Schwarzheide steigt auf
ANALYSE / INDUSTRIE IN OSTDEUTSCHLAND
Die Landkarte der deutschen Industrie verändert sich. Wie weit die Lausitz ins Zentrum rückt, zeigt Europas erste Kathodenanlage in Schwarzheide. Ostdeutschland punktet zurzeit auf überraschende Weise.
von Christine Keilholz
Juli 2023

Es war ein Moment, der die Lausitz in den Fokus der europaweiten Aufmerksamkeit rückte. Bei der BASF in Schwarzheide entsteht Europas erste Anlage für Kathodenmaterial. Die Eröffnung in der vergangenen Woche sicherte eine beispiellose Aufmerksamkeit. Etliche große Medien (Opens in a new window) hatten Reporter geschickt. Elektromobilität, um die es hier ging, galt noch vor wenigen Jahren als irre Idee von grünen Romantikern. Doch in Zeiten geostrategischer Energiepolitik ist eine frisch angelaufene Produktionsstätte für Batteriekomponenten eine gute Nachricht ersten Ranges.
Aber es geht bei dem Werk in Schwarzheide nicht nur um die Entwicklung der Lausitz, sondern im Mittelpunkt steht eine industriepolitische Verschiebung zwischen West und Ost. BASF ist einer der traditionsreichen deutschen Konzerne. Für seine innovativen und wichtigen Produkte braucht der Chemieverarbeiter enorme Mengen an Strom. Und dafür ist der neue Standort offenbar gut geeignet. Auch Robert Habecks (Grüne) Worte machten deutlich, dass es hier nicht um eine x-beliebige Investition geht. „Bisher sind wir komplett abhängig bei Batteriekomponenten vom Ausland“, sagte ein zufriedener Bundeswirtschaftsminister. „Eine Unabhängigkeit entsteht hier in Schwarzheide für Europa. Danke.“
Für den Konzern war es ein „starkes Signal für die Transformation der BASF hin zur Klimaneutralität“, wie der Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller (Opens in a new window) betonte. Batterien für 400.000 Autos sollen in Schwarzheide hergestellt und recycelt werden. Dass diese wichtige Technologie gerade hier umgesetzt wird, hat viele gute Gründe. Einer davon war mit Händen zu greifen, obwohl es weder Brudermüller noch der Präsident des Bereichs Catalysts, Peter Schuhmacher (Opens in a new window), offen aussprach: Schwarzheide ist zum aussichtsreichsten der vier deutschen BASF-Standorte avanciert.
Kein Industriewachstum ohne Erneuerbare
Für den Industriegiganten Nummer zwei der Lausitz bedeutet das eine Aufwertung. Das knapp 90 Jahre alte Werk ist zu einer Produktionsstätte von europäischem Rang geworden. Vor zweieinhalb Jahren begann der Bau an der Kathodenanlage. Dann begann der Krieg in der Ukraine, der erst deutlich machte, wie wichtig es ist, in der Energieversorgung neue Wege zu gehen.
„Der Markt für Batteriematerialien der weltweit größte in der Chemie“, sagt Brudermüller. Die Leistungsfähigkeit der E-Autos hängt von der Batterie ab, also wiederum von der Leistungsfähigkeit der chemischen Industrie. Die schlug vor einem Jahr Alarm auf allen Kanälen. Als die Strompreise in die Höhe kletterten, war die Chemiebranche die erste, die dunkle Szenarien an die Wand malte - und sogar unverhohlen mit der Verlagerung von Standorten ins Ausland drohte, falls die Politik keine Lösung fände.
Als die Aufregung am Siedepunkt war, ereignete sich in Schwarzheide ein kleines Wunder. Im Sommer 2022 schloss BASF einen Solarpark (Opens in a new window) ans Netz an. 52.000 Module auf eigenem Gelände sollen zehn Prozent des Stroms für das gesamte Werk erzeugen. Ein Jahr später lächelt Standortleiter Jürgen Fuchs (Opens in a new window) breit und zufrieden, wenn er auf das firmeneigene Sonnenkraftwerk angesprochen wird. Ja, die zehn Prozent habe man erreicht, auch die Kathodenanlage profitiere davon. Diese zehn Prozent geben nicht nur ein Stück Energiesicherheit, sie geben dem ehemaligen Synthesewerk Standortsicherheit. Mehr noch: Sie sichern Schwarzheide auf lange Sicht einen Vorrang vor den drei anderen BASF-Zentren. Denn keines von denen hat genug Platz, um grünen Strom zu produzieren - ohne den Industriewachstum nicht mehr denkbar ist.
Platz und Subventionen
Hier wird deutlich, was bisher meist als Floskel von Regionalwerbung ostdeutscher Bundesländer daher kam. Der Schwerpunkt der deutschen Industrie verlagert sich vom Süden nach Norden - genauer: von Südwest nach Nordost. Die Energiewende hat dafür gesorgt, dass große Ansiedlungen nur noch dort zu erwarten sind, wo neben Platz für Hallen auch Platz für erneuerbare Energien verfügbar ist. Der firmeneigene Boden, den der Vorstandsvorsitzende der Leag, Thorsten Kramer (Opens in a new window), „Goldstaub“ nannte, ist nicht nur für die Energiekonzerne von unschätzbarem Wert, sondern auch für jede andere Industrie. Vorteil für Ostdeutschland, wo es noch zahlreiche Tagebaue, freie Äcker und Flugplätze gibt.
Wie schwer dieser Vorteil wiegt, zeigte zuletzt die Ansiedlung von Intel (Opens in a new window) in Magdeburg. Der verfügbare Platz in Zusammenwirkung mit zehn Milliarden Euro an Subventionen vom Bund gab für den US-Konzern den Ausschlag - und machte sogar den Fachkräftemangel in der weiteren Umgebung zu einem lösbaren Problem. Ein Großteil der Chip-Produktion in Deutschland wird nun also in Sachsen-Anhalt erledigt.
Kohle zu Benzin, Wind zu Batterien
Und ein Großteil der Batterieproduktion in Schwarzheide. 500 Millionen Euro soll die Anlage gekostet haben, davon flossen 175 Millionen an staatlicher Unterstützung. Die angepeilten 20 Gigawattstunden Produktion werde man sicher erreichen, sagte Peter Schuhmacher. „Die Anlage ist ausverkauft.“ Daneben baut BASF aktuell noch eine Recyclinganlage für Akkus.
Die Konzernspitze lobte den Standort als aussichtsreich und vorteilhaft. Brudermüller: „Wir haben Fläche, erneuerbare Energien und wettbewerbsfähige Infrastruktur. Vor allem haben wir hier gut ausgebildete Fachkräfte“, sagte Martin Brudermüller, der es tunlichst vermied, eine Rangfolge der Standorte aufzumachen. Ebenfalls keine Aussagen machte die Konzernspitze darüber, ob auch die geplante Raffinerie in Schwarzheide angesiedelt werden soll. Diese Standortentscheidung, hieß es, sei noch nicht gefallen.
Batterierecycling wird erst in eigenen Jahren zu einem guten Geschäft. Noch sind zu wenige Elektrofahrzeuge auf der Straße, die verschrottet werden. Erst wenn die Altbatterien in den Markt kommen, wird sich die Schwarzheider Anlage vollends auszahlen. „Hier wurde aus Kohle Benzin hergestellt, und jetzt aus Wind Batterien“, sagte Wirtschaftsminister Habeck. Es sei ja kein Zufall, dass die Transformation in Regionen stattfinde, wo ein politisches Bekenntnis zum Wandel vorhanden sei.