LöwenPost 2025/16
Sino Kolumne: Wujiao, die chinesische Siesta ~ Transparenz bei den Online-Plattformen ~ Wenn der Westen dunkel wird, wird der Osten leuchten

Wer beneidet sie nicht, die spanische Siesta?! Der kulturelle Mittagsschlaf während der Mittagshitze in Spanien ist auch in anderen südeuropäischen Regionen verbreitet, wie Portugal, Süditalien oder Griechenland. Und sind wir ehrlich, ein Mittagsschlaf ist etwas sehr erholsames und besser als irgendwelche andere Medizin. Ja, genau, es ist für mich Medizin zum eigenen Wohlbefinden. In den Jahren, wo ich in Peru lebte, habe ich diese regelmäßige "Sitte" für mich eingeführt und dabei lieb gewonnen. Heute habe ich das Privileg einer Schichtarbeit, die mich oft in die Lage versetzt, dass ich einen Mittagsschlaf machen kann. Und auch in China ist die Hochwertigkeit eines solchen Nickerchens in einer langen Tradition verankert. Dort vermuten zwar Europäer dieses Ritual nicht, da die fleißigen und wuseligen Chinesen fast immer zu arbeiten scheinen. Tatsächlich aber hat sich der Mittagsschlaf in China schon als kultureller Faktor verfestigt, über den Jiang Jiang in seinem Ginger River Review Blog einen sehr humorvollen Beitrag über die Provinz Shanxi geschrieben hat (Link siehe weiter unten). In der chinesischen Provinz Shanxi, welche circa 300 km östlich von Cangzhou liegt, wird die Wichtigkeit des mittäglichen Nickerchens als besonders stark wahrgenommen. Dort ist der "wujiao" (午觉) fast eine heilige Pflicht und es steht das öffentliche Leben still. Die Nickerchen-Kultur in China ist in den letzten Jahrzehnten des rasanten wirtschaftlichen Aufschwungs durch das enorme Arbeitspensum mancher Arbeitnehmer gelegentlich in Vergessenheit geraten, aber erhält sich trotz der Beschleunigung des Lebens durch neue Technologien und dem Wirtschaftswachstum. Denn es lässt mich schmunzeln, wenn ich lese, dass IKEA in seinen chinesischen Filialen Schilder aufstellen muss, wo das Nickerchen in seinen Betten und Sofas in den Ausstellungsbereichen der Möbeln untersagt wird. Ebenso vergnüglich ist der Beitrag von Jiang Jiang, den man gerne auch mit der Übersetzungsfunktion des Browsers lesen kann, hier der Link: The pause that powers a province: Shanxi’s midday shutdown (Abre numa nova janela).
Der Online-Handel in China boomt seit Jahren und durch geringe Liefer- und Transportkosten aufgrund der Mengenrelevanz und der hervorragenden Infrastruktur ist es eine bequeme Art, seinen Shopping-Bummel online zu gestalten. Viele kleine Unternehmen verkaufen über konkurrierende Online-Plattformen, wie Taobao, JD.com, Pinduoduo oder Tmall, ihre Produkte an eine Millionenkundschaft. Leider fehlen in der Branche transparente Preisgestaltungen, was viele Händler in den letzten Jahren sehr verärgert hat. Ich will an dieser Stelle noch einmal an meinen Beitrag "Microunternehmen in China (Abre numa nova janela)" in der LöwenPost 2025/07 (Abre numa nova janela) verweisen, wo ich das Problem der Rentabilität von Kleinstunternehmen aufgegriffen habe. Solche Unternehmen verkaufen ihre Produkte auch oft über diese Handelsplattformen und stehen mit vielen anderen kleinen Unternehmen in einem harten Wettbewerb. Undurchsichtige Gebühren sind für das Geschäft sehr schädlich und können verheerende Auswirkungen auf die Einnahmen haben. So werden Lieferkosten über komplizierte Abrechnungsmodelle unkalkulierbar und fallen oft höher aus, als zunächst veranschlagt. Erzwungene Teilnahmen an Werbeaktionen, wie Erstlieferungsrabatte, kosten den Anbietern ebenfalls unerwartet Geld. Diese Praktiken will die chinesische Regierung nun ein Ende setzen und klare Transparenzpflichten einführen. Dazu wurde Ende Mai ein Leitlinienentwurf für die öffentliche Konsultation veröffentlicht, der darauf abzielt, undurchsichtige Preisgestaltungen und unfaire Gebühren durch E-Commerce-Plattformen zu verbieten. Die von der staatlicher Verwaltung für Marktregulierung (SAMR) veröffentlichte Richtlinien enthalten 28 Bestimmungen, die die Unternehmen verpflichtet Gebührenstrukturen auf ihrer Homepages gut sichtbar anzuzeigen und Werbegebühren im Voraus festzulegen. Jegliche Änderungen der Gebührenregeln erfordern eine siebentägige Frist für die öffentliche Diskussion auf der Plattform, wobei die Versionshistorie von drei Jahren als Referenz aufbewahrt werden muss. Es ist ein überfälliger Schritt und wird hoffentlich auch als Vorbild für andere Branchen oder Wirtschaftsbereiche in China gelten. Denn noch immer gibt es in manchen Bereichen ungenügende Transparenz beim wirtschaftlichen Handeln, was aus der langen Tradition der chinesischen Kultur stammt, wo eher mündliche Absprachen und vertrauenswirksame Maßnahmen wichtiger sind, als Gesetze und schriftliche Verträge. Aus dieser jahrhundertealten Praxis entstammt auch eine differenzierende Vertrauenskultur, worüber ich schon in der LöwenPost 2025/11 (Abre numa nova janela) geschrieben habe ("Wandel in China (Abre numa nova janela)"). In der heutigen schnelllebigen, technologisierten und internationalisierten Welt funktionieren aber diese kulturelle Gepflogenheiten nicht mehr so präzise, weshalb detaillierte gesetzliche Regelungen im gesamten wirtschaftlichen Leben notwendig werden. Die Erstellung solcher Regelungen und Detaillierung in einer so wichtigen und großen Branche wie dem E-Commerce-Handel in China ist deshalb zu begrüßen.
Yiwu ist eine berühmte Handelsstadt in China. Sie liegt 100 Kilometer südlich von Hangzhou und ist quasi die Welthauptstadt des Großhandels für kleine Konsumgüter. Dazu zählen auch die Halloween- und Weihnachtsartikel, welches derzeit in der weltweiten Auslieferung sind. Viele Händler haben eine direkte Anbindung zu Produktionswerkstätten, so dass die Bestellungen mit den Produktionskapazitäten abgestimmt werden können. Die Zölle des US-Präsidenten Trump haben das Geschäft mächtig durcheinandergewirbelt, weil ein jährlicher Exportumsatz von 10 Milliarden Euro in die USA zwar nur knapp 15% des Gesamtumsatzes in Yiwu ausmachen, aber die großen Liefermengen pro Bestellung das Geschäft planbar gestaltet haben. Nun haben sich Händler nach anderen Absatzmärkten umgeschaut und neben der Binnennachfrage in China selbst auch verstärkt Aufträge nach Südamerika angenommen. Nach der Aussetzung der Zölle für 90 Tage kamen plötzlich wieder die US-amerikanischen Händler angerannt, aber das Vertrauen ist stark beschädigt, weshalb sie sich nun hinten anstellen müssen und nur übrig gebliebene Kapazitäten nutzen können. Viele Unternehmen haben in kürzester Zeit ihre Produktionskapazitäten erhöht, damit noch im Juni die Auslieferung in der Zollpause in die USA erfolgen kann. Die Umorientierung und Umstrukturierung der milliarden-schweren Branche ist aber im vollen Gange. Manche Händler konzentrieren sich auf Exportmärkte der Länder der Belt and Road Initiative, welche als zuverlässiger angesehen werden. Auch wenn so mancher chinesischer Händler und Produzent Einbußen zu verzeichnen hat, zahlt der US-amerikanische Verbraucher und die dortigen Importeure wohl den größten Preis, auch in Zukunft. Für die chinesischen Akteure ist wohl das Zitat eines Händlers aus Yiwu eher typisch und zeigt sehr gut die Anpassungsfähigkeit der chinesischen Unternehmen und dem Umgang mit der schwierigen Zoll-Situation in China: "Wir werden tun, was wir können. Wenn amerikanische Kunden kaufen, großartig. Wenn nicht, sind wir vorbereitet. Wenn der Westen dunkel wird, wird der Osten leuchten. Wenn nicht der Osten, dann irgendwo anders."