger Schuppen vielleicht? Also schüttelte ich mich dreimal, warf meine Melancholie für alle Zeit über Bord, streichelte der Frau im rotweiß gestreiften Ringelshirt ein letztes Mal übers Köpfchen und entschied, dass ich jetzt Schriftstellerin bin. Und dann steckten wir die Köpfe zusammen, lachten, feierten das Leben, diesen endlosen Sommer und meinen Erfolg. Mitten auf dem Tisch lag mein Buch, ein bisschen abgewetzt, ein bisschen runtergerockt von den zurückliegenden Wochen. Und mit all den Geschichten aus meinem neuen Leben.

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