Die Tomatenapokalypse im Dauerregen
Warum meine Tomaten nach mehr als zehn erfolgreichen Jahren zum ersten Mal abgenippelt sind, wie ein Eipilz Millionen von Menschen in kürzester Zeit umgebracht hat und wieso ich trotz des Totalverlusts meiner Tomaten überraschend gelassen bleibe.

Hallo liebe Gartenfreund:innen, erst einmal sorry, dass die Updates hier gerade so unregelmäßig kommen. Ich weiß, ihr seid andere Frequenzen von mir gewohnt, aber ich struggle gerade echt mit meiner Depression und muss eine Sache nach der anderen wieder hochfahren. One step at a time. Danke für eure Geduld und euer Verständnis – es bedeutet mir wirklich viel, dass ihr trotzdem hier seid und mitlest. ❤️ Auch die, die noch Post von mir bekommen: Bear with me. Aktuell bin ich so auf dem Status, dass ich bestimmte Alltagsdinge übe, z.b. Haus verlassen (aktuell noch schwierig), mit Menschen interagieren (auch noch schwer), zwei Mal am Tag Zähneputzen und sowas??? (schon besser), etc. Depression is no joke, aber na ja, habe ja schon Übung, mich durchzukämpfen, und auch dieses Mal wird’s irgendwann wieder heller.
Aber jetzt muss ich euch was erzählen. Nach zehn Jahren Tomatenanbau hat es mich erwischt. Die Kraut- und Braunfäule. Zum ersten Mal, und das mit voller Wucht. Im Dachgarten: alles verreckt, inklusive der Tomate im Tischbeet (ich habe jetzt also ein Basilikumbeet. Auch schön.). In Dänegart: auch alles sowas von tot. Nur die Tomaten im Waldgarten haben überlebt, of all places!!! (Schattig?!?!) … aber der liegt auch in einem anderen Teil Hamburgs, wo die Krautfäule noch nicht zugeschlagen hat.
Wisst ihr, was das Verrückte ist? Es ist nicht mal meine Schuld. Okay, vielleicht ein bisschen, weil ich meine Tomaten ja seit über einem Jahrzehnt prinzipiell im Freiland und ohne Dach anbaue und sie ihr eigenes Survivalcamp durchlaufen lasse, aber diesmal war es wirklich das Wetter. Fast zwei Monate Dauerregen. ZWEI MONATE! Jeden verdammten Tag, und die Sonne hat sich so selten gezeigt, dass ich schon überlegt habe, ob ich sie mir davor nur eingebildet habe (komischerweise hat das meine Depression NICHT besser gemacht, wie seltsam …). So ist das, im Frühjahr habe ich für Regen gebetet, jetzt dann dafür, dass es endlich aufhört ... Hier seht ihr jedenfalls das Resultat der wochenlangen gründlichen Bewässerung:

In meiner ganzen Nachbarschaft sieht es aus wie nach einer botanischen Apokalypse, sofern es um die Nachtschattengewächse geht. Die Gartennachbar:innen konnten teilweise nicht mal ihre Kartoffeln ernten – alles hinüber. Bei mir war das zum Glück kein Problem, weil ich mit Kartoffeln immer super früh starte, wenn alle anderen noch überlegen, ob sie überhaupt dieses Jahr gärtnern wollen. Aber die Tomaten? Die hat es halt voll erwischt.
Was mich dabei trotz allem fasziniert: Dieser Organismus – genauer gesagt dieser Eipilz, denn Phytophthora gehört zu den Oomyceten, nicht zu den echten Pilzen – ist ein absoluter Überlebenskünstler. Der braucht nur drei Dinge: Feuchtigkeit, moderate Temperaturen zwischen 15 und 20 Grad und einen Wirt aus der Familie der Nachtschattengewächse. Und dann läuft sein Lebenszyklus auf Hochtouren.
Die Biologie von Phytophthora infestans
Ich finde es ja immer spannend zu verstehen, was da eigentlich in meinem Garten vor sich geht. Also habe ich mich mal hingesetzt und recherchiert, wie Phytophthora infestans eigentlich funktioniert.
Erstmal: Das ist kein klassischer Pilz wie der in eurem Omelett, biologisch gesehen gehört er zu den Oomyceten, den Eipilzen, genau wie die Falschen Mehltaue. Eipilze sind näher mit Braunalgen verwandt als mit Champignons. Diese Verwandtschaft erklärt auch, warum normale Fungizide oft nicht so richtig toll wirken.
Der Lebenszyklus ist komplex und perfekt an feuchte Bedingungen angepasst. Bei entsprechendem Wetter und nicht zu heißem Wetter bildet der Pilz auf den Blattunterseiten erstmal einen weißlichen Belag, dann produziert er Sporangien – das sind kleine Behälter voller Sporen. Diese Sporangien entlassen bei Kontakt mit Wasser Planosporen. Und jetzt kommt der faszinierende Teil: Diese Sporen können mit einer Geißel schwimmen! Die bewegen sich aktiv durch den Wasserfilm auf den Blättern zu den Spaltöffnungen und dringen dort mit einem Keimschlauch aktiv ein. Kein Wunder also, dass bei Dauerregen die Ausbreitung so rasant erfolgt. Die Ausbreitung startet in den Kartoffeln, der Wind verteilt die Sporen dann in der Umgebung, sodass sie dann irgendwann auch die Tomaten erwischen.

Einmal in der Pflanze, wächst das Myzel zwischen den Pflanzenzellen und bildet Haustorien – spezialisierte Strukturen, die in die Zellen eindringen und Nährstoffe aufnehmen. Das Gewebe stirbt ab, wird braun-schwarz, und innerhalb von Tagen kann eine ganze Pflanze kollabieren. Bei meinen hat es circa vier Tage gedauert. Bei optimalen Bedingungen – also genau dem, was wir dieses Jahr hatten – kann der komplette Zyklus von Infektion zu neuen Sporen in nur vier bis sechs Tagen ablaufen.
Exkurs: Als ein Eipilz Geschichte schrieb – die Große Hungersnot in Irland
Dieser Organismus hat tatsächlich Weltgeschichte geschrieben. Mitte des 19. Jahrhunderts löste Phytophthora infestans in Irland eine der verheerendsten Hungersnöte der modernen Geschichte aus. Aber wie konnte ein einzelner Organismus ein ganzes Land in die Katastrophe stürzen?
Die Vorgeschichte ist wichtig: Die irische Bevölkerung war Anfang des 19. Jahrhunderts explosionsartig gewachsen, von etwa 3 Millionen im Jahr 1800 auf über 8 Millionen Menschen im Jahr 1841. Die Kartoffel war zum Hauptnahrungsmittel geworden, denn sie wuchs auch auf schlechten Böden, lieferte hohe Erträge und war nahrhaft. Viele Pächter:innen und Landarbeiter:innen ernährten sich fast ausschließlich davon. Ein erwachsener Mann aß durchschnittlich 5-6 Kilo Kartoffeln am Tag!
Dann kam 1845. Der Sommer war ungewöhnlich kühl und feucht – perfekte Bedingungen für Phytophthora infestans, der vermutlich kurz zuvor aus Mexiko nach Europa eingeschleppt worden war. Innerhalb weniger Wochen vernichtete der Erreger ein Drittel der irischen Kartoffelernte. 1846 war noch schlimmer – fast die komplette Ernte ging verloren.

Die Folgen waren katastrophal. Etwa eine Million Menschen starben an Hunger und hungerbedingten Krankheiten, das waren circa 12 Prozent der Bewohner:innen. Weitere zwei Millionen emigrierten, viele davon in die USA. Die Bevölkerung Irlands hat sich bis heute nicht vollständig erholt, sie liegt immer noch unter dem Niveau von 1841.
Was diese Tragödie noch verstärkte, waren politische und soziale Faktoren. Irland exportierte während der Hungersnot weiterhin Getreide nach England, das muss man sich mal vorstellen. Die britische Regierung reagierte zunächst zögerlich und dann mit Maßnahmen, die auf der Ideologie des Laissez-faire-Kapitalismus basierten. Hilfslieferungen wurden eingestellt, weil man fürchtete, die Menschen würden sich, I kid you not, an Almosen gewöhnen. Erinnert irgendwie an die hiesige Debatte zum Bürgergeld, oder? Von wegen falsche Anreize setzen, bla bla. Die Hungersnot wurde so jedenfalls nicht nur zu einer ökologischen, sondern auch zu einer politischen Katastrophe.
Interessanterweise führte diese Krise zu wichtigen wissenschaftlichen Durchbrüchen. Die Erforschung von Pflanzenkrankheiten nahm Fahrt auf, und es entwickelte sich langsam das Verständnis, dass Mikroorganismen Krankheiten verursachen können, eine revolutionäre Idee zu dieser Zeit.
Die Symptome erkennen
Nach diesem historischen Exkurs zurück ins Hier und Jetzt, in meinen durchnässten Hamburger Garten. Die ersten Anzeichen habe ich ehrlich gesagt übersehen, weil ich zwei Tage Besuch hatte. Das reicht für den Erreger, um sich einzunisten und auszubreiten. Der Besuch war weg, ich komme in den Garten und joah.
Die typischen Symptome, auf die du achten solltest:
Erst kleine, wassergetränkt aussehende Flecken auf den Blättern, oft vom Blattrand ausgehend.
Die Flecken wurden schnell größer und färbten sich dunkelbraun bis schwarz.
Bei genauem Hinsehen (am besten morgens bei Tau) konnte ich einen weißlichen Belag an der Blattunterseite sehen – das Sporenlager.
Die Stängel bekamen längliche, dunkle Flecken.
Die Früchte entwickelten harte, eingesunkene braun-graue Stellen
Der charakteristische Geruch – irgendwie modrig-erdig, einmal gerochen, vergisst man den nicht.

Was tun, wenn es einen erwischt hat?
Sofortmaßnahmen (die bei mir teilweise geholfen haben): Befallene Pflanzen habe ich sofort entfernt (so konnte ich noch 2 Cocktailtomatenpflanzen retten) und – wichtig! – NICHT auf den Kompost geworfen. Die kamen samt Erde in den Restmüll. Ich weiß, tut weh, aber die Sporen überleben im Kompost und man verteilt sie sich dann nächstes Jahr wieder überall. Die noch grünen Tomaten habe ich geerntet und drinnen nachreifen lassen. Einige waren noch zu retten, auch wenn sie natürlich nicht so aromatisch wurden wie sonnengereift. Besser als gar nichts.
Was ich beim nächsten Mal anders mache: Ganz ehrlich? Nichts. Ja, kein Witz. Vielleicht habe ich nächstes Jahr mein Gewächshaus, das seit einem Jahr verpackt im Schuppen steht, dann kann ich da Tomaten anbauen und das Beste hoffen (bei meinen Gartennachbarn hat’s leider nix genützt). Dennoch werde ich weiter Tomaten im Freiland anbauen und hoffen, dass das Wetter nächstes Jahr gnädiger mit mir ist.

Vorbeugungsmaßnahmen
Natürlich müsst ihr nicht so verantwortungslos wie ich sein ;). Es gibt Maßnahmen, die eine Infektion unwahrscheinlicher machen, sofern das Wetter nicht komplett abschmiert so wie dieses Jahr. Nicht alles davon werde ich umsetzen (looking at you, Tomatendach), aber auf manches achte ich durchaus:
Sortenwahl: Es gibt tatsächlich Sorten mit einer gewissen Toleranz gegen Kraut- und Braunfäule. Keine ist komplett resistent, aber manche Sorten sollen besser damit klarkommen. Hatte einige von denen dieses Jahr, hat sie leider auch nicht gerettet, aber in gemäßigteren Jahren sollte das gut klappen. Hat es bei mir bisher ja auch immer.
Fruchtfolge: Ich weiß, in kleinen Gärten ist das schwierig, aber Nachtschattengewächse sollten nicht jedes Jahr am selben Platz stehen. Der Organismus überdauert im Boden, also muss ich meine Beetplanung überdenken.
Luftzirkulation: Ich achte drauf, Tomaten nicht zu eng zu stellen (außer in dem Beet mit den Resttomaten, da war’s mir Wurst). Ich geize nicht klassisch aus, kappe also nicht die neuen Triebe, sondern überzählige ausgereifte Blätter. So trocknet die Pflanze einfach schneller ab, was dem Pilz den Garaus macht, denn: er keimt nur bei Kontakt mit Wasser.
Und nun?
Wisst ihr was? Nach dem ersten Schock und der Enttäuschung hat sich bei mir sofort Gelassenheit eingestellt. Ist es meine Depression, die mich generell mehr abstumpft? Vielleicht. Ich glaube aber eher, dass es daran liegt, dass ich mit Fehlschlägen rechne, irgendwas musste ja sein. Dieses Jahr sind es halt die Tomaten. Zehn Jahre lang hatte ich Glück, dieses Jahr halt nicht. So ist das im Garten. Die Natur macht ihr Ding, und manchmal sind die Bedingungen halt perfekt für Phytophthora infestans und beschissen für meinen Tomatensalat. Wat willste machen, ne?
Ich habe dieses Jahr andere Dinge gelernt. Zum Beispiel, dass mein Waldgarten resilienter ist als gedacht – die Tomaten kriegen da wenig Sonne ab (reicht dennoch für ein paar Schüsseln Tomaten), das Blätterdach hält die Pflanzen aber trocken. Dass die frühen Kartoffeln eine super Strategie sind. Und so weiter.

Außerdem ist ja nicht alles schlecht: Die Zucchini produzieren wie verrückt (Hilfe?), der Mangold steht da wie eine Eins, die Kartoffelernte war krass, wir zehren seit Wochen davon, die Zwiebeln und der Knoblauch werden vermutlich bis in den Winter reichen. Der Kohl gedeiht, die Blumen gehen steil, ich hatte die beste Heidelbeerernte meines Lebens und die Gärten sind voller Insekten. Der Garten ist mehr als nur Tomaten, auch wenn die natürlich mein Highlight des Sommers sind.

Nächstes Jahr wird anders. Vielleicht haben wir wieder einen trockenen Sommer und ich muss über Bewässerung nachdenken statt über Pilzkrankheiten. Vielleicht klappt es mit den toleranten Sorten. Vielleicht baue ich doch irgendwann mal ein Tomatendach (aber wahrscheinlich nicht, seien wir ehrlich). Was ich sicher weiß: Ich werde wieder Tomaten anbauen. Weil selbstgezogene Tomaten einfach unschlagbar sind. Weil ich es liebe, morgens durch den Garten zu gehen und zu schauen, wie sie wachsen. Weil auch Niederlagen zum Gärtnern gehören.
In diesem Sinne: Auf ein besseres Tomatenjahr 2025! Und falls ihr auch betroffen wart: Ihr seid nicht allein. Wir sitzen alle im selben durchnässten Boot.
Wie war es bei euch? Habt ihr die Kraut- und Braunfäule auch erlebt, oder hattet ihr Glück? Und was sind eure Geheimtipps dagegen? Lasst es mich wissen!
Bis zum nächsten Mal ❤️
Jasmin
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