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Stempel und Reis

Von Hasnain Kazim - Stempel / Todesstrafe / Reis / Roboter / Stift

Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn Sie “Mein Kalifat” gelesen haben, könnten Sie auf die Idee kommen, dass ich Stempel sehr mag. Also, der Kalif ist natürlich eine fiktionale Figur, das bin nicht ich, aber man könnte meinen, dass… Egal. Jedenfalls: Ich mag Stempel, und ab sofort tragen meine Briefe diesen hier, den ich in Tokio gefunden habe:

Ist der nicht schön?

Der “Twitter-Killer”

Vor vier Wochen hat Japan, nach drei Jahren Unterbrechung, wieder die Todesstrafe vollstreckt. Am 27. Juni 2025 wurde der 34-jährige Takahiro Shiraishi in Tokio hingerichtet, ein Typ, der im August, September und Oktober 2017 neun Menschen ermordet hat. Er suchte nach jungen Frauen, die suizidale Gedanken auf Twitter äußern, schrieb sie an und bot an, sie umzubringen oder gemeinsam mit ihnen in den Tod zu gehen. Er lockte sie in seine Wohnung außerhalb Tokios, vergewaltige sie, raubte sie aus, erwürgte und zerstückelte sie. Daher auch die in den Medien verwendete Bezeichnung “Twitter-Killer”.

Seine acht weiblichen Opfer waren zwischen 15 und 26 Jahre alt. Ein neuntes war ein 20-jähriger Mann, ein Freund einer als vermisst gemeldeten Frau, die der Typ ermordet hatte. Der junge Mann war Shiraishi auf Twitter auf die Spur gekommen, hatte ihn bei der Suche nach seiner Freundin in seiner Wohnung aufgesucht - und war ebenfalls ermordet worden.

Die Polizei kam dem Täter im Oktober 2017 bei der Suche nach einer vermissten 23-Jährigen auf die Spur. Als sie bei Shiraishi läutete, zeigte der nur auf Kühlboxen und sagte, da sei sie drin. Man fand Leichenteile aller anderen Opfer in weiteren Boxen und im Garten. Shiraishi wurde festgenommen, drei Jahre später, 2020, zum Tode verurteilt, und entgegen dem Rat seiner Anwälte verzichtete er auf rechtliche Wege und nahm die Entscheidung hin.

Vor vier Wochen war es dann so weit. In Japan werden zum Tode Verurteilte nicht über das Datum ihrer Hinrichtung informiert. Sie verbringen ihr restliches Leben, zum Teil Jahrzehnte, in Einzelhaft, und eines Morgens stehen Beamte in der Zelle und teilen mit, dass die Hinrichtung in den nächsten ein bis zwei Stunden erfolgen wird. Angehörige und Öffentlichkeit werden erst nach Vollstreckung informiert.

Das sei “psychischer Terror”, beklagen manche, aber das ist nicht meine Kritik. Meine ist eine andere: Ich halte es im Grundsatz für falsch, einen Mörder zu töten. Das ist wie Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Auge um Auge, Zahn um Zahn, das ist alttestamentarisch und meiner Meinung nach unzivilisiert. (Wobei ich anmerken muss: Mit dem neutestamentarischen “Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die linke hin” kann ich auch nichts anfangen.) Außerdem: Wir Menschen können kein Leben erschaffen, also sollten wir auch kein Leben neben. Nicht einmal von solchen Typen wie dem, um den es hier geht. Ich weiß, ich bin kein Pazifist, und von daher mag es ein wenig widersprüchlich klingen, was ich sage und denke, aber was juristische Bestrafung von Straftätern angeht, bin ich gegen die Todesstrafe, ausnahmslos.

Im vergangenen Jahr wurde in Japan ein Verurteilter nach sechs Jahrzehnten in der Todeszelle freigelassen, weil er fälschlicherweise verurteilt worden war. Er erhielt als Entschädigung etwas mehr als umgerechnet eine Million Euro, nur: Was hat ein Mensch davon, wenn er sein Leben in Unfreiheit verbracht hat?

Was Shiraishi angeht, hält sich mein Mitleid in Grenzen. Eine Kerze würde ich für diesen Typen jedenfalls nicht anzünden. Und doch beschäftigt mich das Thema Todesstrafe seit Jahren, begleitet von einem Unbehagen. Ich halte sie prinzipiell für falsch. Und das hat nichts mit Mitleid oder einer erhofften Resozialisierung des Täters zu tun, ganz ehrlich: Ich will keine Resozialisierung solcher Typen, von mir aus sollen die für den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen, weit weg von der Gesellschaft, und bei vielen möchte ich auch keine “Aussetzung der Haft nach 15 Jahren auf Bewährung”, wie es bisweilen in Deutschland Praxis ist.

Shiraishi wurde gehängt, das ist die Exekutionsmethode in Japan. Das Land betreibt sieben Hinrichtungskammern, die in Tokio im Tokyo Detention House ist die meistgenutzte.

Was mich auch beschäftigt: Japan und die USA sind die einzigen demokratischen Industrienationen, die die Todesstrafen noch praktizieren. In Japan, das ergab eine Umfrage 2024, ist die überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung für diese Form der Bestrafung, rund 83 Prozent. Und die Statistik zeigt, dass die Mordrate in Japan so niedrig ist wie kaum irgendwo anders auf der Welt - nur in Singapur liegt sie noch niedrigen (und auch Singapur vollzieht die Todesstrafe). Japanische Fachleute sagen, die Todesstrafe habe mithin eine abschreckende Wirkung. Das mag sein. In den USA lässt sich diese Wirkung nicht belegen.

Aber wie auch immer: Zwar verstehe ich die Menschen, die diese Form der Strafe befürworten, gerade bei eindeutigen, bösartigen Fällen wie diesem, halte sie aber für im Grundsatz falsch. Und ich finde, ein Land wie Japan sollte sie abschaffen - was nicht heißt, Typen wie diesen Mörder hart zu bestrafen und von mir aus für den Rest seines Lebens wegzusperren, ohne Chance auf Resozialisierung.

Die Nachricht von der Exekution hat mich jedenfalls, kurz vor Beginn meiner Japan-Reise, verstört.

Och, wie niedlich, dieses Viecherl!

Bei einem Bummel durch ein Einkaufszentrum habe ich gesehen, dass solche elektronischen Viecherl angeboten werden: kleine, niedliche Robobter mit Kamera und Mikrofon auf dem Kopf, sodass sie uns sehen und hören können. Sie haben Sensoren am ganzen Körder, sodass sie auch Berührungen spüren können. Mithilfe von Computer und “künstlicher Intelligenz” erwachen sie zum Leben und können dem Menschen ein Partner sein.

Angeboten werden sie als Familienmitglied, sozusagen als pflegeleichtes Haustier. Man kann sich eines in der Wunschfarbe aussuchen, es gibt auch Kleidung und anderes Zubehör zu kaufen. So ein Roboter kostet umgerechnet etwa 6000 Euro in der Grundversion, zusätzlich zahlt man für den Service und die Betreuung und irgendwelche Updates und Reparaturen eine Gebühr von etwa 600 Euro im Jahr. Dafür kann man das Ding abschalten, wenn man mal in den Urlaub fahren und es nicht mitnehmn will, braucht keine Betreuung, muss sich nicht um Krankheiten sorgen und kein Futter kaufen.

Die Kinder, die sich diese Roboter ausprobieren sah, waren ausnahmslos: begeistert. Und ein Verkauftsberater sagte mir, diese technischen Wesen seien auch für Erwachsene gut, um der Einsamkeit zu entkommen. Ich schaute so ein Ding an, und prompt kam es auf mich zu, schaute mich an, klimperte mit den Wimpern und sagte etwas, das ich nicht verstand. Natürlich kann man es auch so einstellen, dass es eine Sprache spricht, die man versteht.

Irgendwie praktisch. Aber irgendwie auch todtraurig. Ist das die Zukunft? Dass wir unsere Tage mit beweglichen Computern verbringen und uns mit denen unterhalten? Super, wenn sie einem eine Tasse Tee oder von mir aus auch ein Bier bringen können. Klasse, wenn sie einem bei alltäglichen Arbeiten im Haushalt behilflich sein können. Aber deprimierend, wenn sie die einzigen sind, mit denen wir uns unterhalten können, oder?

Mein Hund Frau Dr. Bohne war froh, als ich ihr erzählte, dass ich nicht vorhabe, sie durch einen Computer zu ersetzen.

Es gibt Reis, Baby!

Als jemand mit indisch-pakistanischen Wurzeln bin ich ein Reismensch. Japaner sind ebenfalls Reismenschen, wenn auch anders: Sie machen sogar Bällchen und Dreiecke aus - klebrigem - Reis, füllen ihn mit allem möglichen Zeug, ich liebe Onigiri! Sehr gute Erfindung!

In einem Technikkaufhaus entdeckte ich eine Abteilung für Reiskocher, und was für eine Abteilung: fünf Regale mit Reiskochern, Dutzende Modelle unterschiedlicher Hersteller und Preisklasse!

Ich finde das faszinierend!

Man mag sich natürlich fragen, wozu man solch ein Ding benötige, man könne doch Reis einfach in einem Topf auf einem Herd kochen. Ja, ja, ja. Aber wer täglich Reis kocht, vielleicht sogar in größeren Mengen, und wer dann auch noch den Reis über Stunden warm und frisch gehalten haben möchte, für den ist ein Reiskocher sicherlich ganz prima.

Der einzige Grund, dass ich keinen habe und auch in Japan keinen gekauft habe, ist, dass ich die Warmhaltefunktion nicht benötige und ansonsten die perfekte Art, Reis zu kochen, gefunden habe: in der Mikrowelle. Dieses Vorgehen, das ich schon seit Jahren praktiziere, habe ich in “Mein Kalifats-Kochbuch” beschrieben (Öffnet in neuem Fenster). Heute noch einmal hier für Sie:

Man benötigt eine Tasse trockenen Reis für etwa zwei Portionen als Beilage zum Beispiel zu einem Curry. Dazu: eineinhalb Tassen Wasser. Und eine Prise Salz; eine Prise ist die Menge, die zwischen Daumen und Zeigefinger passt. Man gebe den Reise in eine mikrowellentaugliche Glasschüssel und wasche ihn darin, indem man ihn zunächst mit Wasser bedecke und mit der Hand durchrühre. Wenn das Wasser nach etwa einer Minute trüb ist, gieße man die Flüssigkeit vorsichtig ab. Bei sehr starker Eintrübung wasche man den Reis ein zweites Mal. Nun ebe man eineinhalb Tassen Wasser zu dem feuchten Reis, für eine Prise Salz hinzu, verschließe die Schüssel mit einem Glasdeckel und gebe das Ganze in die Mikrowelle. Man koche den Reis zuerst sechs Minuten bei 800 Watt und anschließend zwölf Minuten bei 150 Watt. Fertig! Und wenn man Lust hat, gebe man vor dem Kochen zwei, drei Gewürznelken in den Reis oder ein paar Lorbeerblätter oder ein paar Safranfäden. Wenn man aber beim Reis die Sorte Basmati verwendet, braucht es keinerlei andere Gewürze - der Reis selbst durftet vorzüglich genug!

Wenn Sie das mal so gemacht haben und die ideale Garzeit und Wattzahl für Ihr jeweiliges Mikrowellengerät herausgefunden haben durch ein paar Versuche, werden Sie es mir ewiglich danken! Reis wird nie besser als so!

Perfektion, die ich meine

Ich lobte kürzlich das Streben nach Perfektion, dem ich an vielen Stellen in Japan begegne und das ich gut finde, und manche Leser fragten, ob ich ein Beispiel nennen könne. Die pünktlichen Züge habe ich bereits an anderer Stelle erwähnt, ebenso die Toiletten, die man besser nicht bauen kann.

Ein Beispiel, das mir noch einfällt und das ich als jemand, der ein Faible für Schreibwaren hat, unbedingt erwähnen muss: der Druckbleistift Kuru Toga von Uni/Mitsubishi Pencil. Das ist jetzt keine Neuheit, diesen Stift gibt es seit 2008. Aber ich finde ihn seither faszinierend: Die Besonderheit ist, dass er einen automatischen Rotationsmechanismus hat. Bei jedem Schreibkontakt der Mine dreht sich diese leicht. Bei dem billigen Modell, das ich nutze, sieht man das anhand eines orangenen Punktes, der sich im Inneren dreht. Auf diese Weise bleibt die Spitze gleichmäßig angespitzt und nutzt nicht nur auf einer Seite ab. Folge: keine schräge Mine, immer ein sauberes Schriftbild, ohne dass man den Stift selbst ständig drehen muss.

Man mag das für Kleinkram halten oder albern finden, ich denke aber: Wie fantastisch ist das, bitte? Welch Streben nach Genauigkeit und Perfektion! Ich mag das sehr. Und das bei etwas so Einfachem wie einem Druckbleistift! In Japan kostet so ein Schreibgerät im Kaufhaus übrigens umgerechnet keine fünf Euro. Es gibt natürlich edlere Modelle, die teurer sind. Aber dieses tolle Ding kann sich jeder leisten. In Deutschland und Österreich ist dieses Modell leider wenig verbreitet - und findet man es doch irgendwo, ist es recht teuer.

Uni/Mitsubishi Pencil ist übrigens seit einem Jahr die neue Eigentümerin des Heidelberger Schreibgeräteherstellers Lamy.

Seit diesem Wochenende bin ich wieder in Wien und sende Ihnen aus dieser schönen Stadt, die ich das Glück habe, mein Zuhause nennen zu dürfen, herzliche Grüße! Wenn Sie die “Erbaulichen Unterredungen” abonnieren und weiterempfehlen, freue ich mich. Wenn Sie Mitglied werden, unterstützen Sie das Weiterbestehen dieser wöchentlichen Publikation - und erhalten demnächst auch exklusiv ein paar Inhalte.

Eine schöne Woche,

Ihr Hasnain Kazim

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