FAMILIENDRAMA
FILM-KRITIK
Mal liebt man sich, mal kennt man sich, mal ist man verwandt – manches Mal kommt alles drei zusammen und dann kann es chaotisch werden. So wie in der Literaturverfilmung FRISCH des gebürtigen US-Amerikaners und seit nun bald zwei Dekaden Expats Damian John Harper. In der vor Adrenalin und Testosteron triefenden filmischen Umsetzung des gleichnamigen Romans von Mark McNay aus dem Jahr 2008 geht es von der englischen Kleinstadt (Abre numa nova janela) Royston in den zauberhaften Ruhrpott, genauer ins wenig malerische Duisburg.
Hier wachsen die Brüder Mirko und Kai nach der „Reise“ ihrer Mutter beim malochenden Onkel Andy (die zurückhaltende Naturgewalt Sascha Alexander Geršak) auf. Mirko macht sich im Bereich Kriminalität selbstständig, Kai hingegen arbeitet mit Onkel Andy in einer Fleischfabrik am Rande der Stadt und versucht seiner Frau Ayşe (Canan Kir) treusorgender Ehemann und Tochter Jenny ein guter Vater zu sein. Da das Leben am Rande der prekären Gesellschaft nun einmal so spielt, wie es spielt, arbeitet Kai irgendwann nebenher für den älteren Mirko. Der geht kurz darauf – mal wieder – in den Knast. Derweil soll Kai für ihn 10.000 Euro aufbewahren. Doch als der gewaltfreundliche Bruder früher aus dem Knast entlassen wird, hat Kai nur noch so 3.000 Euro übrig... Oh-oh.

Wer nun erwartet, dass es im verschachtelten, teils rasenden, zeitlos angelegten, wild hämmernden FRISCH fortan darum geht, wie der als junger Erwachsener fantastisch zurückhaltend, wenn auch manches Mal mit manischem Blick versehenen, von Louis Hofmann gespielte Kai versucht, die fehlenden 7.000 Euro aufzutreiben, irrt. Natürlich spielt das fehlende Geld eine Rolle, doch ist dieses Problem im Grunde vergleichsweise schnell gelöst.
Vielmehr beschäftigt sich der in Zigarettenqualm, Bierdunst und düsteren Bildern von Leonhard Kairat gefangene FRISCH mit der Brudergeschichte, die geprägt von Zuneigung und Gewalt, Macht und Manipulation durchaus in der Lage ist, die neunzig Minuten des Films kräftig-schwungvoll zu schultern. Natürlich tragen dazu wesentlich Hofmann sowie der den älteren Mirko spielende Franz Pätzold bei, der hier eine weniger zurückhaltende Gewalt ist. Wut und manches Mal Wahn im Blick, die Hände fast immer zur Faust geballt und wenn nicht das, dann doch bereit, den Hals zu packen. Fast immer dabei: Der beste Kumpel und Kollege Bogdan (spitze: Božidar Kocevski, Polizeiruf 110: Ein feiner Tag für den Bananenfisch (Abre numa nova janela)), der sich in puncto Aggressivität und Arschloch-Sein ebenfalls nicht den Stoff vom Waschbecken ziehen lässt.

Erzählt wird die von rhythmischer Musik (Abre numa nova janela) Emma Elisabeths begleitete Story als innerer Monolog Kais von der unverwechselbaren Stimme Ralf Richters auf drei Zeitebenen. Der Kindheit und Jugend sowie der Zeit vor und nach der letzten Inhaftierung Mirkos. Anhand von deren Geschichte wird nicht etwa ein gefühliges Sozialdrama, sondern ein knallharter und emotionaler Thriller geschildert, in dem die Hoffnung im Zweifel nur dort ist, wo andere sie längst aufgegeben hätten.
Immer wieder wird angedeutet, Kai hätte mit Ayşe aus dem „Ghetto“ ausbrechen und nach Paris, Colorado oder sonstwohin gehen können. Doch sie blieben. Selbst ein zweitägiges Vorstellungsgespräch im ähnlich malerischen Dortmund brach er vorzeitig ab, weil es ihn zurück nach Hause zog, wie er uns erzählt. Lecker Pilsken zum gemeinsamen Nachdenken mit Onkel Andy toppt Zukunftsaussichten. Womöglich auch die Angst, diese Zukunft sprich- wie wortwörtlich zu verspielen. Und die Botenjobs für den ihn immer wieder und immer mehr fordernden wie tyrannisierenden Bruder zahlten gut. Ayşe mochte den Cocktail am Freitagnachmittag und Jenny die Süßigkeiten am Samstag. Haben denn nicht alle ein wenig Anspruch auf Luxus (Abre numa nova janela)?

Um Anspruchshaltung und die Erfüllung von Erwartungen, oder auch der Unmöglichkeit dieser Erfüllung, geht es nicht zuletzt im wie eine wilde Stirnader pochenden Film. Recht und Unrecht des Stärkeren, Gewalt und Gegengewalt, Liebe und Hass, Zärtlichkeit und Brutalität – all dies und mehr liegt hier nicht nur nah beieinander, es ist oft eins.
Ein beeindruckender Film in vielerlei Hinsicht, den wir unbedingt im Kino empfehlen. Und dann heißt es: Einfach auf den FRISCH-Rausch einlassen.
AS
PS: Einzig die Winnetou-Old-Shatterhand-Apachen-Nummer hätte es nicht gebraucht. Die kommt wie ein Bruch daher und fügt sich nicht zum Rest.
PPS: „Du kleine Vollzugsschlampe“ – wenn der Moment nicht so grausam wäre, wäre das durchaus ein kleiner, geiler Satz. Siehe auch PS zu diesem Dreier (Abre numa nova janela).
https://www.youtube.com/watch?v=RDEdwFGTCR4 (Abre numa nova janela)PPPS: Er stelle eine Gefahr für die Gesellschaft dar... na, puh! Dann ist's ja gut, dass der Stuhl kaputt ist. (Apropos: Die Jung-/Jugenddarsteller von Mirko und Kai können ihr Talent ebenso sehen lassen. FRISCH ist hervorragend besetzt, bis zu den letzten Kompars*innen.)
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FRISCH ist ab dem 3. Juli 2025 im Kino zu sehen.
FRISCH; Deutschland 2025; Regie und Drehbuch: Damian John Harper, nach dem gleichnamigen Roman von Mark McNay; Bildgestaltung: Leonhard Kairat; Musik: Emma Elisabeth; Darsteller*innen: Louis Hofmann, Franz Pätzold, Sascha Geršak, Canan Kir, Pinar Erincin, Božidar Kocevski, Zejhun Demirov, Erzähler: Ralf Richter; Laufzeit ca. 98 Minuten; FSK: 16; Eine Produktion der Weydemann Bros. in Koproduktion mit dem ZDF – Das kleine Fernsehspiel; Verleih: Port au Prince Pictures
