tag eins: Teilzeitdebatte once again, Medienförderung und Zocken gegen Nazis
Hallo!
Heute ist wieder tag eins. Du liest deinen täglichen Nachrichtenüberblick.
Vor 22 Jahren hat die Band Kraftwerk ihr letztes Album veröffentlicht: „Tour de France“. Die Songs und meine Francophilie haben mein Interesse am größten Radrennen der Welt geweckt. Seitdem nerde ich mich im Juli stets in Etappen, Watt-Zahlen und Bergwertungen rein. Besonders faszinierend finde ich, wie eine eigentlich simple Tätigkeit (Rad fahren) durch die Strategie und Taktik der Teams zu einem hochkomplexen und spannenden Fernsehereignis wird. Die gestrige Etappe auf den Mont Ventoux war ein Genuss (zumindest vor dem Fernseher). Heute wird es bei der Tour eher langweilig zugehen, doch am Donnerstag und Freitag steht wieder Spannung auf dem Plan.
DIE DREI THEMEN DES TAGES
1. Nachrichtenagentur AFP warnt vor Hungertod von Mitarbeitern in Gaza
Wer gedacht hat, dass Israels Vorgehen im Gazastreifen kaum noch brutaler werden könnte, bekommt dieser Tage immer wieder das Gegenteil bewiesen. Einerseits treibt die rechte Netanjahu-Regierung nun auch Angriffe in der bisher vergleichsweise sicheren Mitte des Küstenstreifens voran, andererseits wird die Situation an den Essensausgabestellen immer katastrophaler.
Seit Ende Mai sind laut UN-Menschenrechtsbüro mindestens 1.054 Menschen in der Nähe von Ausgabestellen oder Hilfskonvois getötet worden – oft die einzigen Orte, wo die verzweifelt Hungernden überhaupt noch Essen erhalten können. Die Tagesschau (Abre numa nova janela) hat einen Überblick.
Israels Außenminister Gideon Saar erklärte die aktuellen Berichte zu einer Lügenkampagne der Terrororganisation Hamas. „Die Hamas ist es, die Zivilisten erschießt und foltert, wenn sie versuchen, die Hilfsgüter abzuholen“, behauptete er. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas hatte sich mit ihm getroffen und forderte Zusagen des israelischen Militärs, das Töten einzustellen, andernfalls seien „alle Optionen auf dem Tisch“. Was sie damit meinte, blieb jedoch offen. Bisher konnten alle Handlungen und Reaktionen der internationalen Gemeinschaft nicht dazu führen, dass Israel einlenkt.
Anders als ihr deutscher Kollege, hat die österreichische Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) eine Erklärung mehrerer Staaten an die israelische Regierung unterzeichnet, die ein Ende des Gaza-Krieges fordert. Für diese neue Regierungslinie hagelte es heftige Kritik der Israelitischen Kultusgemeinde, dem israelischen Botschafter sowie vom Ex-Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP). Meinl-Reisinger verteidigte im ZiB2-Interview (Abre numa nova janela) den Brief als „keinen Paradigmenwechsel“ sowie „Regierungslinie“.
Die Nachrichtenagentur AFP schrieb in einer Erklärung, dass ihre noch verbleibenden zehn Journalist*innen in Gaza den Hungertod riskieren, wie Euronews (Abre numa nova janela) mitteilt. „Seit der Gründung der AFP im August 1944 haben wir Journalisten in Konflikten verloren, wir haben Verwundete und Gefangene unter uns gehabt, aber niemand bei uns kann sich daran erinnern, dass wir Kollegen an Hunger sterben sehen mussten“, teilte das Unternehmen mit. Unicef hatte bereits Mitte Mai geschätzt, dass in Gaza fast 500.000 Menschen vom Hungertod bedroht seien. (Christian Fahrenbach, adaptiert von DRW)
2. Teilzeit-Debatte füllt Sommerloch
Das politische Sommerloch ist die Zeit, um für Politiker*innen Duftmarken zu setzen. Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) nutzt seine Gelegenheit im Ö1-Journal vom Samstag (Abre numa nova janela), um eine Debatte über die Gerechtigkeit von Teilzeitarbeit loszutreten. Später kritisierte Hattmannsdorfer auf LinkedIn (Abre numa nova janela) den „Trend zur Lifestyle-Teilzeit. Also die bewusste Entscheidung für weniger Erwerbsarbeit – ohne Betreuungspflichten oder gesundheitliche Einschränkungen.“ ÖGB-Bundesgeschäftsführerin Helene Schuberth kontert: „Wer Teilzeit als ,Luxus’ oder mangelnden Leistungswillen darstellt, ignoriert die Fakten. Teilzeit ist kein Wunschkonzert, sondern oft eine Notwendigkeit – gerade für Frauen.“
Das Thema ist politisch brisant. Denn einerseits steigt die Zahl der Erwerbstätigen kontinuierlich, gleichzeitig steigt auch die Teilzeitquote. Für den Staat, der sich zu einem großen Teil über Abgaben auf Arbeit finanziert, ist das ein Problem. Während immer mehr Boomer in Pension gehen, droht ein Fachkräftemangel. Arbeitnehmer*innen dazu zu bringen, vermehrt Vollzeit zu arbeiten, könnte hier Abhilfe schaffen.
Andererseits: Der Druck im Arbeitsleben steigt; immer mehr Menschen fallen wegen Burnout-Erkrankungen aus. Viele Menschen – vor allem Frauen – leisten neben der Erwerbsarbeit in großem Ausmaß unbezahlte Care-Arbeit. Viele, die in Teilzeit arbeiten, hätten gerne mehr Arbeitsstunden, bekommen diese aber von ihren Arbeitgebern nicht. Das Problem als „Lifestyle-Teilzeit“ zu framen, grenzt für viele Menschen an Hohn
Die Kleine Zeitung (Abre numa nova janela) hat einen guten Überblick über die volkswirtschaftlichen Konsequenzen von Teilzeitarbeit, VOL (Abre numa nova janela) fasst die Standpunkte und Vorschläge zusammen, Der Standard (Abre numa nova janela) hat internationale Vorbilder recherchiert. Im Datum-Newsletter (Abre numa nova janela) beurteilt der laut eigenen Angaben konservativ veranlagte Journalist Georg Renner die Umsetzbarkeit der Hattmanndorfer’schen Idee: „Wenn man, wie Hattmansdorfer das formuliert, nur jene erwischen will, die ,freiwillig’ Teilzeit arbeiten, würde der Staat bei so einer Maßnahme tief ins Privatleben und das Familienverständnis von Menschen hineinschnüffeln müssen.“
3. Fünf Hitzetote an italienischen Stränden in 24 Stunden
Gestern haben wir an dieser Stelle über die Hitzewelle in Süditalien berichtet. Heute erreichen uns Meldungen (Abre numa nova janela), dass innerhalb von nur 24 Stunden fünf Menschen an Stränden im Süden Italiens verstorben sind. Es wird vermutet, dass die Todesfälle mit den Extremtemperaturen zusammenhängen.
Die außergewöhnliche Hitze soll noch bis Samstag andauern, die Behörden warnen vor Waldbränden. Andere Wettergefahren drohen dagegen in Norditalien: Aufgrund hoher Temperaturunterschiede drohen heftige Gewitter. In Griechenland wurde aufgrund der Hitze die Akropolis in Athen zeitweise geschlossen; Arbeiten im Freien mussten eingestellt werden
DIE DREI TIPPS DES TAGES
1. Österreichische Recherche des Tages: „Er wollte, dass wir Männer werden“
Der Politologe Rami Ali reflektiert in einem Gastkommentar für Die Chefredaktion (Abo) (Abre numa nova janela) über seinen schwierigen Wege, eine liebevolle, verständnisvolle Vaterrolle für seine Kinder zu finden. Denn viele migrantische Kinder sind mit abwesenden und autoritären Vätern aufgewachsen, schreibt Ali: „Getrieben von blindem Gehorsam und Angst, verdrängen wir, leben weiter, verzeihen, unterdrücken, werden krank, während jene Männer, die nie hätten Vater werden dürfen von unserem Loyalitätskonflikt profitieren.“ Gleichzeitig ist es für Ali auch wichtig zu reflektieren, in welchem gesellschaftlichen Rahmen diese Debatte stattfindet, denn die „Mehrheitsgesellschaft ist schnell dabei, migrantische Männer – vor allem Väter – zu pauschalisieren.“
2. Krautreporter-Artikel des Tages: „Ich zocke seit drei Jahren gegen Nazis – das habe ich gelernt“
„Call of Duty“ ist eines der erfolgreichsten Spiele der Welt. Dort sieht man, wie einige Männer in unserer Gesellschaft ticken. Ich habe eine einfache Methode gefunden, ihnen das Spiel zu verderben.
https://krautreporter.de/internet-und-technologie/5950-ich-zocke-seit-drei-jahren-gegen-nazis-das-habe-ich-gelernt (Abre numa nova janela)Noch ein Krautreporter-Artikel des Tages: „Sieben Romane, die viel mehr Menschen lesen sollten“
Du hast keine Lust mehr auf die Spiegel-Bestseller-Liste? Das sind unsere Lieblingsbücher für den Sommer.
3. Fundstück des Tages: Die Ungerechtigkeit der Presseförderung
Geübte tag-eins-Leser*innen wissen, dass uns Themen rund um Medien und Macht ganz besonders am Herzen liegen. In einem kleinen Land wie Österreich braucht es staatliche Förderung für Journalismus, aber der gestrige Tag hat einmal mehr gezeigt, wie viel falsch läuft in der Journalismusförderung. Der Moment-Chefredakteur Tom Schaffer schildert in diesem Meinungskommentar, dass die Förderrichtlinie im Nachhinein geändert wurde, um dem Moment Magazin die Gelder zu verweigern. Denn Moment wird zu einem guten Teil durch Spenden der Interessensvertretung Arbeiterkammer finanziert. Andererseits wird bei der Zeitung des Bauernbundes, der eine Teilorganisation der ÖVP ist, offensichtlich mit anderen Maßstäben gemessen.
Hört noch ein bisschen „Tour de France (Abre numa nova janela)“:
Dominik

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