Saltar para o conteúdo principal

Geknebelter Geist - Wissenschaftsfreiheit gestern und heute

Ein persönlicher Reisebericht aus den USA und News vom Schreibtisch

Zwischen Krimi und Petrischale im Juni 2025

Liebe Leserinnen und Leser,

im Mai war es hier sehr ruhig – ich bin gerade aus den USA zurückgekehrt, voller Eindrücke, die nachwirken. Ich war in Washington D.C., Philadelphia und New York unterwegs. Drei Städte, drei Gesichter einer Demokratie im Stress.

Die Einreise am internationalen Flughafen Newark Liberty war recht unkompliziert, trotz einiger unbequemer Fragen.

In Washington spazierte ich über die National Mall – alles sehr blankpoliert, monumental, überinszeniert: Capitol, Lincoln Memorial, Weißes Haus – Macht als Kulisse. Vor den Zäunen aber Souvenir-Verkäufer mit Trump als Witzfigur. Doch hinter der Fassaden: Unsicherheit, Spaltung, ein Land, das mit sich selbst ringt.


In Philadelphia dann Independence Hall und Liberty Bell – dort, wo 1776 die amerikanische Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet wurde. We the People of the United States... – ein Satz, der Hoffnung, Mut und Verantwortung atmete. Und heute? Opfert die USA ihre Ideale.
Zum Schluss vier Tage im sich immer wieder neu erfindenden, nie schlafenden New York: MoMA, Ground Zero, Brooklyn, Stonewall, LGBT-Geschichte und vieles mehr. Am Vortag unseres Abflugs sahen wir in Manhattan erste friedliche Proteste von Einwanderern gegen die ICE-Behörden. Nicht zu vergleichen mit dem, was sich parallel an der Westküste in Los Angeles abspielte.

Täglich Bad News aus dem amerikanischen Wissenschaftssystem, die sogar bis in meine Pressestelle reichen, weil auch deutsche Medien sich dafür interessieren, wie Forschungszentren hierzulande betroffen sind. Die US-Regierung kürzt gezielt Mittel für „unbequeme“ Universitäten, nimmt Einfluss auf Lehrpläne, bedroht kritische Studierende mit Ausweisung – und erzeugt so ein Klima der Einschüchterung. Demokratie und Wissenschaftsfreiheit stehen unter Druck.

An der Goethe-Universität Frankfurt haben junge US-Gastwissenschaftler:innen ihre Sorge offen ausgesprochen, wie der UniReport berichtet: Viele von ihnen können sich derzeit nicht vorstellen, in ihre Heimat zurückzukehren. Zu groß ist die Angst, politisch nicht mehr frei arbeiten zu können – besonders in den Geistes-, Sozial- und Umweltwissenschaften. Sie sind nicht allein: Immer mehr Forschende aus den USA fragen in Deutschland an – nicht aus Neugier, sondern aus Not. Auch in der Gesundheitsforschung sieht es ähnlich aus.

Besonders bedrückend: die massive Zensurbewegung, die sich auf Schulbibliotheken und öffentliche Büchereien ausweitet. Über 4.200 Bücher wurden allein im letzten Schuljahr verboten – darunter Werke über Rassismus, queere Identitäten, Genderfragen. Ganze Themen sollen unsichtbar gemacht werden. Die Amerikanistin Heike Schäfer spricht von einem „kulturellen Rückzugskrieg“, der wissenschaftliche und künstlerische Freiheit frontal angreift. Gleichzeitig entstehen kreative Gegenbewegungen: Künstler:innen antworten mit sogenannten Erasures – Textlöschungen, die auf das aufmerksam machen, was nicht mehr gesagt werden darf. Die Lücken im Text sprechen Bände.


Meine USA-Reise hat mich nachdenklich gemacht und tief berührt. Ich schreibe recherchiere derzeit an einem beruflichen Memoir über meine Schul- und Studienzeit in der DDR, die ebenfalls eine Bildungsdiktatur war – und über die Frage, wie viel Freiheit Wissenschaft wirklich braucht.


Ich bin in Bernburg in Sachsen-Anhalt in der ehemaligen DDR geboren und wurde in ein Lehramtsstudium an der Pädagogischen Hochschule Erfurt/Mühlhausen für Biologie und Chemie gedrängt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, in einem System zu lernen und zu studieren, in dem Meinungen kontrolliert und abweichende Gedanken bestraft wurden. Meine Familie hat kleine und große Repressalien erlebt, da mein Vater kein ideologisch linientreuer Akademiker und Hochschullehrer war – aber wir haben diese Zeit überstanden: mit viel Ideenreichtum, Resilienz und Pragmatismus – und natürlich auch mit einem gewissen sarkastischen Humor, den man dabei notgedrungen entwickelt.
Mein Vater konnte seine Karriere nach der Wende noch einmal neu starten. Ich bin seit 1991 in Westdeutschland mit Freude in Forschung und Wissenschaftskommunikation unterwegs – und habe die Möglichkeit zu vergleichen, mit dem Blick auf beide Staaten.

Aber die Parallelen zwischen damals und heute erschrecken mich. Politische Kontrolle ist zurückgekehrt – nicht als staatliche Allmacht, sondern als moralischer oder ideologischer Druck. In den USA – und, wenn wir ehrlich sind, auch zunehmend bei uns.
Ich dachte lange: Solche Zeiten sind vorbei. Aber auch in Deutschland sind wir nicht frei davon. Auch bei uns wächst der Druck.

In Deutschland garantiert das Grundgesetz (Artikel 5, Absatz 3) die Freiheit der Wissenschaft. Die unabhängige Forschung und Lehre wird jedoch zunehmend in Frage gestellt, beobachtet die Rostocker Juniorprofessorin für Öffentliches Recht, Dana-Sophia Valentiner. So kündigte die „Alternative für Deutschland“ (AfD) an, unter ihrer Regierung Gender Studies abzuschaffen und Forschende zu Geschlechterfragen zu entlassen. Auch über die sogenannte „Zivilklausel“ – also die Selbstverpflichtung wissenschaftlicher Einrichtungen, nur für zivile und friedliche Zwecke zu forschen – wird, nicht nur in Rostock, kontrovers diskutiert.

Dass Wissenschaftsfreiheit nicht selbstverständlich ist, zeigt unter anderem ein Blick in die ostdeutsche Geschichte. So wurden von 1945 bis 1989/90 kritische Rostocker Studierende und Forschende überwacht, diszipliniert oder sogar aus dem Hochschulbetrieb ausgeschlossen. Ähnliches passierte 1976 nach Studentenprotesten an meiner Pädagogischen Hochschule in Erfurt/Mühlhausen.
„Politische Linientreue war für eine wissenschaftliche Karriere in der DDR oft entscheidender als akademische Qualität“, betont Dr. Volker Höffer vom Stasi-Unterlagen-Archiv Rostock. Der Historiker hat mit ehemaligen Professorinnen und Professoren sowie Studierenden der Universität Rostock die Ausstellung Geknebelter Geist organisiert, die noch bis zum 9. Juli zu sehen ist. Vielleicht seid ihr in der Nähe…

Freiheit in der Wissenschaft ist also kein Automatismus. Sie ist eine Entscheidung. Und eine Haltung.

Apropos Haltung:

Ich engagiere mich seit Kurzem auch bei den Climate Fiction Writers Europe, weil ich als Autorin, Biologin und Wissenschaftsjournalistin mit faktenbasierten und spannenden Geschichten das Bewusstsein für die Herausforderungen der Klimakrise stärken und naturwissenschaftliche Perspektiven in die Literatur einbringen möchte.

Climate Fiction Writers Europe (Abre numa nova janela)

Der „Climate Fiction Writers Europe e. V.“ ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein für Autor:innen (Schriftsteller:innen, Journalist:innen, Texter:innen, Poet:innen, Blogger:innen und andere Kulturschaffende), die sich in ihren Werken mit Themen rund um Umwelt, Natur, Nachhaltigkeit sowie Klimawandel und dessen Folgen beschäftigen. Vielleicht ist das auch etwas für euch?

All das bietet genug Stoff für Fragen und Diskussionen: Schreibt mir gern eure Gedanken dazu – oder trefft mich persönlich!

Was steht bei mir sonst an?

Gerade bereite ich ein Seminar mit meiner Kollegin und Koautorin Kathrin Lange vor.

 

Hier kommen neue Termine für euch:

  • 25.09.2025 – Kultur in Vinnhorst: Lesung und unterhaltsamer Vortrag zum Sachbuch „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Türklinke“

  • 26.09.2025 – Köln: Öffentliche Podiumsdiskussion: „Wie geht gute Wissenschaftskommunikation?“ – im Rahmen der Bakterien-Summerschool des VBIO

  • 25.10.2025 – Braunschweig-Lehndorf: Lesung: „Wissenschaft spannend erzählen“ – Auszüge aus meinen Büchern und neue Texte

  • 09.10.–02.11.2025 – Halle (Saale): Silbersalz-Festival – Mikrobiologische Lesung & Vortrag geplant im Rahmen der Wanderausstellung Bakteriopolis (Details folgen)

 

Weitere News:

Meinen Auftritt im ARTE-Saloon könnt ihr jetzt auch in der ARD-Mediathek bis zum 17.04.2027 abrufen.
Können Mikroben alles? – Hier anschauen (Abre numa nova janela) 


Herzliche Grüße und bis bald – zwischen Krimi und Petrischale,

Eure Susanne Thiele

PS: Wenn euch meine Kolumne zusagt, empfehlt mich sehr gern weiter an Freunde über diesen Link zur Anmeldung (Abre numa nova janela).

Schreibcommunity

Wenn ihr euch selbst für gute Wissenschaftskommunikation und das Schreiben populärwissenschaftlicher Sachbücher, Ratgeber oder ein Memoir interessiert, abonniert gern meinen kostenlosen Sachbuch-Newsletter “Let me edutain you!” (Abre numa nova janela).

Hier bekommt ihr regelmäßig Einblicke und Tipps aus meiner eigenen Schreibwerkstatt und könnt auch an den monatlichen virtuellen Treffen mit mir zum fachlichen Austausch zu euren Projekten und Texten teilnehmen. Wir sind eine nette Truppe angehender und schon publizierter Autor*innen.

Ich freue mich auf neue Gesichter und spannende Themen!

Viele Grüße

Eure Susanne Thiele

Tópico Kolumne