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Die Qual der Zahl – Über Protest, Journalismus und gefühlte Teilnehmerzahlen

Bevor es mit dem heutigen Text losgeht: Am Dienstag, den 24.6. veranstalte ich gemeinsam mit Matthias Kreienbrink eine Online-Veranstaltung (um 18:00). Kommt gerne rum! ⬇️ (UPDATE: 25.6. Veranstaltung war schön & Grüße an alle, die da waren; die Podcastaufnahme gibts hier (Öffnet in neuem Fenster))

https://steady.page/de/janskudlarek/posts/5b0357e0-3fb2-4233-8790-d6b48fbca1c4 (Öffnet in neuem Fenster)The Count Muppet GIFs - Find & Share on GIPHY

Während der No-Kings-Proteste (Öffnet in neuem Fenster) in Los Angeles und anderswo ist mir erneut aufgefallen, wie stark Teilnehmerzahlen polarisieren. Neben den weltanschaulichen Differenzen und der inhaltlichen politischen Spaltung gibt es erstaunlich viel Streit beim Thema, wie viele Menschen öffentlich eine Meinung vertreten, indem sie gemeinsam auf der Straße demonstrieren (und wie man journalistisch angemessen über größere Menschenmassen berichtet). Während die Fürsprecher der jeweiligen Protestziele dazu tendieren, Demonstrationen durch immer neue Superlative zu maximieren, reden die Kritiker der jeweiligen Protestziele die Demos notorisch klein – und irgendwo dazwischen finden sich journalistische Beobachter, die es oft mit ihrer Demonstrationsteilnehmerschätzung niemandem rechtmachen können.

Alt, älter, alternative Fakten

Das Streitthema „Demonstrationsteilnehmerzahlen“ ist keineswegs neu.

Denken wir zurück an Trumps erste Amtszeit. Der Begriff „alternative Fakten (Öffnet in neuem Fenster)“, der zum Glück und aus guten Gründen in der Mottenkiste der Pseudo-Erkenntnistheorie verschwunden ist, wurde im Jahr 2017 gemünzt von der damaligen Trump-Beraterin Kellyanne Conway (Öffnet in neuem Fenster), als sie dem damaligen Pressesprecher von Donald Trump, Sean Spicer, beim Lügen behilflich (Öffnet in neuem Fenster) sein wollte. Spicer verteidigte zuvor die Unwahrheit, bei der ersten Amtseinführung von Donald Trump seien mehr Menschen anwesend gewesen als zuvor bei Obama. Seine Worte (Öffnet in neuem Fenster) gingen in die Geschichtsbücher ein:

„This was the largest audience to ever witness an inauguration — period — both in person and around the globe.“

https://www.youtube.com/watch?v=PKzHXelQi_A (Öffnet in neuem Fenster)

Dass dies eine leicht zu erkennende Lüge war (Öffnet in neuem Fenster)? Nebensache!

Conway wiederum verteidigte ihn:

„Sean Spicer, unser Pressesprecher, hat dazu alternative Fakten dargestellt.“

https://www.youtube.com/watch?v=VSrEEDQgFc8 (Öffnet in neuem Fenster)

Doch Unwahrheiten werden nicht dadurch zu Wahrheiten, indem man sie so nennt – darüber habe ich ein ganzes Buch (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben:

https://www.reclam.de/produktdetail/wahrheit-und-verschwoerung-9783150206263 (Öffnet in neuem Fenster)

Wie viele Menschen sich also wo zur Ausübung ihrer demokratischen Grundrechte – sei es Demonstrationsrecht oder Versammlungsfreiheit – zusammenfinden, ist somit schon jahrelang Politikum.

Die Streitfrage „Wie viele Menschen waren wann wo?“ betrifft keineswegs nur die USA. Wir kennen das Phänomen ebenfalls aus Deutschland.

Denken wir zurück an die konspirativ-durchgeknallten Querdenker, die natürlich immer zehnmal mehr gewesen sein wollten (Öffnet in neuem Fenster) als sie tatsächlich waren. Wer anderes berichtete – „Lügenpresse!“. Ebenso wurde bei den Protesten gegen Rechtsextremismus (Öffnet in neuem Fenster) im Winter 23/24 und, ein Jahr später, bei den „Brandmauer“-Demos (Öffnet in neuem Fenster), nicht nur über Zustand und Bedrohungslage der Demokratie gestritten. Neben der Tatsache, wofür man eintritt, war stets auch Gegenstand der Debatte, wie viele für die jeweilige Sache eintreten.

Die Gleichung ist scheinbar einfach: Massive Präsenz ist gleichbedeutend mit massiver Relevanz.

Überrascht hat mich also weniger die Tatsache, dass sich unterschiedliche politische Lager über die Schätzung großer Menschenmassen streiten, und vielmehr die Vehemenz. Als die Tagesschau bei den US-amerikanischen No-Kings-Protesten neulich vorläufig über „zehntausende Menschen“ berichtete (unten im Screenshot erhalten), war der Aufschrei groß. Weniger über die Demo und vielmehr über die vermeintlich zu niedrigen Demonstrationsteilnehmerzahlenangaben:

(Öffnet in neuem Fenster)

 

Wie in diesem Screenshot zu sehen ist, berichtete die Tagesschau zunächst von „zehntausenden Menschen“. Diese Zahl wurde schnell nach oben korrigiert, und mittlerweile steht im selben Artikel (Öffnet in neuem Fenster):

„Beim "No Kings Day" gingen landesweit Menschen auf der Straße - laut Veranstaltern waren es Millionen.“

Selbst wenn die meisten deutschen Kritiker und Kritikerinnen noch weniger vor Ort gewesen sein dürften als die Tagesschau-Korrespondenten, das Urteil war eindeutig:

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