Heideggers Bauernschuhe oder zum möglichen Nutzen von KI-Tools
Nach Veröffentlichung des gestrigen Textes folgte eine kleine Diskussion bei Bluesky.
Ihr Thema: der Nutzen von KI-Tools beim Verfassen von Texten. Weil ich, anders als bei bisherigen Texten, Claude AI genutzt hatte.
Es fällt mir persönlich nicht schwer, ohne KI zu schreiben. Ich hatte Zeit meines Lebens Möglichkeiten, das zu üben - wenn wir in der Grundschule 5 Sätze zu Worten mit “ß” schreiben sollten, als Hausaufgabe, habe ich daraus eine kurze Geschichte entwickelt und durfte sie auch vorlesen. Ich stamme aus einem bildungsbürgerlichen Haushalt, in dem sprachliche Skills vermittelt wurden. Mein Vater schrieb als Finanzrichter zwar nur Urteile, war als Lokalpolitiker aber rhetorisch geschult. Meine Mutter begab sich in ein Fachhochschulstudium, als ich 6 Jahre alt war. Von da an waren lauter Studierende, später auch Promovierende, Psychologen und Psychoanalytiker in meinen familiären Umfeldern präsent. Meine Schwester studierte ebenfalls. Ich habe als erstes Praktikum eines bei einer Stadtzeitung gemacht, lange Hausarbeiten geschrieben, eine Examensarbeit, unzählige Konzepte für das Fernsehen und Off-Texte, konnte Wolf Schneider lesen und habe unendlich viel Feedback bekommen; auch solches, das sprachlich deformieren kann, weil es formatiert, trivialisiert und Sprache depotenziert.
Dabei galt es mal, die BRAVO-Welt, mal das ZDF-Hauptprogramm zum Erklingen zu bringen - als gesprochene Sprache.
Ich brauche keine KI wie Claude, aber ich finde sie nützlich. Ich glaube auch nicht an „individuelle" oder „authentische" Ausdrucksformen. Klar eignet man sich solche an, aber immer in Kommunikation mit Anderen, mit Medien und Texten. Man entwickelt gegebenenfalls etwas, was als „eigen" gelten kann, aber die Unmöglichkeit einer „Privatsprache" hat schon Wittgenstein belegt. Schwierigkeiten, das, was gefühlt wird zum Ausdruck zu bringen, gibt es dabei immer; aber Worte produzieren auch Gefühle, triggern, und der je eigene „Stallgeruch" erklingt sowieso mit.
Was hat das alles mit KI zu tun? Man kann sie aus Faulheit nutzen und u.U. auch gar nicht verstehen, was sie ausspuckt. Klar. Man hat sogar bei Texten des Kulturstaatsministers den Eindruck, dass dies bei ihm der Fall sein könnte. Es gibt Bots und automatisierte Propaganda, manche nutzen sie ohne weitere Reflektion für Youtube-Video-Skripte.
Das verschwindet aber alles nicht, wenn man in Kritik verbleibt. KI als Schreibhilfe verstärkt dabei nur das, was vorher schon gemacht wurde: Phrasen dreschen, Nachplappern, nicht groß nachdenken. Hauptsache, Worte erzielen Wirkung und generieren Chancen.
Das zeigt sich in Amtssprachen ebenso wie in akademischen Codes, im Jargon von Hip Hop-Tracks wie auch im alltäglichen Selbstmarketing. Ich habe Menschen Karriere machen sehen, die immer nur die Sätze variierten „Es muss populär sein", „Es geht um die Quote" und „Das ist es, was die Leute sehen wollen!" oder langen Gesprächen gelauscht, in denen verschiedene Versionen von „Der FC St. Pauli ist die einzige Möglichkeit" um Beifall heischend den Abend füllten. Ich saß in Promovenden-Kolloquien, in denen sich manche den Weg zu „summa cum laude" ebneten, indem sie bestmöglich den begutachtenden Professor imitierten. Von politischen Diskussionen ganz zu schweigen - alleine, was an Wortbausteinen rund um das Thema Antisemitismus reflexartig in sozialen Medien abgesondert wird, funktioniert nicht viel anders als KI, und die Versatzstücke gab es auch vorher schon.
Was eine KI wie Claude bietet, ist eine Mischung aus Schreibhilfe, Recherchetool und Unterstützung bei der Entwicklung von Ideen. Klar, sie wird, wie jeder einführende Text zu Adorno, anders rezipiert, je nachdem, ob man den Philosophen nun im Original gelesen hat oder nicht, unterschiedlich genutzt. Manche haben halt das Privileg, bei Schnädelbach studiert zu haben, andere nicht. Manche bekommen das kulturelle Kapital zu Hause fast nebenbei vermittelt, andere müssen dafür hart arbeiten. Manche arbeiten mit Sprache, andere nicht.
In alledem darf, denke ich, nicht das emanzipatorische Potenzial übersehen werden. All die Youtube-Tutorials und TikTok-Philosophen bieten auch die Chance, sich Stoizismus anzueignen - jenen, die so etwas nicht an Universitäten lernen durften. Und weil sie nicht das Glück hatten, die Skills nebenbei vermittelt zu bekommen.
Ich zähle dazu prinzipiell auch KI. Es gibt Fälle, bei denen politische Parameter die Ergebnisse beeinflussen - ich würde eine Elon Musk-KI nicht nutzen. Bei Claude fiel mir das noch nicht auf. Ich finde auch Brainstorming mit Claude nicht uninteressant. Es ist eher voraussetzungsreicher als viele andere Kommunikationen. Man sieht live, wie die Software recherchiert, sie verweist auf Quellen im Netz und kann so auch als Einstieg in Themenbereiche dienen. Ich werde weder dafür bezahlt, sie zu promoten, noch habe ich sie für diesen Text genutzt.
Ich denke dennoch, dass es, wenn es diese Tools schon gibt, unsinnig wäre, sie immer nur den Rechten zu überlassen. Mit ihrer „Metapolitik" nutzen sie ja solche Mittel, Lebenswelten auch kulturell zu manipulieren, indem sie die hypnotisch-repetitiven Tools verwenden, die KI generieren kann - und das schon, bevor es sie gab. Man kann sich dem ergeben, vornehm in Seminarräume zurückziehen und sich in unendlichen Spiralen von Kulturkritik üben - oder man hält dagegen.
Es ist zweifelsohne richtig, die Überwachungstechniken von Palantir und die gruseligen völkischen Meme allerorten in Grund und Boden zu kritisieren.
Die Frage ist jedoch, welche Parameter dabei angelegt werden.
Zu häufig wird in das Horn der Kulturkritik der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts gestoßen. Exemplarisch kann man das an einem Text durchspielen, der Anfang der 90er erschien - „Postmodernism" von Fredric Jameson und eine Bezugnahme auf Martin Heidegger. Dazu später mehr.
Es geht um die Frage des „Authentischen". Bei Heidegger heißt das „Eigentlichkeit". Die Kulturkritik der Weimarer Republik trat zumeist als eine der Massenkultur auf und setzte dem wahlweise, unter anderem in der „Zurück zur Natur"-Jugendbewegung des Kaiserreichs gründend, das „Lebendige" entgegen. Oder das Individuum. Oder tradierte kulturelle Praxen.
Zumeist zeichnete sie eine Verfallsgeschichte - wie Spengler den „Untergang des Abendlandes", „Geschichtsvergessenheit", also Verlust der Ursprünge, bei Heidegger oder „Hollywood = Holocaust", was sich so aus dem „Kulturindustrie"-Kapitel der „Dialektik der Aufklärung" Horkheimers und Adornos heraus lesen lässt. Solche Verfallsgeschichten kursieren derzeit viele anlässlich von KI.
Der gute Grund hinter diesen Ansätzen findet sich in der Technikbesessenheit der Futuristen und anderer Faschisten, am deutlichsten in Ernst Jüngers „Der Arbeiter", wie auch der propagandistischen Wirkung von Massenkultur.
Umgekehrt wirkte die völkisch gewendete „Eigentlichkeit" als „Reinheit des Volkskörpers" ebenfalls im Nationalsozialismus, und Heidegger schwamm dabei mit. Eben der Versuch, herbei imaginierte „Ursprünge" als wiederherzustellende in politischer Praxis zum Ziel zu erklären. Man sieht das aktuell gleichermaßen bei Trump wie im Falle der AfD, zum Teil auch in den Unionsparteien.
Deutlich wird diese Struktur aber auch beim Linken Fredric Jameson. In „Postmodernism" setzt er sich mit dem berühmten „Kunstwerk"-Aufsatz von Heidegger auseinander. In „Der Ursprung des Kunstwerks" fabulierte letzterer am Beispiel von van Goghs Gemälde der „Bauernschuhe" (Abre numa nova janela), dass in diesen noch die „lebensweltliche Situierung" (kein Begriff Heideggers, eher Husserls) der Schnürstiefeletten spürbar bliebe, deren Erdverbundenheit und Funktion im Alltag der Landwirte sich zeige.
Jameson kontrastiert damit die „Diamond Dust Shoe (Abre numa nova janela)s" Andy Warhols - Siebdrucke von Pumps. Diese würden gar nicht mehr zu uns „sprechen". Sie böten Betrachtenden keine Möglichkeit mehr, diese zu sich in Beziehung zu setzen. Jameson trug offenkundig keine Pumps und konnte „Sex and the City" auch noch nicht gesehen haben. Er zitiert Derrida, der in den dargestellten Objekten die Möglichkeit „heterosexueller Fetischierung" und somit „Perversion" erblickt habe. Für einen Mann, der nie Pumps trug, sind das schon krass konservative Worte - und das auch noch im Falle des Werkes eines schwulen Künstlers. Dahin führt eben „Eigentlichkeit", die sich erdverwachsen und körperbezogen gibt: sie behauptet Abweichungen als “pervers”. Wenn auch mit Derrida vorsichtshalber heterosexuell konnotiert, was die Sache aber nicht besser macht.
Abgesehen von der Queerfeindlichkeit Jamesons, die sich auch darin zeigt, dass er so eine Seinsweise wie „queer" in seinem Werk „Postmodernism" ansonsten gar nicht auftauchen lässt, mündet das Ganze in Kapitalismuskritik:
Deutsche Tiefe versus amerikanische Massenkultur. Das ist Weimarer Republik pur; und, klar, auch impliziter Topos von Teilen der Kritischen Theorie Horkheimers und Adornos.
Ich hoffe, es wird von selbst deutlich, dass dieses Muster auch in der Kritik von KI so wieder auftaucht. Hier das Eigentliche, Verwurzelte, an Körper Gebundene, „Authentische" und da nur die seelenlose Oberfläche. In Diskussionen rund um Warhol taucht diese Frage immer wieder auf: ist das jetzt Kritik der Massenkultur durch Offenlegen von deren Oberflächlichkeit und Fetischcharakter im marxistischen Sinne, oder hat er nicht vielmehr - wie er in Interviews äußerte - die totale Affirmation betrieben?
Klar ist jedoch, dass Warhol die ganze Siebdruck- und Colaflaschen-Serien zunächst als Witz am Kunstmarkt platzierte. Weil es in der Luft lag und Roy Lichtenstein damit schon Erfolg hatte, Robert Rauschenberg und Jasper Johns es vorbereiteten. So produzierte er bewusst genau das, was die Fans der Abstrakten Expressionisten hassten: Anti-Authentisches, die Persönlichkeit des Künstlers völlig tilgende Antikunst durch die serielle Reproduktion, die noch umdefinierte, was denn nun überhaupt ein Original sei.
Pointe ist jedoch, dass es sich gerade nicht um Elitenkunst handelte - zunächst. Angesichts der Preise, die Warhols Werke auf Auktionen erzielten, änderte sich das. Was er jedoch zeigte, ist so etwas wie Arbeiterkunst, er stammte aus ärmlichen Verhältnissen: Coca Cola, Hollywood-Stars, Malen nach Zahlen und den Wunsch, Dollarnoten am liebsten gleich selbst drucken zu können.
Was treibt Jameson dazu, nun unbedingt wie jedes völkische Mem, das auf blonde, weiße Familien im ländlichen Lebensborn-Ambiente setzt, ausgerechnet Heideggers Bauernschuhe - beziehungsweise die van Goghs - in den Mittelpunkt zu rücken? Klar, er will zeigen, dass sich noch die leibliche Arbeit im Bild wiederfindet.
Die Lebenswelten in „Motown", also Detroit, wo Arbeiter*innen am Fließband herstellten, erschloss das aber schon lange nicht mehr. Da bot Warhol die passendere Kunst, die tatsächlich auf die Arbeitsbedingungen dieser Menschen anspielte - wie heute für die Lieferando-Fahrer vermutlich das Smartphone ein wichtigeres Medium ist als „Sein und Zeit" im Rucksack.
Um zum Beginn des Textes zurückzukehren: ich glaube, es macht keinen Sinn, sich nun darauf zu beschränken, kulturkritisch in Marx-Lesezirkeln KI zu geißeln oder sich auf die fürchterlichen Auswüchse derselben zu konzentrieren.
Man kann doch auch mit Walter Benjamins „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Abre numa nova janela)" zugleich die Frage stellen, wie denn nun in progressiven Zusammenhängen und emanzipatorischen Hinsichten diese Tools genutzt werden könnten. Auch, weil man damit viel näher an denen ist, für die man doch Politik machen will und die mit KI zudem Tools zur Verfügung haben, die auch ohne kulturelles, soziales und finanzielles Kapital leicht und schnell zu nutzen sind. Das erste, was die Lampedusa-Flüchtlinge damals nach Kleidung und Nahrung unbedingt haben wollten, das waren Smartphones.
Weitere Antworten zur Nutzung habe ich auch nicht. Aber „Authentizität" in Zeiten, in denen mittlerweile digitale Massenkommunikation Politik bestimmt, KI nur zu kritisieren - ist das sinnvoll?
PS: Dieser Text ist gänzlich OHNE KI verfasst, lediglich zum Korrekturlesen von Tippfehlern noch einmal hindurch geschickt worden.