Endlich –Gewaltschutz im Familienrecht
Wie das Bundesjustizministerium den Schutz von Frauen und Kindern neu aufstellen will und warum ich als Unterstützerin die Petition von Autorin Christina Mundlos inhaltlich für geeignet halte, die Lücken im Gewaltschutz zu schließen.
Von Tina Steiger

Die klaffenden Lücken im Gewaltschutz für Frauen und Kinder an deutschen Familiengerichten sind nicht erst seit gestern bekannt. Schon vor Jahren machten Experten wie Dr. Wolfgang Hammer auf grobe Mängel und Versäumnisse in den Verfahren aufmerksam, die direkt zulasten gewaltbetroffener Frauen und Kinder gingen. 2023 wies UN-Berichterstatterin Reem Alsalem in einem Sonderbericht unter anderem auf “Menschenrechtsverletzungen an deutschen Familiengerichten an Frauen und Kindern” hin. Mit ihrer Einschätzung schloss sie sich der GREVIO (Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence) an, einer unabhängigen Expert:innengruppe des Europarats, die die Umsetzung der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt überwacht. Auch sie zeigt grobe Mängel in der Umsetzung der Istanbul-Konvention in diesen Fällen auf. Bis 2025 mahnt außerdem das Deutsche Institut für Menschenrechte die Versäumnisse Deutschlands in familiengerichtlichen Verfahren an.
Status Quo: Recht am Kind
vor dem Recht auf Gewaltschutz
Das Problem: Beide Elternteile haben gesetzlich verankerte Rechte am Kind. Die bisher gültige Definition des sogenannten Kindeswohls definiert zudem einen Anspruch des Kindes auf Mutter und Vater im Leben. Beide Eltern habe sich demnach wohl zu verhalten und den anderen Part nicht an der Ausübung seiner Elternschaft zu behindern. In der Gemengelage dieser Regeln war es gewaltbetroffenen Frauen bislang in den meisten Fällen unmöglich, Gewalt durch den Kindsvater in den Verfahren zur Sprache zu bringen. Ihnen wurde vorgeworfen, sie würden den “Paarkonflikt befeuern”, den “Fokus auf das Kind verlieren” und könnten “die Vergangenheit nicht zugunsten des Kindeswohls ruhen lassen”. Bis heute werden Mütter in Familiengerichten und auch Jugendämtern beschämt, wenn sie Gewalt thematisieren, zur Ordnung gerufen und gezwungen, sich ihrem Täter gegenüber kooperativ zu verhalten. Für Gewalttäter bildet das eine institutionelle Begleitung ihrer Gewalt, die sie bislang mit behördlicher Rückendeckung umsetzen.
Entfremdungsvorwürfe als
jahrelange Waffe der Väterrechtslobby
Dass hier etwas grundlegend falsch läuft, weiß man seit Jahren. Doch finanziell, juristisch und politisch einflussreiche Väterrechtsverbände, die oft nichts anderes als nationalsozialistische Familienmodelle zu etablieren versuchen, waren in den vergangenen zwei Jahrzehnten wirkmächtig daran beteiligt, Frauen nach Gewalt und sexuellen Übergriffen mundtot zu machen. Ihnen wurde “Entfremdung” des Kindes vorgeworfen. Und während Familiengerichte immer betonen, keine Strafgerichte zu sein, fallen bei Vorwürfen der “Entfremdung” alle Hemmungen. Mütter verlieren bundesweit reihenweise das Sorgerecht und sogar den Kontakt zu ihren Kindern, sie werden von Drittstellen eng auf ihre Kooperation mit dem Täter überwacht und müssen, bis die Kinder volljährig sind, den vollen weiteren Zugriff ihres Täters auf ihr Leben gewähren und ein “harmonisches” Wechselmodell ermöglichen.
Mit dem Wissen kommt der Wandel
Der Einsatz von Rechtswissenschaftler:innen, Entwicklungsforschern Fachkräften und Aktivist:innen aus dem Gewaltschutz zeigt nun langsam in Form von wissenschaftlichen Erhebungen, Kinderschutzaspekten, die erstmalig berücksichtigt werden und weiteren Initiativen Wirkung. Bereits seit 2018 sieht die sogenannte Istanbul-Konvention eine Einbeziehung von Gewalt in Sorge-und Umgangsrechtsentscheidungen rechtlich bindend vor. Erst jetzt soll nun eine Gesetzesänderung wirklich den Wandel bringen.
Bundesjustizministerin Dr. Stefanie Hubig erklärte zuletzt, Gewalttäter müssten damit rechnen, ihre Kinder nicht mehr, oder nur in Begleitung sehen zu dürfen und kündigt damit einen möglichen Umgangs- und Sorgerechtsausschluss für gewaltausübende Väter an. Ein wichtiger Schritt, der jedoch mehr beinhalten muss, als bloße Symbolik.
Studien, die selbst die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags 2024 in einer Dokumentation teilten, zeigen die schweren Schäden für mitbetroffene Kinder bei Gewalt auf. Partnerschaftsgewalt bezieht sich den Zahlen zu geschlechtsspezifischer Gewalt zufolge fast immer auf Taten von Vätern an Müttern. Kinder, die das miterleben oder auch in einem Umfeld aus Bedrohung, Aggression und unterschwelliger Angst aufwachsen, zeigen massive kurz- und langfristige Folgen. Diese reichen von stark eingeschränkten schulischen Leistungen, Angststörungen, psychosomatischen Folgeerkrankungen, Depressionen bis hin zu Drogensucht, Suizidalität und der Wahrscheinlichkeit, später selbst im Leben Opfer oder Täter zu werden. Endlich werden diese, für den Kinderschutz relevanten, Erkenntnisse berücksichtigt und nicht mehr vom juristisch konstruierten Kindeswohlbegriff in den Hintergrund gedrängt. Doch was genau muss nun wie ins Gesetz?
Eine Petition, die Grundlagen benennt
Dieser Frage nehmen sich seit einigen Jahren immer wieder kleinere Petitionsvorstöße an, die jedoch durch das mangelnde Interesse am Thema kaum Reichweite oder Lobby gewinnen konnten. Autorin, Soziologin, Gewaltschutz-Expertin und Frauenrechtsaktivistin Christina Mundlos will das ändern. Schon 2023 rügte sie mit ihrem Buch “Mütter klagen an. Institutionelle Gewalt gegen Frauen und Kinder am Familiengericht” (Büchner) die gängige Praxis in Deutschland. Das Buch gilt heute in Beratungsstellen und bei Betroffenen als Standardwerk im Gewaltschutz.
In ihrer vor einigen Tagen fulminant gestarteter Petition “Gewaltschutz im Familienrecht JETZT” nimmt sie sich nun der Fragen an, wie der Gewaltschutz für Mutter und Kind in den familiengerichtlichen Verfahren genau aussehen muss, damit er wirklich wirkt.
Als genannte Unterstützerin stehe ich zu 100 Prozent hinter allen Forderungen, die sich direkt an Bundesjustizministerin Dr. Stefanie Hubig richten. Eine vollumfängliche Umsetzung der aufgeführten Punkte ist längst überfällig. Die einzelnen Forderungen spiegeln die Perspektive von Frauen und Kinder in den Gerichten, Jugendämtern und Verfahren wider und beleuchten, welche großen Problemlösungen dem Ministerium bevorstehen. Denn: Involvierten Fachkräften fehlt es nicht nur am nötigen Wissen über geschlechtsspezifische Gewalt oder über die schweren Folgen für Kinder. Erhebungen aus 2024 von Dr. Wolfgang Hammer und seinem Team (“Macht und Kontrolle an deutschen Familiengerichten”) zeigen auch auf, dass vor allem eine Weigerung, Frauen zu glauben und sie zu schützen, eine der größten Hürden im Rechtssystem darstellt. Die Unschuldsvermutung gilt den Tätern und der “Papi im Leben um jeden Preis” hat selbst bei Gewalt für Fachkräfte wie Verfahrensbeiständ:innen, Gutachter:innen oder Umgangsbegleitungen einen überraschend hohen (antifeministischen) Stellenwert. Die Analyse realer Fälle (Hammer, 2024) zeigt eine mütterfeindliche Täter-Opfer-Umkehr an den Familiengerichten auf, sodass gar von Kartellen aus Jugendamt, Gericht und Verfahrensbeteiligten gesprochen wird. Eine vollständige Umsetzung der Petition von Christina Mundlos würde dem ein Ende setzen.
Die Kernforderungen sind (Auszug Petitionstext):
1. Sofortige Schutzmaßnahmen für Betroffene entsprechend Istanbul-Konvention (IK)
Kein gemeinsames Sorgerecht für Gewalttäter (Art. 31 u. 45 IK)
Gewaltschutz hat Priorität vor dem Umgangsrecht (Art. 31 u. 45 IK)
Kein Umgangszwang gegen den Kindeswillen (Art. 31 IK)
Schutz von Zeug:innen, die Kinder sind, also auch keine Befragungen der Kinder zur erlebten Gewalt in Anwesenheit des Täters (Art. 26 IK)
Verbot, Mediationen mit dem Gewalttäter anzuordnen (Art. 48 IK)
Verpflichtende psychosoziale Prozessbegleitung familienrechtlicher Verfahren z.B. durch Traumapädagog:innen für Kinder bei vorliegender Gewalt durch einen Elternteil (Art. 26 IK)
Stillen vor Umgangsrecht (kein gerichtlicher Zwang für die Mutter, das Kind abzustillen, um mehr oder längere Umgangskontakte zu ermöglichen)
2. Gewaltdefinition überarbeiten:
Die Instrumentalisierung der Behörden durch Täter mittels einer Flut aus Anträgen, Anzeigen und Meldungen muss als Symptom von Nachtrennungsgewalt eingeordnet werden
Zwangskontrolle (Coercive Control) muss als psychische Gewalt anerkannt werden und dafür ein eigener Straftatbestand eingeführt werden
Unterhaltsverweigerungen müssen als finanzielle Gewalt gegen Kinder und Mütter anerkannt werden
Gewaltandrohungen müssen als psychische Gewalt ernst genommen werden und als Vorbote körperlicher Gewalt eingestuft werden (eine Studie vom BMFSFJ zeigt: Ja, Hunde, die bellen, beißen häufig auch. In rund der Hälfte aller Gewaltdrohungen werden diese auch wahr gemacht.)
3. Instrumentalisierung des Gerichts durch Täter verhindern
Verbot der Verwendung der Begriffe „Parental Alienation Syndrome“ / „Eltern-Kind-Entfremdung“ / „Bindungsintoleranz“ / „Belastungseifer“ durch das Jugendamt und durch sämtliche Akteur:innen im familienrechtlichen Kontext und entsprechende Bestrafung bei Zuwiderhandlung
Verbot von Sorgerechts- oder Umgangsrechtsentzügen als Bestrafung der Eltern, z.B. weil sie über Gewalt und Missbrauch durch den anderen Elternteil oder einen Verfahrensbeteiligten sprechen oder diesen anzeigen (entsprechend Beschluss vom OLG Frankfurt vom 29.1.2025)
Keine Massenbegutachtungen mehr zur Erörterung der Erziehungsfähigkeit, wenn diese bis zur Trennung außer Frage stand, insbesondere wenn der zu begutachtende Elternteil vor der Trennung einen Großteil der Erziehungsarbeit unbeanstandet geleistet hat
Begutachtungen dürfen nicht länger mittels Drohungen (z.B. dass Mütter sonst das Sorgerecht verlieren) vom Gericht erzwungen werden
Anhörungen der Kinder durch Gericht und Verfahrensbeiständ:innen müssen zum Schutz der Kinder aufgezeichnet werden
Einrichten einer unabhängigen Meldestelle zu Institutioneller Gewalt im Jugendamt u. Familiengericht
4. Aufarbeitung & Prävention:
Fortbildung der Verfahrensbeteiligten im Familiengericht zu Täter-Techniken und Trauma-Symptomatiken bei Betroffenen
Unabhängigkeit der Verfahrensbeistände stärken über die Bestellung per Liste, um den typischen Kartellbildungen vorzubeugen
Einrichten einer Enquete-Kommission im Bundestag zur Aufarbeitung der Mängel im Kinder- und Jugendschutz und zur Erarbeitung von politischen Lösungen wie auch von Dr. Hammer gefordert
Die Aufarbeitung beinhaltet, dass auch die bereits nach diesen Mustern fehlgelaufene Gewalt- und Kinderschutzfälle nochmal neu aufgerollt und die Rückführungen der Kinder geprüft werden müssen
Analyse der Häufigkeit von Pseudodiagnosen wie Mutter-Kind-Symbiose oder Münchhausen by Proxy durch familienrechtliche Akteure und Analyse der Art, wie diese Begriffe Einfluss auf Gerichtsbeschlüsse nehmen
Diese Punkte stellen klar: Fachkräfte müssen – teilweise überhaupt erst einmal – ausgebildet oder sehr gut fortgebildet werden. Sie benötigen Wissen um Täterstrategien, Gewaltformen, Coercive Control, Kinderschutz gegenüber Täter-Vätern und ein grundsätzliches Bewusstsein für Gewaltzahlen und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen. Frauenhass darf zudem keine Berührungspunkte mit dem Kindschaftsrecht haben
Für viele Mütter kommt ein Wandel, sofern er jetzt kommt, dennoch zu spät. Sie haben Gesundheit, finanzielle Existenz, mentale Verfassung und Jahre für sich, sowie im Leben ihrer Kinder verloren. Betroffene Kinder haben Entwicklungsschäden und schwere emotionale und physische Folgegewalt erlitten, die kein Gesetz je wird rückgängig machen und ausgleichen können. Was seit 2018 rechtsverbindlich ratifiziert gilt, hätte vor sieben Jahren Gesetz werden müssen. Für die Schäden unzureichenden Schutzes, zu dem Deutschland verpflichtet gewesen wäre, werden nun Schadensausgleichszahlungen aufkommen müssen. Das gibt nichts von dem Verlorenen zurück, außer Sicherheit. Aber es wäre ein Eingeständnis eines staatlichen Versagens an so vielen Frauen und Kindern und ein Signal, dass hier Unrecht getan wurde.
Jetzt die Petition Gewaltschutz im Familiengericht JETZT unterzeichnen.