#38 Rückzug in die Welt
Gofigramm

Gestern habe ich ein Video gesehen, in dem der Premierminister des einen Regimes den Präsidenten eines anderen Regimes enthusiastisch lobte, weil der seine Bomber losgeschickt hatte, um die Atomanlagen eines dritten Regimes zu zerstören. Er sprach von einem Wendepunkt in der Geschichte und einer unübertrefflichen Tat. Und ich habe mich gefragt, was das eigentlich mit uns macht, wenn wir ununterbrochen anderen Menschen dabei zuhören, wie sie einer großen Öffentlichkeit ihre Lügen erzählen, was das mit uns macht, wenn die Videos und Bilder und Tonaufnahmen, die wir in großer Menge rezipieren, für uns klar erkennbarer Quatsch sind, weil sie die Wirklichkeit verzerren oder einen zu kleinen Ausschnitt von ihr zeigen, und wir uns daran gewöhnen, weil es eben so normal geworden ist.
Ich bin auf mein Fahrrad gestiegen und habe eine ziemlich lange Runde gedreht. Ich habe einen Storch gesehen, der seine Jungen fütterte. Ein prächtiger Schmetterling flatterte vor mir her, als wolle er mir den Weg zeigen. Die Sonne brannte auf meiner Haut. Ein Turmfalke ließ sich ganz in der Nähe auf einem großen Heuballen nieder, und weiter hinten auf einer Wiese suchte ein Reiher nach Beute. Das Foto oben habe ich für Dich gemacht, als ich anhielt, weil die Luft plötzlich nach warmem Getreide und Gras roch.
Man könnte sagen, das ist der Rückzug ins Private: Man konzentriert sich auf seine eigenen Belange, wenn einem die Welt zu viel wird. Andererseits habe ich mich auf dieser Tour mitten in der Welt befunden. Es war nur nicht die Welt der Nachrichten und sozialen Medien, sondern die, in der ich tatsächlich lebe, die, die andauernd um mich herum existiert, atmet, lebt und stirbt, ganz egal, ob ich das realisiere oder nicht. Ich begegne ihr, sowie ich mein Smartphone weglege und mich ihr zuwende.
In der neuen Folge von POP KUNST SEELE sprechen wir über Bob Dylan. Er tauchte in den sechziger Jahren plötzlich in der Folk Szene auf, in einer politisch ähnlich turbulenten Zeit. Und schnell war er der Hoffnungsträger dieser Szene, weil seine Lieder die Menschen faszinierten. Aber im Gegensatz zu seinen Vorbildern Woody Guthrie und Pete Seeger und auch den meisten anderen Folk-Musiker*innen schrieb er kaum politische Songs. Seine Texte sind oft mysteriös und vermeiden klare Aussagen. Hat der Erfolg ihm darin recht gegeben? Oder hat er es sich zu leicht gemacht? Ich kann mich nicht entscheiden.
Was ich gestern auf meiner Fahrradtour wieder einmal gemerkt habe: Es tut mir gut, rauszugehen und mir die Welt, die direkt um mich herum existiert, nicht nur zu beobachten, sondern sie auch zu spüren, zu hören und zu riechen. Ich wende mich ihr zu und komme dadurch wieder bei mir selbst an. Ob sie sich dadurch verändert, weiß ich nicht. Aber mir hilft es dabei, in diesen Zeiten gesund zu bleiben.
Ich wünsche Dir eine tolle Woche. Bis nächsten Montag!
Dein Gofi
Danke für Dein Interesse! Ich bin Gofi, Künstler, lebe in Marburg und engagiere mich für den Erhalt von Kunst, Kreativität, Gemeinschaft und einer menschenfreundlichen Spiritualität. Das GOFIZINE veröffentliche ich bewusst kostenlos für alle, weil ich möchte, dass jede/r Zugang zu guten Inhalten hat, unabhängig von Einkommen und finanziellen Möglichkeiten. Wenn Du mir bei meiner Arbeit helfen möchtest, bin ich Dir sehr dankbar.
Lyrik
Tabitha Hanan: Eierschalentanz

Ich tanze den Eierschalentanz.
Habe Eierschalen unter meine Füße gebunden.
Frag mich nicht wieso, das gehört sich einfach so,
Sagt man mir jedenfalls.
Dieser Tanz ist beliebt, glaub mir,
Sobald du den tanzt, klatschen sie dir zu,
Ja, dann mögen sie dich.
Augen leuchten auf, Köpfe drehen sich dir zu,
Kein böses Wort kommt über ihre Lippen.
Schau nur wie sie tanzt, so graziös, so feminin,
Ach, so nett.
Eierschalentanz, dank dir trete ich leise auf,
Niemanden anrempeln, Schultern hochgezogen,
Augen rechts und links, tanzen ja,
Nur nicht so wild,
Die Hüften nicht zu sinnlich bewegen,
Schön grau bleiben,
Tanzen ohne zu sehr zu tanzen,
Da sein und doch unsichtbar,
Wütend, aber bitte leise.
Ein Eierschalentanz, ich schwenk die Arme,
Du denkst, ich tanze frei –
Siehst nicht die bedachten, kontrollierten Bewegungen,
Siehst nicht, wie ich beobachte, wie andere mich beobachten,
Siehst nicht die Eierschalen unter meinen Füßen
Und die Angst, falsche Schritte zu machen,
Jemandem auf die Füße zu treten,
Zu laut, zu hässlich zu sein,
Behutsam laufe ich nur.
Wenn du wüsstest.
Wüsstest, wie ich ohne Eierschalen abgehen kann.
Alles, was wild und ungehemmt ist, ist doch schön!
Der Wind peitscht mir entgegen,
Mein Puls rauscht in meinen Ohren und
Es ist nicht alles elegant.
Ja, die Bewegungen sind chaotisch,
unkoordiniert, unbeholfen.
Ja.
Und?
Wen kümmert es?
Wirklich. Wen kümmert es?
Ich kreise meine Hüften langsam
Und werde immer schneller,
Fallen lassen,
fließen, alles im Fluss,
Alles muss raus,
Es gibt kein Halten,
Keine Choreografie und
Keine Scham mehr.
Ich setze meine Füße mit Wucht auf den Boden,
Lass es krachen,
Ich tanze, ja, mit Eierschalen,
Doch die sind kaputt,
Hängen mir in Fetzen weiterhin unter den Füßen
Doch wen kümmert es.
Ich nehme sie mit,
Sie bleiben ein Teil von mir,
Doch so tanze ich jetzt wilder und ungehemmt
Und trete anderen auf die Füße,
Entschuldige mich lächelnd bei ihnen,
Ich remple an und mache so neue Bekanntschaften.
Ich mache falsche Schritte und lache dabei,
Beobachte nicht dich, sondern wie es sich in mir anfühlt.
Ja, ich bin weniger adrett und manche störts,
Doch denen werfe ich lächelnd
Eine Kusshand rüber.
Tabitha Hanan ist Autorin, Lyrikerin und Spoken Word Artistin. Aufgewachsen in Ägypten, bringt sie eine globale Perspektive in ihre Werke mit ein. Derzeit lebt und arbeitet sie in Berlin.
https://www.tabithahanan.de/ (Öffnet in neuem Fenster)Dieser Text ist im Cobains Erben WebMag erschienen. Dort gibt es noch viele andere großartige Texte und Kunstwerke zu entdecken. Schau doch mal vorbei. https://cobainserben.de/ (Öffnet in neuem Fenster)

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Podcast
Bob Dylan: A Complete Unknown

Wir haben uns den neuesten Film über Bob Dylan angeschaut. A Complete Unknown zeigt den Beginn seiner beeindruckenden Karriere. Und wir kommen ein bisschen ins Schwärmen. Nicht unbedingt über den Film, den wir unterschiedlich gut finden, sondern über die Zeit, die er lebendig werden lässt. Während Marco schon seit Langem viel Inspiration von den Held*innen der damaligen Jahre zieht und Jay sich wünscht, dass er diese Zeit selbst hätte miterleben dürfen, hat Gofi bisher wenig Verbindung zu Dylan und dessen Kunst gefunden. Wir begegnen dem Film deshalb aus ganz unterschiedlichen Richtungen, sind aber alle drei fasziniert. Was hat den jungen Dylan so unwiderstehlich gemacht, dass sein Auftauchen in der Szene solche Schockwellen aussendete? Warum konnte er anscheinend nicht anders, als die in ihn gesetzten Erwartungen zu enttäuschen? Was treibt solch einen Ausnahmekünstler immer weiter? Und können Musik und Dichtung auch heute noch eine derartig große Bedeutung haben?
Du findest die Folge hier oder überall, wo es Podcasts gibt. (Öffnet in neuem Fenster)
https://youtu.be/DaqGTDzc-fw?si=SA48vbHV0TrocDLU (Öffnet in neuem Fenster)News
Auf den Spuren des ersten Christfluencers Europas
Begleite Judith Seibold von CHAVAJA und mich auf eine Reise nach Griechenland vom 17.-24.5.2026

Shaul von Tarsos war radikal. Was er anpackte, das erledigte er zu 150%. Und dabei konnte er rücksichtslos sein – gegen sich selbst und auch andere.
Aufgewachsen als Bürger zweier Kulturen, der hellenistischen und der jüdischen, fließend zweisprachig (Griechisch und Aramäisch), war er in einer multikulturellen, multireligiösen und globalisierten Welt zu Hause. Als Handwerker, jüdischer Theologe und Mystiker. Mit einem großen Ziel: Er wollte die Welt mit seiner Botschaft erobern.
Unter seinem Künstlernamen Paulus (der Kleine) ging er die große Aufgabe an. Wo er auftauchte, spaltete er die Geister. Während die einen ihn liebten und verehrten, war er für die anderen ein rotes Tuch. So erreichte er Europa. Und Europa empfing ihn mit Stockhieben und Gefängnis. Doch einen radikalen Aktivisten wie Paulus stachelte das nur an. Er machte weiter und legte eine Spur, der wir noch heute folgen können.
Komm mit uns dorthin, wo für das Christentum in Europa alles begann: nach Griechenland. Wir besuchen die Orte, an denen Paulus wirkte, an denen er Zuspruch und Widerstand erlebte, an denen er Dinge sagte und tat, die die Leben von Menschen und den Lauf der Geschichte veränderten. Wir versuchen herauszufinden, was ihn antrieb, was ihn für manche so unwiderstehlich machte und welche Bedeutung sein Werk bis heute für uns hat.
Ich bin schon seit vielen Jahren von Saulus aus Tarsos fasziniert. Für mich gibt es fließende Übergänge zwischen den Propheten und Aposteln der Antike und unserem heutigen Verständnis von Künstlern.
Als Guide konnten wir den griechenlanderfahrenen Dany Walter aus Israel gewinnen, der uns den jüdischen Paulus näher bringen wird.
Einen Einblick in Programm erhaltet Ihr hier: Programm_Die_Griechenlandreise (Öffnet in neuem Fenster)
Mehr Informationen zu Chavaja – Bildungs- und Begegnungsreisen erfahrt Ihr hier: https://www.chavaja.de/ (Öffnet in neuem Fenster)
Die Preise werden veröffentlicht, sobald Mitte Juni die Flugpreise da sind. Dann könnt Ihr Euch anmelden. Einen Frühbucherrabatt gibt es bis zum 1. August
Danke für Dein Interesse! Wenn Du mir bei meiner Arbeit helfen möchtest, kannst Du das zum Beispiel hier.