Interview Neda
Auf Social Media (Öffnet in neuem Fenster) habe ich es bereits angekündigt, heute teile ich nun das vollständige Interview mit Euch auf Steady.

Wer bist du, was machst du so?
Ich bin Neda und lebe in Göttingen. Ich bin vor Kurzem 41 Jahre alt (Stand: Nov. 2023) geworden und habe eine 9jährige Tochter. Ich habe ursprünglich Pädagogik und Amerikanistik auf Magister studiert und bin auf Umwegen über die Jugendhilfe zum systemischen Ansatz gekommen. Seit 2015 bin ich systemische Therapeutin und Beraterin für Paare und Einzelpersonen in eigener Praxis (Öffnet in neuem Fenster), seit 2019 in der vollen Selbstständigkeit, von der die Praxis eine Säule ist. Ich bin außerdem Lehrende für Systemische Therapie und Beratung, biete Führungskräfteentwicklung in Unternehmen an und leite seit 2022 das Kasseler Institut für Systemische Therapie und Beratung (Öffnet in neuem Fenster). Und einen kleinen Podcast namens fragmalneda (Öffnet in neuem Fenster) hab ich auch noch, in dem ich kleine systemische Impulse gebe.
Als Ausgleich im Alltag liebe ich Sport, insbesondere Bouldern und Reiten.
Zum Einstieg
Wie hast du von dem Fotoprojekt erfahren?
Direkt durch dich, liebe Sandra :)
Was hat Dich an dem Fotoprojekt betrACHTUNGsweise angesprochen? Wozu nimmst du teil?
Ich bin neugierig auf die Erfahrung und was für einen Unterschied sie machen wird. Und ich habe Lust, vor der Linse zu stehen und vielleicht etwas Neues an mir zu entdecken.

Es geht los
In meinem persönlichen Umfeld, aber vor allem wenn ich Frauen fotografiere, höre ich so häufig Aussagen wie z.B. “Ich mag mich nicht auf Fotos”, “Ich werde nicht gern fotografiert”, “Es ist unangenehm, im Fokus zu stehen”. Zudem kenne ich so unendlich viele Menschen, die mit sich selbst hadern und entweder ihr Äußeres stark be- bzw. abwerten oder mit Persönlichkeitseigenschaften hadern, die ein fester Teil von ihnen sind. Mit betrACHTUNGSweise möchte ich mit Deiner Unterstützung einen Perspektivwechsel ermöglichen und für mehr selbstACHTUNG und selbstAKZEPTANZ werben. Daher freue ich mich nun auf Deine Antworten zu folgenden Fragen:
Blick zurück

Wie und womit bist du im Hinblick auf Deine Person, Dein Äußeres und Deine Persönlichkeit aufgewachsen? An was erinnerst du dich? (das bitte nicht öffentlich teilen…)
Als Tochter muslimischer Eltern und einem iranischen Background war das Äußere etwas, das zumindest im Sinne von nackter Haut nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Kleidung sollte den Körper bedecken und ihn nicht hervorheben oder zur Schau stellen. Und das nicht aus einer Bewertung des Körpers heraus, sondern einem Verständnis von Privatsphäre und vielleicht auch Intimität. Ich hatte lange das Gefühl, nicht so richtig zu wissen, was ich mit meinem Körper sollte. Ich mochte es allerdings immer, sportlich zu sein.
Über meine Nase wurde sich immer wieder lustig gemacht, eine Cousine ermunterte mich immer wieder, sie doch endlich operieren zu lassen, da ich ja “ansonsten so hübsch” sei.
Der Iran war in meiner Kindheit sehr präsent als “eigentliche Heimat”; in Deutschland waren wir vornehmlich, um eine gute Ausbildung zu bekommen und ein gutes Leben führen zu können. In mir gab es früh den Wunsch, in den Iran zu ziehen. Dahinter stand das Bedürfnis, nicht mehr “die Ausländerin” zu sein, nicht mehr anders als die anderen. Als ich 9 war, zogen wir nach Teheran - und ich war wieder anders, denn dort war ich “das Mädchen aus Deutschland”. Das war sehr ernüchternd in Sachen Identitätsfindung, wenngleich es toll war, die Verwandtschaft um mich zu haben und das Land mit Kultur und Sprache noch besser kennenzulernen.
Ich bin zwei Jahre dort zur Schule gegangen und wurde sehr gut darin, Wissen zu reproduzieren. Nach zwei Jahren bat ich darum, wieder zurück in Deutschland zu ziehen, was wir dann auch machten. Hier sollte ich in der Schule plötzlich Pro- und Contra-Argumente zu Themen finden und war mega überfordert. Noch heute fällt es mir schwer, mich z.B. in politische Diskussionen einzubringen. Aber heute finde ich es ok.
Was ich noch besonders erinnere aus der Zeit des Aufwachsens ist, dass besonders mein Vater meiner Schwester und mir vermittelt hat, dass wir alles sein und tun können, was wir wollen. Er brachte uns bei, Fahrradreifen zu flicken und lebte uns vor, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt. Dass es nichts bringt, lange zu jammern, wir aber immer etwas TUN können, egal wie schlimm eine Situation zu sein scheint. Und dass es gut ist, Menschen zu vertrauen - wir aber immer dafür sorgen sollen, im Zweifel auch alleine zurechtzukommen. Das hat mich sehr geprägt und dafür bin ich sehr dankbar.
Welche Sprüche kommen Dir aus Deiner Vergangenheit (aus Deinem Elternhaus, Deinem sozialen Umfeld) bekannt vor?
Deine Augen sind so schön, du hast tolle Haare (soziales Umfeld). Ansonsten fällt mir leider aktuell nichts ein.

Gab es Vorbilder in Deiner Familie, in Deinem sozialen Umfeld?
Ich fand es immer toll, was meine Mutter für eine Präsenz hat. Sie trägt ein Kopftuch und kleidet sich so, wie sie sich wohlfühlt - und wenn sie den Raum betritt, ist sie einfach da.
Im sozialen Umfeld hat mich die Arbeit eines Fotografen sehr fasziniert, den ich in Kalifornien kennenlernte. Er fotografierte Frauen und setzte sie so in Szene, dass sie vor Kraft und Selbstbewusstsein zu strotzen schienen. Sie schienen ihren Körper zu lieben und stolz zu präsentieren, das erschien mir selbst völlig abwegig.
Auch mein Vater war ein Vorbild. Er hat es immer geschafft, mit einem Lächeln und seiner diplomatischen Art Menschen zu gewinnen.

Sprüche und Muster der Vergangenheit:
Du bist zu wild im Gesicht (Verwandtschaft im Iran, weil ich mir die Augenbrauen nicht zupfe).
Heute

Wenn ich mich im Spiegel betrachte,
dann (sehe ich) eine Frau, die heute zufrieden ist mit ihrem Äußeren und sich wohlfühlt in ihrem Körper. Eine Frau, die ihren Weg geht und Bock hat, in der Welt einen Unterschied zu machen.
Wenn ich andere Menschen anschaue,
dann (sehe ich) Lebensgeschichten, auf die ich wahnsinnig neugierig bin.
Bist du dir selbst eine gute Freundin?
Ich würde sagen, durch die systemischen Weiterbildungen bin ich mehr und mehr dazu geworden. Ich habe auf jeden Fall gelernt, freundschaftlich gut für mich zu sorgen und mich zwischendurch zu fragen, wie es mir geht. Manchmal bin ich eine strenge Freundin, aber die Milde hält hier und da Einzug in diese Freundschaft 🙂
Was bedeutet für Dich selbstACHTUNG?
Meine Grenzen zu kennen und sie zu wahren. Meine Authentizität zu wahren und nicht jemand/etwas zu sein, was andere gern in mir sehen würden.

Was bedeutet für Dich selbstAKZEPTANZ?
Wie kann es möglich werden, dass wir uns selbst mehr akzeptieren, ja, uns wertschätzen und lieben lernen?
Ich glaube hier sehr an den systemischen Gedanken der “guten Gründe”. Ein Verständnis für die vermeintlichen Schwächen zu finden und zu schauen, was man damit machen will. Sind es Dinge, die nicht so leicht änderbar sind? Dann schau, was für einen guten Platz sie bekommen können und was für ein Blick auf sie es für dich leichter machen, dass sie da sind.
Wie gut gelingt es Dir?
Mittlerweile gut, würde ich sagen. Ich akzeptiere, dass es Dinge an mir gibt, die ich vielleicht nicht so als Schokoladenseite betrachte (ich bin z.B. nicht die allergründlichste). Ich überlege mir, wie ich diese kompensieren kann und finde Lösungen dafür. Und manches darf auch einfach sein, wie es ist, denn ich mag mittlerweile auch meine Ecken und Kanten. Damit komme ich ganz gut zurecht.
Mal angenommen, du dürftest andere hierin unterstützen, was wäre Dein Rat? Was könnte helfen, sich mehr anzunehmen? Sich selbst zu respektieren, zu achten?
Auch hier wieder der Bezug zu den “guten Gründen”. Ein Blick auf die eigene Geschichte, ein neues Erzählen der eigenen Geschichte: Mal angenommen, du würdest dein Leben als die Entwicklung einer Person beschreiben, auf die du heute stolz bist, die du achtest und respektierst.
Wie würde die Geschichte dann klingen?
Was hat diese Person geschafft, überwunden, woran durfte sie wachsen?
Was sind die Punkte, die Sie heute so liebenswert machen?
Zukunfts-Ich
Welches Symbol trägst du bei Dir?

Ich trage eine Kette mit einem Türkis. Das ist ein kleines Stück Iran und mein Lieblingsstein.
Welcher Anker gibt Dir Stärke? Und warum?
Mein Anker ist das Draußensein, die Natur. Ich kann mich sehr begeistern für die Schönheit der Natur, die Ruhe und Kleinigkeiten, die mir begegnen. Wandern, Joggen und alles Sportliche geben mir Kraft.
Welches Symbol/Bild drückt für Dich Selbstakzeptanz aus?
Ein getragenes Herz
Welche Frage hätte ich Dir unbedingt noch stellen müssen? Was magst du ergänzen?
Da habe ich erstmal keine Idee zu, aber danke für die schönen Fragen!

Herzlichen Dank, liebe Neda, dass wir hinter Deine Kulissen blicken durften und du Dich mit Deiner Teilnahme an betrACHTUNGsweise dafür engagierst, dass wir uns und andere mehr annehmen und akzeptieren sollten, ganz gleich, ob wir einer vermeintlichen Norm entsprechen oder auch nicht. Niemand hat das Recht, uns zu bewerten oder sogar abzuwerten.
📷DU findest die Auseinandersetzung mit Dir selbst ebenso spannend? Schreibe mir bei Interesse an den Reflexionsfragen aus dem Interview, einem Shooting oder an einer Kombination aus Fotografie & Coaching gern eine Nachricht (Öffnet in neuem Fenster).