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Zuhause

Hinter mir liegt das zerstörte Bad, die Toilette aus der Wand gerissen, flachgelegt von einem Handwerker auf der Suche nach Feuchtigkeit. In der Wand ist viel Feuchtigkeit, gesprenkelt mit kleinen schwarzen Punkten. Sie werden in den nächsten zwei, drei Monaten mein Leben bestimmen, während das Leben anderer Menschen von Bomben und Raketen, Hunger und Tod bestimmt wird. Das ist für mich aber nicht schlimm, weil ich in Deutschland lebe, dem Land, das andere die Drecksarbeit machen und andere sterben lässt.

Hier ist ein Foto von einem Haus aus den Straßen, in denen ich Kind war:

Nacht, ein großer Baum, eine Straßenlaterne, ein einsames Haus mit Balkon.

Ich habe die Bilder Weihnachten 2015 aufgenommen. Meine Mutter war 89 Jahre alt und wird bald 99, immer noch in dem Einfamilienhaus, das früher mein Vater in wütender Überforderung beherrscht hat, in dem Deutschland, das für die Menschen in solchen Häusern regiert wird

Hier ist ein Foto der Bushaltestelle, an der ich viele Stunden meines Lebens verbracht habe, um dort wegzukommen. Es ist die Bushaltestelle, an der meine Mutter in der letzten Ausgabe des Newsletters Rast gemacht hat.

Eine verlassene Straße in der Nacht, gelbe Straßenlaternen, an einer Böschung eine einsame Bushaltestelle.

Ich muss bis heute weit reisen, um das Gefühl zu haben, wirklich nicht mehr dort zu sein. Einmal hatte ich dieses Gefühl in Indien, im Bad unter der Dusche, als ich den Gecko in der Mauernische gesehen habe, der mir zusah.

Einmal hatte ich dieses Gefühl in Taipeh, auf einer Schnellstraßen-Brücke über einen breiten Fluss; auf der anderen Seite war unter der Brücke ein Flohmarkt, auf dem man alte Handys und Kugellager kaufen konnte.

Einmal hatte ich dieses Gefühl in Hongkong, auf der Fähre vom Kowloon City Ferry Pier nach North Point, allein mit einem der alten Fährleute; in North Point wurden am Anleger Fische verkauft, und unter den Fischständen lief eine Ratte.

Einmal hatte ich dieses Gefühl in Saigon auf einer Brücke mit einem schmalen Fußweg ohne Geländer, mit einem endlosen Strom von Motorrollern, winzigen Lastwagen und riesigen SUVs, die mir in der Hitze entgegenkamen, zentimeternah an mir vorbeidonnerten und gegen die ich schutzlos war.

Ich bin jetzt schon zu lange wieder in Deutschland. Ich bin Julia Klöckner schutzlos ausgeliefert. Die Bundestagspräsidentin will die Regenbogenfahne nicht aufziehen, aus Neutralitätsgründen. Normalität soll sich wieder lohnen. Menschen, die sich queeren Menschen gegenüber als normal empfinden, sollen sich in ihrem Stolz auf ihre Normalität gestärkt fühlen. Straight Pride. Seit Juni ‘25 wird zurückgestolzt!

Mir ist noch nie ein normalitätsstolzer bürgerlicher deutscher Mensch begegnet, mit dem ich angstfrei in den Keller seines Einfamilienhauses gegangen wäre.

Nacht, Rasen, darauf ein seltsamer weißer Torbogen. Rechts davon angeschnitten die Rotklinkermauer eines Hauses.

Die kleinen schwarzen Punkte im Nass hinter den Kacheln meines Badezimmers zwingen mich jetzt in die Welt deutscher Versicherungspolicen, deutscher Haus-, Welt- und Badezimmerverwaltung mit ihren Nutzungsbedingungen aus Kleingedrucktem. Das ist eine Welt, in die man sich ohne vorherige anwaltliche Beratung nicht begeben darf, sonst kommt man darin um oder wird mindestens arm. Wenn ich ADAC-Mitglied wäre, würde ich jetzt meinen Rettungshubschrauber rufen.

Ich bin gefragt worden, ob ich ein Buch über mich selbst schreiben möchte, für einen legendären Verlag, bilde mir aber nichts darauf ein. Ich bin nämlich dazu erzogen worden, mir nie etwas auf etwas einzubilden, und außerdem habe ich den Verdacht, dass noch immer Autofiktions-Mode ist und deshalb jeder Mensch, der neben Vertreter*innen von legendären Verlagen zu stehen kommt, irgendwann gefragt wird, ob er nicht ein Buch über sich selbst schreiben möchte.

Mein Buch müsste davon handeln, dass ich nicht normal bin. Ich würde mit dem alten Sextanten meines Vaters, des Kapitäns zur See Peter Detje, meine genaue Position im Autismus-Spektrum bestimmen, aber was dann? Vielleicht würde ich ein bisschen weinen, darüber, was für eine geniale Idee es war, mich als Autist zu outen, in einer Zeit, in der offener Autistenhass und Euthanasie-Fantasien umgehen.

So ein Buch über mich selbst würde ich erst schreiben wollen, wenn es darin nicht um mich geht. Es würde aber trotzdem von mir erzählen müssen. Das ist ein Problem, das ich nicht lösen kann: Ich möchte nicht so dringend über mich selbst sprechen. Ich möchte mich nicht so dringend als „ich selbst“ präsentieren. Ich möchte nicht behaupten müssen, dass ich wirklich wüsste, was „ich selbst“ ist und wo genau es sich auf der Normalisätsskala von Julia Klöckner, der Überforderungsskala von Kapitän Peter Detie oder der Autismusskala von Greta Thunberg und Elon Musk befindet. Ich glaube nicht, dass „ich“ in der vermarktbaren Unbedingtheit existiert, mit der viele sich öffentlich als eigene Brand präsentieren. Und gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass es ohne Ich-Brand in der Öffentlichkeit überhaupt nichts mehr geht.

Vor langer Zeit habe ich einmal für eine Hamburger Wochenzeitung gearbeitet, die heute einen vibe-shift in Richtung Finsternis vollzieht. Mitten in der Pandemie hat ein Autor dieser Zeitung sich selbst gezeigt: Im Lockdown durfte man eine Weile zuhause nicht mit Gästen feiern. Der Autor hatte es aber getan, oder er hatte es nicht getan, und jemand hatte es behauptet, jedenfalls klingelte die Polizei an der Tür seines Einfamilienhauses, und er öffnete. Im Bademantel.

Der Text handelte dann sicher davon, wie grotesk es doch war, ihm die Polizei auf den Hals zu hetzen – grotesk entweder, weil er nie das Gesetz brechen würde, oder weil er über dem Gesetz stand, es war eines von beidem, ich weiß nicht mehr welches. Vielleicht auch beides: dass er über dem Gesetz stand, das er nicht gebrochen hatte. Egal.

Was mir im Kopf geblieben ist, ist das Bild: Der deutsche Autor tritt vor sein Haus, im Bademantel, das Bad vermulich intakt und schimmelfrei, und stellt sich der Polizei, aber auch über die Polizei. Ist das nicht die zentrale deutsche Normalitätsgeste, der ultimative Power Move? Im Bademantel vor die Tür seines Einfamilienhauses zu treten und seine Privilegien vorzuzeigen?

Heute übergebe ich diese Erinnerung – Stil: Screenshot aus Folge 126 von „Der Alte“ – feierlich dem Schimmel in meinem Badezimmer.

Danke fürs Lesen, danke fürs Subscriben, danke fürs Bezahlabo abschließen, wenn das Geld reicht.

Übrigens bin ich noch mehr als sonst der Meinung, dass das Patriarchat zerstört werden muss!

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