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VH89 Neues über Top-Karikaturisten: Der Fall Behrendt

Eine von rund 20.000 Zeichnungen meines Lieblingskarikaturisten Fritz Behrendt: Die BRD wird souverän (v.l.n.r. Adenauer, Mendes-France, Eden, Dulles)

Ich beschäftige mich nun seit über zehn Jahren mit Behrendt. Dass ich in den Stasi-Unterlagen noch viel Neues über ihn erfahren würde, hätte ich nicht gedacht. Was ich fand, war dann so interessant, dass die FAZ eine Version des folgenden Artikels am 21. Juni veröffentlichte:

Der verschollene Bruder

Vor 75 Jahren: Späterer FAZ-Karikaturist Fritz Behrendt aus Stasi-Haft gerettet 

„Seit dem Mittag des 9. Dezember 1949 ist FRITZ ALFRED BEHRENDT verschwunden.“ So beginnt der Brief, mit dem sich der Bruder des langjährigen FAZ-Karikaturisten am 23. Januar 1950 an den Staatssekretär Warnke im Innenministerium der DDR wendete.

Behrendt hat über seine schicksalhaften Erfahrungen mit dem Totalitarismus oft berichtet, u. a. in der FAZ. In diesen Erzählungen finden sich allerdings auch einige auffällige Leerstellen. Seine erstmals wissenschaftlich ausgewertete Stasi-Akte förderte nun neue Informationen über den weltweit abgedruckten Zeichner zutage. Dass Behrendt einige Monate eng mit Erich Honecker zusammenarbeitete, war bekannt, nicht jedoch, dass Erich Mielke und Staatspräsident Wilhelm Pieck persönlich mit seinem Fall befasst waren. Die Stasi-Akten enthüllen zudem, dass der begnadete Zeichner ein Leben lang ein Geheimnis mit sich herumtrug.

Lange Zeit sah es nicht danach aus, dass Behrendt ein hohes Alter erreichen würde (er starb im Dezember 2008): der später sehr erfolgreiche Karikaturist überlebte die zwei totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts nur mit viel Glück. 1938 gelang es ihm und seinen Eltern – im Unterschied zu vielen anderen Verfolgten – , vor den Nationalsozialisten aus Berlin in die Niederlande zu emigrieren. 1945 entkam er in Amsterdam denkbar knapp einem Todesurteil der SS. Und im Juni 1950 – vor genau 75 Jahren – wurde Behrendt nach sechsmonatiger Haft aus dem Berliner Stasi-Gefängnis entlassen. Er entging so dem Schicksal jahrelanger Zwangsarbeit in Sibirien, das in vielen ähnlichen Fällen in der frühen DDR recht freimütig verhängt wurde.

Als sein Bruder den oben zitierten Brief schrieb, war Fritz Behrendt bereits seit sechs Wochen spurlos verschollen. Hans schreibt über seinen Bruder, dieser „wollte sich am Sonnabend den 10.12.1949 mit Zustimmung seines Chefs Erich Honnecker [sic] nach den Niederlanden begeben um … die Feiertage bei seiner in Amsterdam ansässigen Familie zu verbringen.“ Was die Familie damals noch nicht wusste (aber vermutlich ahnte): Fritz, damals überzeugter Sozialist, war aufgrund seiner Sympathien für Titos Jugoslawien sowie wegen des Vorwurfs der Spionage von der Staatssicherheit verhaftet worden.

Es gehörte zu den Merkmalen des Unrechtsstaates, dass man die Angehörigen über derlei Verhaftungen im Unklaren ließ und dass Fritz Behrendt ohne Anklageerhebung und ohne Rechtsbeistand monatelang im Gefängnis saß. Über die Haftbedingungen schrieb er später: „Einzelhaft bedeutete totale Unterbindung jeglicher Kontakte zur Außenwelt, keinen Rechtsbeistand, keine Briefverbindung, weder Zeitungen noch Bücher, keine Beschäftigung, vor allem: kein Papier oder Schreibmaterial. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich nicht die Möglichkeit hatte, Gedanken aufs Papier bringen zu können, und das war sicher einer der schlimmsten Aspekte der sechsmonatigen Haftzeit.“

Wohl auf Initiative seines Bruders Hans erkundigte sich der Generalkonsul der Niederlande am 23. Dezember 1949 in einem Brief an den Ost-Berliner Polizeipräsidenten über Behrendts Schicksal und wies zugleich darauf hin, dass dieser seit dem 29. Oktober 1949 „die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt“. Interessant: die DDR-Sicherheitsbehörden unterstrichen das Datum der Naturalisierung – doppelt.

Nachdem Behrendts Familie im Mai 1950 (!) noch immer nichts Offizielles über Fritz‘ Verbleiben gehört hatte, schrieb Hans erneut, diesmal direkt an den Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck. Auf verschlungenen Wegen – Fritz war es inzwischen gelungen, ein Lebenszeichen aus der Zelle herauszuschmuggeln – hatte er inzwischen einige Informationen über das Verfahren gegen seinen Bruder einholen können: „Man ist in Berlin von der Unschuld meines Bruders überzeugt, und dennoch kann man sich nicht entschliessen, ihn freizulassen.“ Es folgt die kaum verhüllte Drohung: „Im Vertrauen auf eine schnelle Untersuchung and gerechte Abhandlung haben die Angehörigen hier nichts über den geschilderten Fall verlauten lassen, doch die Geduld wird auf diese Weise auf eine sehr harte Probe gestellt.“

Hans Behrendts Drohung wirkte. Am 9. Juni 1950 schrieb Wilhelm Pieck an den Chef der Staatssicherheit („Lieber Freund Mielke“): Der Bruder gebe keine Ruhe. Deshalb sei er „zu der Auffassung gekommen, dass es zweckmässig ist, dass wir den Behrendt so schnell wie möglich aus der Republik entfernen, zumal er jetzt die holländische Staatsangehörigkeit besitzt.“ Unmittelbar darauf ließ die Stasi Fritz Behrendt gehen.

Interessant sind die Stasi-Akten zudem, weil sie bislang unbekannte Informationen insbesondere über Fritz Behrendts Vater Paul enthalten. Der 2008 verstorbene Zeichner hatte den Weggang aus dem nationalsozialistischen Deutschland immer mit der Nähe der Familie zur Sozialdemokratie begründet. Gegenüber seinem Verhör-Offizier bei der Stasi gab Behrendt 1949 jedoch an, dass sein Vater nicht nur Sozialdemokrat, sondern auch deutscher Jude und er selbst deshalb in der NS-Terminologie „Mischling I. Grades“ war: „Wegen der geringen Möglichkeiten, Arbeit in meinem erlernten Beruf zu erhalten, zumal mein Vater Jude war, nahm ich eine Beschäftigung als ungelernter Arbeiter“ auf. Diese Tatsache blieb bis zu seinem Tod ein gut gehütetes Geheimnis. Auch seine 2022 verstorbene Witwe Renate wiegelte, auf mögliche jüdische Vorfahren angesprochen, ab.

Fritz Behrendt schrieb über seinen Vater lediglich, dass dieser „ein Jahr im Amsterdamer SS-Gefängnis saß“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.04.2000, Nr. 78, S. 5 ). Dabei ließ er ein wesentliches Detail weg: Aus den Stasi-Unterlagen geht hervor, dass Paul Behrendt im Juni 1941 verhaftet und im März 1942 aus dem Gefängnis in das Konzentrationslager Westerbork überstellt wurde. Westerbork fungierte in den von den Nationalsozialisten besetzten Niederlanden seit dem 1. Juli 1942 als zentrales „Polizeiliches Judendurchgangslager“; über 100.000 Menschen wurden von dort in die Vernichtungslager deportiert.

Im Stasi-Verhör gab der damals 24-jährige an, dass sein Vater von dort im Juli 1942 wieder entlassen sei, „wegen Niederschlagung des Verfahrens“. Die Entlassung erfolgte demnach buchstäblich in letzter Sekunde: am 15. Juli 1942 fuhr von Westerbork der erste Transport nach Auschwitz ab.

Fritz Behrendt sprach später in einem autobiographischen Vorwort zu einem seiner Bücher lediglich spöttisch-verharmlosend von einem „‘nichtarischen‘ Makel“ in seiner „ohnehin schon komplizierten Blutgruppe“. So absurd es klingt: Diese Tatsache rettete ihm vermutlich das Leben. Denn nach der Musterung durch die Wehrmacht am 16. August 1943 wurde er zur Reserve eingeteilt. Die Einheit, in die er ursprünglich hätte einrücken sollen, wurde Anfang 1944 vor Leningrad von der Roten Armee vernichtet.

Geboren am 17. Februar 1925, wäre Fritz Behrendt in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Dass er die jüdische Herkunft seines Vaters bis zu seinem Tode nie thematisiert hat, kann wohl nur durch die erlitten vielfältigen Traumatisierungen erklärt werden. Zwar fällt im Rückblick sein besonderes Interesse an Israel und den Juden auf; vor allem aber war er ein Humanist, der auf beeindruckende Weise mit dem Zeichenstift gegen jede Art von Unrecht und Unterdrückung kämpfte.

Ulrich Schnakenberg ist Autor mehrerer Bücher zu Fritz Behrendt

Tópico Geschichte

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