Man spricht Japanisch
Von Hasnain Kazim - Sprache / Nahost / Altes Land
Liebe Leserin, lieber Leser,
meine Reise nach Japan wirkt nach und beschäftigt mich gedanklich. Mein Sohn und ich waren in Tokio bei einem Friseur und wollten uns die Haare schneiden lassen. Er schaute uns an: “No Japanese, then no!” und überkreuzte die Arme, was “nein” heißen sollte. Sprich: Da wir kein Japanisch sprechen, wollte er uns nicht als Kunden. Man könnte sich darüber nun empören, ich verstand aber, wie er es meinte: Seine Sorge war, dass er uns nicht versteht, dass er am Ende die Haare nicht so schneidet, wie wir es uns erwünschen, dass er seine Arbeit also nicht gut macht und uns enttäuscht, und dann macht er seine Arbeit lieber gar nicht. Lieber nicht Haare schneiden als schlecht Haare schneiden, so ähnlich ist das ja auch in der deutschen Politik ein Leitmotiv.
Fair enough, wir verstanden’s - und zogen weiter. In Kyoto fanden wir einen wunderbaren Salon, in dem die beiden feinen älteren Herren zwar auch kein Englisch sprachen, aber diesmal hatten wir uns vorbereitet: Wir hatten Fotos rausgesucht, wie wir uns unser Aussehen nach ihrem Wirken vorstellten, wir zeigten ihnen also die Bilder auf unseren Handys, sie nickten freundlich - und schnitten. Klappte hervorragend!

Mit Englisch ist es so eine Sache in Japan. Vielleicht haben wir auch nur zufällig immer die getroffen, die kein Englisch können, aber der - subjektive - Eindruck ist jedenfalls, dass die Menschen in Japan kaum Englisch sprechen. Oder es, auch wenn sie es lernen, nicht gerne tun.
In Sendai, einer Millionenstadt im Norden, verbrachten wir ein paar Tage in einem ziemlich guten Hotel, uns selbst dort sprach weder an der Rezeption noch im Restaurant noch sonst irgendwo irgendjemand Englisch. Wir waren ein wenig lost in translation, aber mit Händen und Füßen und heutzutage dank irgendwelcher Apps kommt man auch so gut zurecht. Die Dame an der Rezeption brabbelte etwas in ihr Handy und hielt es uns hin, und wir konnten auf Englisch oder wahlweise auch auf Deutsch ablesen, was sie uns sagen wollte. Dann brabbelten wir zurück, und sie las auf Japanisch, was wir sagten.
Da fällt mir ein, dass ich vor nicht allzu langer Zeit im KaDeWe in Berlin war, in der Schreibwarenabteilung (wunderbar!). Ich hatte eine Frage an eine Verkäuferin, die hinter einer Vitrine stand, und kaum hatte ich begonnen zu sprechen, unterbrach sie mich: “Englisch please. No German.” Ich war ein wenig perplex, switchte dann eben auf Englisch und bekam die Antwort auf meine Frage. Eine ältere Frau, die nach einer ganz bestimmten, seltenen Kugelschreibermine suchte, war überfordert. Sie konnte kein Englisch, und so übersetzte ich dann für sie. Sie war dankbar, aber auch ein wenig genervt. Ich konnte sie verstehen. Einerseits dachte ich: Cool, dass Berlin eine kosmopolitische Stadt ist, wo man in Geschäften auf Englisch parliert, so ganz internäschenäl style. Andererseits, und verzeihen Sie mir, dass ich seltsam klinge: Wir sind hier in Deutschland, und da spricht man Deutsch.
(Und bevor mir jemand schreibt: Ich versteh’ schon, Personalmangel und so, und bevor da niemand arbeitet und verkauft, beschäftigt man halt jemanden, der kein Deutsch, aber immerhin Englisch kann, schon klar.)
Dann wieder fällt mir der Vorfall vor ein paar Jahren in einem Bus in Wien ein, wo zwei junge türkische Frauen, eher Mädchen noch, miteinander auf Türkisch redeten. Da drehte sich ein älterer Mann zu ihnen und blaffte sie an: “Hier spricht man Deutsch!” Die beiden waren völlig verschüchtert und verstummten, woraufhin ich mich einschaltete und dem Typen eine kleine Lektion erteilte, nach der er solch eine Aussage sicher nie wieder treffen würde. Ich möchte hier nicht auf Details eingehen, ich sage nur: Erziehung tut not. Manchmal auch bei alten Knackern.
Was ich sagen will: Miteinander können Menschen ja wohl in der Sprache reden, in der sie wollen. Hauptsache, die Person, an die sie das adressieren, versteht sie. Ich äußere in meinem Umfeld manchmal auch etwas auf Urdu, wenn ich nicht möchte, dass Fremde es verstehen, hihi.
Aber unsere gemeinsame Basis in Deutschland (und Österreich) sollte doch sein: Deutsch. Daher finde ich es völlig richtig, wenn Politiker, Lehrerverbände, Schulleitungen et cetera darauf hinweisen und auch einfordern, dass Schulhofsprache Deutsch ist. Da sollen sich ja eben nicht Gruppen bilden, die sich in ihren Sprachen definieren. Und sowieso sollte es Ziel sein, Schüler möglichst schnell auf ein gemeinsames Sprachniveau zu bringen, dass sie dem Unterricht nicht nur folgen, sondern daran teilnehmen können.
In Japan wiederum ist es mir zu wenig Anderes als Japanisch, auch wenn ich die Haltung, nämlich dass dort Japanisch gesprochen wird und man das bitte lernen soll, wenn man teilhaben will, prinzipiell richtig finde. Dass man nicht mal die Haare geschnitten bekommt, nun ja… Verstehe ich halbwegs. Dass es aber auch Restaurants gibt, die ausdrücklich keine Gäste wollen, die kein Japanisch können, das ist mir wiederum too much.
Das führt zu der Frage: Ab wann gehört man dazu? Ab wann ist man Teil der Gesellschaft? Ab wann ist man Deutscher? Österreicher? Japaner? Mehrere deutsche Freunde in Japan, die dort seit langem leben, zum Teil japanische Partner haben, fließend Japanisch sprechen, sagten mir: Man bekommt stets zu spüren, dass man so ganz nicht dazu gehört. Etwas, das ich so aus meiner subjektiven Sicht für mich in Deutschland nicht behaupten würde. Ein weites Feld, Stoff für einen Text an anderer Stelle.
Es lohnt sich jedenfalls, auf all dem herumzudenken.
Bilder und Wahrheit
Der Nahe Osten ist weiterhin ein großes, ein wichtiges, ein trauriges Thema. Liest man Zeitung/Magazin A, bekommt man ein völlig gegensätzliches Bild zu dem, was man bekommt, was Zeitung/Magazin B schreibt und berichtet. Verrückt. Und irgendwie scheint alles wahr, aber auch nur zur Hälfte erzählt.
Diese Woche wurde eine groteske Debatte geführt über ein von vielen Medien weltweit verbreitetes Foto eines hungernden Kindes, das von seiner Mutter im Arm gehalten wird. Erst später stellte sich durch Recherchen anderer Leute heraus, dass dieses Kind an einer schweren Krankheit litt. Und allen Ernstes verteidigten manche Medien und Experten, dass das gar keine Rolle spiele, dieses Kind hungere schließlich auch.
Es ist ein Irrsinn.
Angesichts der vielen Äußerungen von Politikern, Beobachtern, Hilfsorganisationen unabhängig voneinander würde ich nicht bezweifeln, dass sich in Gaza eine Hungerkatastrophe abspielt. Dass Menschen leiden, erkranken, verhungern, sterben. Dass also dringend etwas getan werden muss.
“Was halten Sie davon, dass Deutschland nun mit einer Luftbrücke hilft?”, fragte mich gestern ein Leser. Was soll ich davon halten? Ich finde es richtig und gut. Wenn unschuldige Menschen leiden, muss man helfen. Natürlich.
Aber doch finde ich wichtig, dass man Wahrheiten nicht verzerrt. Und daher halte ich es für geboten, dass man, wenn man ein Bild zeigt, eventuelle Vorerkrankungen erwähnt und nicht so tut, alles sei eine Folge des Hungerns. Eben weil es sonst Raum öffnet für Spekulationen und Propagandavorwürfe. Es ist, ganz abgesehen davon, journalistisch unsauber. Aber manche Journalisten verteidigen es dennoch, anstatt den Fehler einzuräumen und zu korrigieren.
Und dass übrigens genau dieses Kind mit israelischer Hilfe von der italienischen Luftwaffe nach Italien geflogen wurde, um dort medizinisch behandelt zu werden, findet auch kaum Erwähnung.
Ein paar Mal las ich diese Woche, man sollte über das Thema Nahost am besten gar nicht mehr sprechen, es zerbrächen so viele Freundschaften daran. Das sehe ich auch: dass Freundschaften zu Ende gehen. Andererseits: So wurde schon beim Thema Migration/Zuwanderung/Flucht argumentiert, bei Corona und Pandemiemaßnahmen, bei Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine, jetzt bei Israel und Palästina. Worüber sollen wir noch alles nicht reden? Und bei welchen Themen noch sollen wir den größtmöglichen Blödsinn unwidersprochen stehen lassen?
Ich denke: Immer debattieren, immer streiten, immer das Gespräch suchen, schriftlich wie mündlich, von Angesicht zu Angesicht - und immer so, dass man am Ende noch ein Bier, einen Tee, einen Kaffee, ein Wasser, einen Wein miteinander trinken kann.
Hollern-Twielenfleth und die Welt
Kürzlich, als ich in Bautzen im Dom gelesen habe, bummelte ich vorher durch die Bautzener Innenstadt. Da sprach mich unvermittelt ein Mann an. “Hansi!”, sagte er. Ich kannte ihn nicht, aber sein Ton klang mir sehr vertraut. Es war Jürgen Meyer, Landwirt aus meinem Heimatdorf Hollern-Twielenfleth, und obwohl da eigentlich fast jeder jeden kennt, waren wir einander nicht wirklich bekannt, was ja auch mal vorkommen kann. Er aber hatte von unserer leider verstorbenen Nachbarin, die er gut kannte, oft und viel von uns gehört und wusste daher einiges über mich.
Nun lebe ich schon seit 30 Jahren nicht mehr in dem Dorf, in dem ich groß geworden bin, und Jürgen und ich sind uns früher sicher mal über den Weg gelaufen. Jedenfalls erkannte er mich in Bautzen, wo er gerade mit seinen Geschwistern auf Reisen war, weil ihre Mutter von dort stammte. Und da sah er in Bautzen die Plakate hängen, die meine Lesung ankündigten - und kam also prompt mit all seinen Geschwistern zur Veranstaltung. Im Anschluss, in der Diskussionsrunde im Dom, stand er auf und hielt eine herzerwärmende Rede auf Heimat und Hollern-Twielenfleth und auf mich, was mich sehr rührte. “Bloot is he weglopen”, beklagte er, dass ich schon seit langem nicht mehr in Hollern-Twielenfleth lebe. Auch die Bautzener waren sehr gerührt.

Derzeit bin ich gerade im Norden Deutschlands, gestern Abend hatte ich dort in Jork-Borstel mit der Schriftstellerin Dora Heldt ein Bühnengespräch. Und da ich zufälligerweise am Obsthof Meyer verbeifuhr, hielt ich kurz und sagte Jürgen mal hallo. Unser zweites bewusstes Treffen und das erste Wiedersehen nach Bautzen - einfach herzlich, so sind die Altländer! Ich bekam natürlich eine Schale mit Obst geschenkt, Kirschen (gerade ist die Zeit!), Pflaumen, Mirabellen, Aprikosen (wegen des Klimawandels immer häufiger im Alten Land, ich hoffe ja auf Mangos irgendwann). Obsthof Meyer ist der allererste Obsthof, wenn man aus Stade kommend nach Hollern-Twielenfleth fährt - oder der allerletzte, wenn man von Hamburg durch das Dorf nach Stade fährt. Er ist sozusagen die äußerste Grenze des Alten Landes. Wenn Sie da mal vorbeischauen, grüßen Sie herzlich von mir.
Ich sende Ihnen herzliche Grüße aus dem Alten Land und freue mich, wenn Sie die “Erbaulichen Unterredungen” abonnieren, weiterempfehlen und, wenn möglich, durch eine Mitgliedschaft ihr Weiterbestehen ermöglichen!
Ihr Hasnain Kazim