“Das Loch nicht mit Essen stopfen…”
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Liebe Leserin,
es ist Freitagmorgen und Sie lesen den Info-Letter zu Systemischer Therapie bei belastetem Essverhalten von mir, Nora Stankewitz, Systemischer Therapeutin und Beraterin für Intuitiv Essen lernen.
Heute:
✔ Leserinnen-Frage: Essen bei Traurigkeit
✔ Beratungsangebote: Freie Plätze ab Juli
✔ Schicken Sie mir Ihre Frage per Antwort auf diese Mail
#1 – Die Leserinnen-Frage
„Hallo Nora, ich hab eben das Bild gesehen und musste schmunzeln. Und an dich denken. Meine Frage wäre: was kann ich bei Traurigkeit/Einsamkeit tun, um das Loch nicht mit essen zu stopfen? Mir vorher Dinge überlegen, die mir gut tun? Liebe Grüße – Jana, 32 (anonymisiert)

#2 – Meine Antwort: Unsere Gefühle haben eine Funktion
Liebe Jana,
hab vielen Dank für deine Frage. Ich bin froh, dass du sie mir geschickt hast, weil ich davon ausgehe, dass sich sehr viele Frauen genau darüber Gedanken machen.
Lass mich ein paar Aspekte in meiner Antwort aufgreifen, von denen ich hoffe, dass sie für dich hilfreich sein könnten:
1. Emotionales Essen oder körperlicher Nachholbedarf?
Wichtig zu Beginn eines solchen Prozesses, in dem du dich mit dir, deinem Essverhalten und auch deinem emotionalen Status Quo beschäftigst, ist, erst einmal zu überprüfen, ob du es tatsächlich mit emotionalem Essen zu tun hast.
Kleiner Exkurs: Emotionales Essen beschreibt das Phänomen, dass wir Nahrung nicht zur Stillung von körperlichem Hunger verwenden, sondern als Bewältigungsstrategie für Gefühle wie Traurigkeit, Einsamkeit, Stress oder Langeweile. Dabei nutzen wir Essen als eine Art "emotionales Pflaster" – es kann kurzfristig Trost spenden, unangenehme Gefühle dämpfen oder eine innere Leere vorübergehend füllen. Aus systemischer Sicht ist emotionales Essen ein Lösungsversuch unseres Systems, mit schwierigen Emotionen umzugehen, wenn andere Strategien fehlen oder nicht verfügbar sind. Es ist wichtig zu verstehen, dass emotionales Essen nicht "falsch" oder "schwach" ist, sondern eine erlernbare Bewältigungsstrategie, die durch neue, direkte Wege der Emotionsregulation erweitert werden kann. Und auch: Emotionales Essen ist etwas furchtbar Normales, was wir alle tun. Denk nur einmal, dass Essen gehen nach einer bestandenen Prüfung, das Anstoßen auf einen Geburtstag, das Mitbringen von Brot und Salz zu einer Einzugsparty. :-D
Es wird vor allem dann als Belastung empfunden, wenn wir mehr wiegen als wir uns wünschen, wir körperliche und seelische Schmerzen durch ein (Über)Essen erleben.
Tatsächlich erlebe ich es häufiger, dass Frauen, die zu mir kommen, nämlich vor allem zu wenig, zu unregelmäßig, zu kontrolliert essen. Ihr Körper ist dann nicht gut genährt, häufig werden alle Aufgaben des Tages in der Mangelversorgung erledigt und abends, wenn es ruhiger wird, die Kinder im Bett sind, du selbst müde bist, dann ist Zeit und Raum den Körper zu nähren. Wenn wir den ganzen Tag zu wenig gegessen haben, reagiert unser Körper mit einem biologischen "Notfallprogramm": Der Blutzuckerspiegel sinkt, Stresshormone wie Cortisol steigen an, und das Gehirn sendet intensive Hunger- und Verlangenssignale aus. Die Bereiche im Gehirn, die für bewusste Entscheidungen zuständig sind, haben weniger Energie zur Verfügung. Das führt dazu, dass wir abends oft zu größeren Mengen greifen und besonders energiereiche, schnell verfügbare Lebensmittel bevorzugen – der Körper versucht, das Energiedefizit möglichst schnell auszugleichen. Dieser Mechanismus ist evolutionär sinnvoll und schützt uns vor Unterernährung, kann aber in unserem Alltag zu dem Gefühl führen, "die Kontrolle verloren" zu haben, obwohl es sich um eine völlig normale physiologische Reaktion handelt.
Liebe Jana, falls du feststellst, dass das bei dir häufiger zutrifft, kannst du trotzdem auch von emotionalem Essen betroffen sein. Es schließt sich nicht aus beides zu erleben.
2. Traurigkeit und Einsamkeit: Was brauchst du wirklich?
Ich verstehe dich so, dass du den Eindruck hast, ein emotionales Loch mit Essen zu stopfen. Du schreibst von Traurigkeit und Einsamkeit. Es ist super wichtig, dass du diese beiden Gefühle für dich erkannt hast.
Worüber bist du traurig? Fühlst du dich im inneren oder äußeren einsam? Oder beides?
Diese Unterscheidung ist wichtig, weil sie dir zeigt, welche Art von Unterstützung du brauchst. Traurigkeit möchte oft gefühlt und gewürdigt werden, während Einsamkeit nach Verbindung ruft - manchmal zu anderen Menschen, manchmal aber auch zu dir selbst.
Gibt es Unterschiede zwischen den Tagen? Fühlst du dich mal trauriger als an anderen Tagen? Fühlst du dich immer gleich einsam?
Ich würde dich einladen wollen, für dich nach Unterschieden zu suchen, um erste Ideen zu bekommen, in welche Richtung deine Lösung gehen könnte.
Wie möchtest du dich stattdessen fühlen? Was würdest du gerne machen wollen, statt zu essen? Wonach sehnst du dich?
Deine Gefühle von Traurigkeit und Einsamkeit haben wichtige Botschaften für dich. Ich wünsche dir, den Mut, dich näher mit ihnen zu befassen.
3. Emotionales Essens als Botschaft
Emotionales Essen ist aus systemischer Sicht ein Lösungsversuch deines Systems – es erfüllt eine wichtige Funktion, auch wenn sie dir im Moment vielleicht nicht hilfreich erscheint. Essen kann kurzfristig trösten, beruhigen oder eine innere Leere füllen, wenn andere Strategien gerade nicht verfügbar sind. Das ist völlig normal und menschlich. Aus Sicht des intuitiven Essens ist es wichtig zu verstehen: Du machst nichts "falsch", wenn du manchmal emotional isst. Dein Körper und dein emotionales System arbeiten zusammen, um dich zu unterstützen – auch wenn der Weg manchmal umständlich erscheint. Die Frage ist nicht, wie du emotionales Essen komplett vermeidest, sondern wie du nach und nach andere, direktere Wege findest, deine emotionalen Bedürfnisse zu erfüllen. Welche Botschaft könnte dein emotionales Essverhalten für dich haben?
Was du jetzt ausprobieren könntest:
- Überprüfe doch einmal, ob du an einem für dich recht normalen Tag ausreichend isst und ob du deinem Körper alle wichtigen Bestandteile wie Kohlehydrate, Eiweiße und Fette zufügst. Wenn du feststellst, dass das nicht so ist, dann wäre es wichtig, deine Ernährung auf deinen Energiebedarf anzupassen. Denn ein Mangel an allen Nährstoffen, kann Essanfälle massiv begünstigen.
- Versuche für eine Woche – vielleicht immer am Abend – aufzuschreiben, wie es dir über den Tag ging. Was hast du erlebt und wie hast du dich dabei gefühlt? Gibt es vielleicht häufig emotionale Zustände, die mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung bräuchten, wofür aber weder Zeit noch andere Kapazitäten da sind?
- Wenn du dich dazu bereit fühlst, dann versuche mal in einem passenden Moment deine Traurigkeit/deine Einsamkeit einzuladen: Wie genau fühlt sie sich an, was könnte sie sagen/wollen/dich aufmerksam machen?
Ich wünsche dir und allen Leserinnen, die sich hier wiederfinden von Herzen alles Gute und Momente der Verbundenheit mit dir selbst.
#3 – Senden Sie mir Ihre Fragen
Haben auch Sie eine Frage zum Thema belastetes Essverhalten, intuitives Essen oder Körperakzeptanz? Ich lade Sie herzlich ein, mir zu schreiben.
Schreiben Sie mir einfach eine Antwort auf diese E-Mail. Ihre Frage wird selbstverständlich anonym behandelt.
#4 – Aktuelle Beratungsangebote
Einzelberatung und Paarberatung: Ab Juli habe ich wieder freie Plätze für Einzel- und Paarberatungen. Wenn Sie Interesse an einer individuellen Begleitung haben oder gemeinsam mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin an Ihrem Essverhalten und den damit verbundenen Beziehungsthemen arbeiten möchten, kontaktieren Sie mich gerne für weitere Informationen oder zur Terminvereinbarung.
Ich wünsche Ihnen ein sonniges Wochenende und eine freundliche Neugier, sich noch besser kennenzulernen.
Herzlich und bis bald,
Ihre
Nora Stankewitz
Systemische Therapeutin (DGSF)
Beraterin für Intuitives Essverhalten