KONSPIRATIV QUEERER REISEN
SACHBUCH-&-BILDBAND-KRITIK
Heute wird in zwei Kult-Städten ein großes Pride-Finale begangen: Im nordrhein-westfälischen Köln läuft die Party des Cologne Pride, eines der größten Events in Europa, solide seit einigen Tagen. Der CSD-Umzug, die eigentliche Demonstration unter dem Motto „Für Queerrechte. Viele. Gemeinsam. Stark“, findet mit Sicherheitskonzept und einer im Vergleich zum Vorjahr doppelt so hohen Zahl an Sicherheitskräften heute statt. Natürlich wird auch dort viel an die Fahnen-&-„Zirkuszelt“-Debatte gedacht werden. (Ein Kommentar von uns dazu in Kürze.)

Ebenso endet in Madrid heute das LGTBIQA+ Pride Festival Madrid 2025, das am 26. Juni begonnen hat, mit der letzten Abschlussveranstaltung des Madrid Orgullo 2025: La Fiesta de la Diversidad. Die zentrale Demonstration fand am gestrigen Samstag statt. Dass die Pride-Partys in Madrid traditionell jährlich am ersten Juli-Wochenende stattfinden, lässt sich neben vielen, vielen anderen Informationen im wunderbar bebilderten, mehr als nur regebogenfarbenen QUEER TRAVEL GUIDE aufgezeichnet und verfasst von Alicia Valenski und herausgegeben von Lonely Planet erfahren. Hierzulande ist der Band gerade erst bei MAIRDUMONT erschienen.
„Dieses Werk ist ein weiterer Beitrag zur globalen Dokumentation queeren Lebens.“ - Paula Akpan, Autorin und Historikerin im Vorwort
Auf beinahe 250 Seiten werden uns 50 bunte LGBTQ+ Reisen mit Tipps und Interviews aus der Community vorgestellt. Und das schön aufgemachte Buch hält, was es im erweiterten Titel verspricht. Neben zwanzig ausführlich beschriebenen Destinationen„in aller Welt“ sind hier reichlich Orte zu diversen Themen- und Reiseschwerpunkten vertreten. So finden sich auf der „ultimativen LGBTQ+-Reise-Hitliste“ unter „Abenteuer für Adrenalin-Junkies“ etwa Klettertipps in Banff, Alberta, Kanada, der Hinweis auf die „gechillte Stadt Cairns im tropischen North Queensland“, von wo aus diverse spektakuläre Naturwunder Australiens zu erreichen sind (etwa das Great Barrier Reef) oder Wander- und Gletscherkicks in und um Islands Reykjavík.
Wer „Kühne Kunst“ will, wird in Barcelona, Spanien, Buenos Aires, Argentinien, aber auch in Québec, Kanada, Seoul, Südkorea, sowie Sydney, Australien, fündig. Neben „klassischer“ Kunst und manch bekanntem Museum gibt es reichlich kleine, queere Galerien und Straßentipps sowie Empfehlungen zu architektonischen Besonderheiten, Konzerthäusern, Lesungen und Poetry Slams sowie diversen weiteren Kultureinrichtungen.
Unter „Inklusive Inselparadiese“ finden sich primär Tipps für Single-und-Cruising-Urlaube oder Gruppenausflüge, etwa auf die Kanarischen Inseln (wo meines Wissens nach auch schon die Jungs von Hung Young Brit manch Video gedreht haben) oder die Griechische Inselwelt, inklusive Lesbos, „bekannt als Heimat der antiken Dichterin Sappho“, und dem Dorf Skala Eressos, wo fast nur lesbische Frauen leben.
Schon diese kleine Auswahl empfohlener Orte, die im Buch in noch geballterer Form zu finden ist, plus diverser Wanderwege „für alle“, zeigt die gute Mischung auf, die auch die zwanzig Einzeltipps prägt, die als „Queerfreundliche Reiseziele“ gut zwei Drittel des QUEER TRAVEL GUIDE ausmachen. Nach einer kurzen Erläuterung zu den empfehlenden Personen, die mal schwul, mal lesbisch, mal cis, mal trans*, mal BiPoC, mal nicht-binär sind bzw. einen Mix der Zuschreibungen und Eigenbezeichnungen mitsamt Pronomen darstellen, geht es um diverse queer und/oder queer-friendly Places.
Je nach Ort, Region und Land kann dies sehr naturgeprägt oder eher urban im Sinne eines Städebummels sein – oder beides, wie etwa in Kapstadt & Johannesburg, Südafrika, in Bangkok, Thailand, Puerto Vallarta, Mexiko oder Lissabon, Cascais & Porto (diese wunderbaren Azulejo-Fliesen!) in Portugal. Ob Bars in Mailand, Italien, Melbourne, Australien, oder London, England sowie diverse Restaurants und Diners in Portland, Austin („Keep Austin Weird“) und Brooklyn, USA, Amsterdam, Niederlande, und natürlich einiger der vorgenannten Orte: Kulinarik in queerem Gewand, die nach fantastischem Genuss klingt, kommt nicht zu kurz.
https://steady.page/de/thelittlequeerreview/posts/2b645d20-d1a7-43fe-936e-2b9a1d0dcaed (Opens in a new window)Auffällig auch, wie vielen Buchhandlungen wir begegnen. Im schottischen Edinburgh kommen die Empfehlungen gar von Mairi Oliver, der Inhaberin einer queer-geprägten Buchhandlung. Nicht nur aus diesem Grund bereitet der Abschnitt Lust, die Stadt einmal zu besuchen. (Übrigens machen Autorin und Verlag den bekannten Fehler, die University of St Andrews mit einem „Punkt“ zu schreiben: Nein, nein, nein!)
Überraschende Highlights sind darüber hinaus die Offenheit Anchorages („Die Natur ist ein Safe Space für alle Menschen“ - außer du vergisst dein Bärenspray) sowie der Hinweis, dass mensch in Richmond, Virginia, TukTuk fahren kann. Das ist nun nicht dezidiert queer, doch unser Herausgeber kannte das eher von Fahrten an den laotischen Mekong-Fällen. Apropos: Bekannt ist ihm auch der Barra da Lagna in Florianópolis, Brasilien, der im QUEER TRAVEL GUIDE im Abschnitt „Spektakuläre Strandfreuden“ zu finden ist. Genau in dem Areal, das im Buch abgebildet ist, war er einmal nach durchzechter Nacht an einem der zum Beach-Hopping einladenden vierzig Strände versackt.
Charmant sind Gegenden wie Saugatuck & Douglas in den USA, die uns irgendwie an den schrulligen Charme von Schitt's Creek denken lassen. Besonders reizvoll, jedenfalls für jene, die eher nach einem queeren Kultur-Urlaub als nach Party-Spaß suchen, klingt Valletta in Malta. Hier könnte ein Aufenthalt schon beinahe als Bildungsurlaub verbucht werden. Count me in! Es gibt Orte für Bitchy Cocktails oder Porn Star Martinis (es werden auch viele alkoholfreie Bar-Optionen serviert), Drag Brunches oder gar queere Thrift Shops bzw. Second Hand Stores, Food-Tours und Rentierwurst, Nationalparks (die in den USA dank President Orange teurer werden sollen (Opens in a new window)) oder Filmabende.
Da die Empfehlungen von ortsansässigen, manches Mal gebürtigen, dann wieder begeistert zugezogenen Queers verfasst oder an Alicia Valenski weitergegeben worden sind, gibt es natürlich manch einen Geheimtipp. Ebenso weisen sie aber auf mögliche Unwägbarkeiten und Gefahren hin. Etwa besser ein Uber als ein Taxi zu nehmen, zu gewissen Uhrzeiten als (PoC-)Frau nicht mehr U-Bahn zu fahren, sich gegen das Wetter zu wappnen oder keine Wertgegenstände im Auto zu lassen. Zu den Standard-Reiseinfos gehören Sprache, Währung, die beste Reisezeit sowie die Pride-Partys (dazu findet sich am Ende des Buchs ein Monatsregister) und natürlich eine Karte des Gebiets oft ergänzt von einem „Was noch?“-Feld.
Viele der Empfehlenden sind Blogger*innen und Selbstständige, einige haben queere Reise- oder Veranstaltungs-Apps respektive Veranstaltungsreihen für ihre Areas entwickelt. So etwa Daniele und Luigi aus Mailand, wo sich auch die von Wes Anderson designte (Opens in a new window) Bar Luce befindet, oder Aisha und Lexie aus London. Oder den LGBTQ*-Tourismus „ins Land“ geholt, wie der „waschechte Paulista“ Clovis Casemiro, der die International LGBTQ+-Travel Association (IGLTA) 1998 nach Brasilien brachte. Im Übrigen gibt es in vielen Abschnitten einiges an Kultur- und Landeskunde, wie auch Errungenschaften in puncto queerer Rechte zu erfahren.
Dies wird durch die letzten Abschnitte des QUEER TRAVEL GUIDE „praktische Informationen für LGBTQ+-Reisende“ und „weitere Anlaufstellen“ abgerundet. Hier finden sich Links zu Seiten, die über die aktuelle Rechts- und ggf. Gefährdungslage der jeweiligen Länder informieren, Sicherheitstipps und Notfalladressen. Außerdem Reisebüros und -veranstalter, Magazine und Apps sowie Reiseführer.
Somit ist der Band fabelhaft geeignet, um sich auf einen Städte-Kurztrip ins europäische Ausland vorzubereiten, eine längere Reise zu planen oder schlicht die Fantasie fliegen zu lassen und sich manch eine Inspiration zu holen. Allerdings fällt das Fehlen manch einer Stadt im QUEER TRAVEL GUIDE auf. Dass derzeit Tel Aviv nicht unbedingt genannt wird, ergibt Sinn: Durch den Krieg in der Gegend ist eine Reise wenig ratsam, der große und grandiose Pride fand in diesem Jahr nicht statt.
https://steady.page/de/thelittlequeerreview/posts/de89a04b-5494-44e0-b02a-98822e513f25 (Opens in a new window)Ebenso wenig finden sich keine Staaten und Städte aus Osteuropa, was insofern schade ist, als dass es durchaus „queerfreundliche Enklaven“ gibt. Immerhin hat es auch das texanische Austin in den Band geschafft. Warum Taiwan nicht erwähnt ist verwundert genauso wie die Abwesenheit Paris'. Oslo wäre schön gewesen, ist nun aber auch nicht die erste Stadt, die mir einfällt, wenn es um Queerness geht. Doch vielleicht gerade deswegen?
Der leider in China gedruckte, von Sabine Hohenester und Kathrin Schnellbächer ins Deutsche übertragene Band ist ursprünglich eine angelsächsische Veröffentlichung. Da würde interessieren, ob in der Originalversion auch deutschsprachige Gebiete zu finden sind. Denn Berlin, Köln oder Hamburg (Opens in a new window), Zürich oder Basel sowie Wien finden sich zumindest für uns nicht im Band. Dies aber nur als Randnotiz der Neugierde.
https://steady.page/de/thelittlequeerreview/posts/78c0b310-3dab-4d5f-ba49-524852bd0a7d (Opens in a new window)Unabhängig dieser kleinen Kritipunkte ist der QUEER TRAVEL GUIDE eine sehr feine Sache, eben da er wirklich mit dem Wissen ortsansässiger, queerer Menschen aufwarten kann, die nicht zuletzt auch ihre Lieblingsorte und -speisen empfehlen. Zudem prägen sehr politische, gesellschaftlich relevante, ebenso privilegierte (weiße) cis-Heteros wie die queere Community in ihrer ab und an aufkommenden Bequemlichkeit und vor allem das Reise-Influcer*innen-tum kritisch betrachtende Vor- und Nachworte den Band, der mit Gedanken zur „Zukunft queeren Reisens“ einen so debattenfreudigen wie optimistichen Schlusspunkt findet.
Bis zur hoffentlich zweiten Ausgabe also – es gibt noch viele Orte der und für die LGBTQ*-Reisecommunity zu entdecken!
AS
PS: Eine Anmerkung: Nicht erst in diesem Jahr passiert es, dass diverse queere jüdische Organisationen von Pride Parades und CSDs ausgeschlossen werden (sollen), bspw. Keshet. Sie seien zu politisch oder stünden für den aktuellen Krieg, für die Politik Benjamin Netanjahus. Wohlgemerkt zivile, jüdische, queere Vereine und Co., nicht israelische! Oder sie nehmen aus Sorge um ihre eigene Sicherheit aus freien Stücken nicht teil. Sind mitunter doch nicht nur aufgrund von (rechten) Gegendemonstranten bedroht, sondern auch von Teilen der „eigenen“ LGBTQI*-Community. Hier ein offenes Auge und Ohr zu haben ist eine gute Sache. In einigen Städten werden selbstständig Märsche und Gruppen organisiert, zuletzt etwa in London (Opens in a new window).
https://steady.page/de/thelittlequeerreview/posts/7eff1054-ad2d-4f96-bad2-6336a1bfdf9c (Opens in a new window)IN EIGENER SACHE: Da unser reguläres Online-Magazin noch immer nicht wieder am Start ist, veröffentlichen wir vorerst hier. Mehr dazu lest ihr in unserem Instagram-Post (Opens in a new window) oder auf Facebook (Opens in a new window). Außerdem freuen wir uns immer, wenn ihr uns einen Kaffee spendieren wollt (Opens in a new window) oder uns direkt via PayPal (Mail: info_at_thelittlequeerreview.de) untersützten mögt.

Alicia Valenski: QUEER TRAVEL GUIDE. 50 bunte LGBTQ+ Reisen mit Tipps und Interviews aus der Community; mit einem Vorwort von Paula Akpan; Juni 2025; Aus dem Englischen von Sabine Hohenester, Kathrin Schnellbächer; 240 Seiten, zahlr. Fotografien und Illustrationen; Hardcover, gebunden; Format: 24,3 × 18,9 cm; ISBN: 978-3-575-01246-3; Lonely Planet Reiseführer bei MAIRDUMONT; 26,95 €