Die Dämonisierung der Polizei bringt gar nichts: Ich bin links – und finde ACAB blöd
Rechtsextreme Chatgruppen, exzessive Gewalt, AfD-Sympathien: Man kann Probleme bei den Ordnungskräften sehen. Dagegen helfen aber andere Dinge als freche Pullis.
Wie ein Jahr wechselnde Jahreszeiten hat, so hat auch der Polit- und Kulturbetrieb wiederkehrende Debatten. Die Migrationsdebatte zum Beispiel ist ein ebenso fester Bestandteil des gesellschaftspolitischen Bewusstseins wie die Brandmauerdebatte. Mal zoffen die Fleischesser sich mit den Vegetariern, mal die Fahrradfahrer mit den Porsche-Heinis.
Anlässlich eines Pullis (!) der Bundessprecherin der Grünen Jugend, Jette Nietzard (Öffnet in neuem Fenster), ist nun eine weitere, nicht unterzukriegende Debatte wiederbelebt worden: Der ACAB-Streit durchzuckt mal wieder bundesdeutsche Synapsen und ist Auslöser von Bluthochdruck geworden am links-rechten Grenzverlauf.
„All Cops Are Bastards“ (ACAB) (Öffnet in neuem Fenster) also. Die linken Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-Dürfer versus bürgerlich-konservative bis rechte Respektsmahner (Öffnet in neuem Fenster). Was die einen als wichtige, richtige, immer wieder laut zu äußernde Systemkritik sehen, ist den anderen eine Frechheit, eine diskursive Grenzüberschreitung, linksradikales Rowdytum.
Ich persönlich halte es so: Auch wenn ich mich dem linksprogressiven Lager zuordne, halte ich die Äußerung ACAB für unproduktiv. Und ich denke, dass jene, die sie bis aufs Blut verteidigen, auf dem Holzweg sind. Man muss kein Law-and-Order-Lauch sein, um sich ernsthaft zu fragen: Freunde, im Ernst? DAS ist also euer hill to die on?
Ich bin links und finde ACAB blöd.
Wer ACAB zur superdeepen Systemkritik hochjazzt, ist ähnlich lost wie eierschalig-hypersensible Konservative, die ACAB für den Untergang des Abendlandes halten. Wer einen legitimen, konstruktiven Kritikanspruch an Polizeiarbeit hat – und den darf, ja, den sollte man haben – der kann seine Kritik anbringen ohne Gesamtbastardisierung des Polizeiapparats, oder?
Wer wortwahltechnisch riskieren möchte, dass legitime Anliegen wegen des Tonfalls ignoriert werden – tja. Linkslinke werden mir nun eine weitere Todsünde vorwerfen: Tone Policing. „Der Skudlarek, alter Spaßverderber und Stilpolizei, hat mir doch nicht vorzuschreiben, wie ich zu reden habe!!!“.
Natürlich nicht. Rede doch, wie du willst. Ändert nichts an der Tatsache, dass der – jetzt werden einige Augen rollen – Ton die Musik macht. Wer seine Systemkritik nicht anders als mit ACAB verpacken kann oder will, ist wie jemand, der beim Händedruck so fest zudrückt, dass es schmerzt. Gute Sache, aber falsch dosiert. Bisweilen ist das Gegenteil von gut gemeint: schlecht gemacht.
Neben suboptimaler Ausführung ist da der analytische Aspekt: Die Polizei ist, ebenso wie das Militär, ein wesentlicher Bestandteil jeder rechtsstaatlich organisierten Gesellschaft. Auch wenn man linksaußen dabei Gänsehaut bekommt: Ohne funktionale Polizei, ohne funktionales Militär kein funktionaler Rechtsstaat. Das anzuerkennen heißt keineswegs, existente Probleme in den Organisationen kleinzureden.
Mich besorgen rechtsextreme Chatgruppen, ich kritisiere exzessive Polizeigewalt und ich verachte weltanschauliche Sympathien zum AfD-Milieu (Öffnet in neuem Fenster) ebenso wie Millionen andere Demokraten. Allerdings muss die Antwort auf eine rechtslastige Polizei doch sein: demokratisches Empowerment, rechtsstaatliche Resilienz! Ist die Polizei in ihrer Gesamtheit zu rechts, muss sie eben linker werden!
Dies kann man unter anderem dadurch erreichen, indem man die Polizeilaufbahn trotz und wegen ihrer hoheitlichen, zwischenmenschlich brisanten Aufgaben nicht dämonisiert, sondern normalisiert. Derart normalisiert, dass auch linke, progressive, weltanschaulich pluralistisch denkende Menschen beitreten wollen. Es gibt sie ja schon jetzt, die linkspolitischen Polizisten, etwa der Grünen-Politiker Jan-Denis Wulff (Öffnet in neuem Fenster) oder der Autor Oliver von Dobrowolski.
Hey, Chiara Malz ist Polizistin und war sogar bei der Letzten Generation aktiv (Öffnet in neuem Fenster)! Man wird mir nun entgegnen: Das sind Ausnahmen! Ich sage: Das stimmt! Und bleibt ACAB der polizeikritische Slogan Nummer eins, werden es Ausnahmen bleiben!
Warum sollten linksdemokratische Schulabsolventen sich für eine Polizeilaufbahn entscheiden, wenn sie von Gleichgesinnten kollektivbeleidigt werden? Wie kann es je zu einer demokratisch-repräsentativen „Bürger in Uniform“-Polizei kommen, wenn die Berufswahl Polizist/Polizistin für das linke Milieu gleichbedeutend ist mit autoritär-hegemonialem, rechtsextremen Unterdrückungsapparat? Simpler gesagt: Wer hat schon Bock, als Bastard Karriere zu machen?
Was wir brauchen ist, in den Worten des Politikwissenschaftlers und Publizisten Carlo Masala, eine Polizei, die „woke und wehrhaft“ ist. Eine Polizei, die diskriminierungssensibel und demokratisch-repräsentativ das Grundgesetz und seine Werte schützt, allen voran die Würde des Menschen. Mit einer ACABisierung des Diskurses kommen wir dem Ziel, eine solche Polizei zu haben, kein Stück näher, im Gegenteil.
Wer es ernst meint mit legitimer, richtiger, wichtiger Polizeikritik, sollte diese auf eine Weise äußern, dass sie auch gehört wird. Dies ist mit ACAB mitnichten der Fall. Insofern taugt der Spruch zur Provokation, zur Debatte, zum „Guck her, ich bin frech“-Pulliaufdruck. Zum gesamtgesellschaftlichen Dialog über Sinn und Zweck von Polizei taugt ACAB aber kaum.
Wer demokratisch-progressive Verbesserung der Polizeiarbeit anstrebt, muss die Köpfe und die Herzen derjenigen erreichen, die es betrifft. ACAB ist dafür eine denkbar schlechte Wahl – denn wer sich beleidigt fühlt, verschließt sich gegenüber Kritik, auch gegenüber legitimer Kritik.
Anders gesagt: Alle ACABler sind Vollhonks (AACABSV).
Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form im Tagesspiegel.
Während ich diese Zeilen schreibe, hat Donald Trump die Nationalgarde in Los Angeles einmarschieren lassen (Öffnet in neuem Fenster), um gemeinsam mit der Polizei auf diese Weise immer mehr Chaos zu stiften (Öffnet in neuem Fenster) und die Lage eskalieren zu lassen – was Trump wiederum als Vorwand nutzen wird, um seine Macht zu vergrößern und seinem Wunsch, Alleinherrscher zu sein statt Präsident, ein stückweit näher zu kommen (netter Bonus: Ablenkung von der Elon-Misere (Öffnet in neuem Fenster)). Notlage vortäuschen, durchregieren – typischer Autokraten-Move. Einige Kommentatoren, ich inklusive, sehen den Diktatorenbewunderer Donald Trump auf der Suche nach seinem Reichstagsbrand (Öffnet in neuem Fenster); einem Moment also, der ihm den Vorwand bietet (Öffnet in neuem Fenster), seine Macht radikal auszubauen und den Boden der Demokratie weiter zu verlassen, und somit seinen Weg der letzten Monate fortzusetzen.
Wer dieser Tage von Trump und seinen Vollstreckern eine antidemokratische Machtdemonstration befürchtet, fürchtet also nicht unbegründet. Ein bestürzendes Beispiel mangelnder Rechtsstaatlichkeit zeigt sich u.a. in jenem Kurzvideo, in dem eine australische Nachrichtenreporterin von einem LAPD-Beamten gezielt und absichtlich mit einem Gummiprojektil beschossen wird, ohne dass sie auf irgendeine Weise eine Gefahr darstellte oder es die Situation sonst wie nachvollziehbar oder gar nötig machte:
https://bsky.app/profile/luckytran.com/post/3lr5amqrwlc2j (Öffnet in neuem Fenster)Ein eindeutiger und besorgniserregender Verstoß gegen die Pressefreiheit (Öffnet in neuem Fenster), ebenso gegen berufsethische Regeln der Polizei, welche Gewalt nur zur Gefahrenabwehr zulassen. Als ich dies auf Bluesky anmerkte, ließ der Spott nicht lange auf sich warten. „Bist du nicht der Typ mit dem ACAB-kritischen Artikel?” und ähnliche Kommentare kamen schnell.


Genau: Ich bin einer von jenen (Öffnet in neuem Fenster), die ACAB nicht linksradikal-unkritisch abfeiern. Das war ich vor ein paar Wochen, das bin ich nach wie vor heute. Jenen, die sich wegen der Vorkommnisse in L.A. nun selbstgefällig ihrem „Siehste, hatten wir mit ACAB wohl doch recht!” hingeben, antworte ich: Nein. Hattet ihr nicht, habt ihr nicht. Mehr noch: Ihr habt meinen Artikel im Tagesspiegel (Öffnet in neuem Fenster) offenbar gar nicht gelesen. Egal ob Lesefaulheit oder die Paywall der Grund ist: Mein Artikel ist buchstäblich voll von Einladungen, die Polizei zu kritisieren, nur eben idealerweise ohne Bastardisierung und Allquantor (Öffnet in neuem Fenster). Jede liberale Demokratie, die ihren Namen verdient, sollte alles daran setzen, Polizeiarbeit zu fördern, die rechtsstaatlichen Prinzipien gerecht wird, und polizeiliches Verhalten dort laut zu kritisieren, wo es den Kernideen des Rechtsstaates – allem voran der Menschenwürde – widerspricht. Nach wie vor stehe ich vollumfänglich hinter der These, dass der halbstarke Kampfspruch ACAB dafür nicht nur keine optimale Wahl ist, sondern eine schlechte. Bessere Polizeiarbeit – egal ob hierzulande oder in den USA – wird es nämlich nicht gegen die Polizei geben, sondern nur mit ihr (Öffnet in neuem Fenster). Wer in linksradikaler Selbstgefälligkeit die Polizei (ähnlich übrigens: das Militär (Öffnet in neuem Fenster)) als jene behandelt, die es zu beschimpfen, zu bekämpfen und auszugrenzen gilt, der sorgt vielleicht für zusätzliche Treuepunkte in seinem Marx-Lesekreis – einen Beitrag zur Verbesserung der Demokratie und ihrer Institutionen leistet er jedoch nicht. ACAB ist und bleibt linksperformative Selbstvergewisserung, ist und bleibt leerer Moralismus von Differenzierungsverweigerern. Wer ACAB weiterhin als innerlinkes Zugehörigkeitsmantra braucht oder als selbstgerecht-zynisches Shitposting-Palaver – meinetwegen. Die Notwendigkeit oder Tragfähigkeit dieses Slogans bleibt jedoch unbewiesen. Allem Anschein nach schadet er deutlich mehr, als dass er nützt.
Es ist weiterhin beides möglich: eine bessere, an rechtsstaatlichen Grundsätzen und Menschenrechtsprinzipien orientierte Polizei zu wollen und ACAB für eine unterkomplexe, geistesfaule Gesellschaftskritik zu halten. Das geht sogar gut zusammen. Das groteske Fehlverhalten der trumpistischen Exekutive in Los Angeles ändert wiederum daran nichts. Im Gegenteil: Wer bereit ist, sein Weltbild jenseits von Akronymen und Schubladen zu bauen, sieht die Notwendigkeit von Gesellschaftsreformen – mehr denn je. Im Fokus muss stehen, wie wir diese Reformen institutionell, politisch und kulturell erreichen, über Milieus und Schubladen hinweg. Und vor allem: Gemeinsam.
https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/usa/id_100759752/los-angeles-gummigeschoss-trifft-reporterin-vor-laufender-kamera.html (Öffnet in neuem Fenster)