Gute (und weniger gute) aktuelle Kinofilme im Überblick
Du fragst dich, welche Filme sich lohnen und welche nicht? Missy sagt es dir. Hier kommen unsere Filmempfehlungen (und auch solche, die kein Muss sind) des Sommers.

Viet und Nam
Viet (Đào Duy Bảo Định) und Nam (Phạm Thanh Hải) sind nicht nur Minenarbeiter, Weggefährten und ein Liebespaar. Ihre Namen sind auch Abkürzungen für Nord- und Südvietnam, die einst Feinde waren. So sprechen die beiden Protagonisten auch den jeweiligen Dialekt: der eine süd-, der andere nordvietnamesisch. Während wir von Viets Familie nicht viel erfahren, erhalten wir einen Einblick in Nams Zuhause und lernen seine Eltern kennen: seinen Vater, der als Soldat im US-amerikanischen Krieg in Vietnam starb; seine Mutter, die ihm später gesteht, dass sein Vater nicht von ihm wusste, als sie schwanger war. Zwischen beeindruckenden Landschaften und den Geistern der Vergangenheit geht es in dem fiktionalen Film im dokumentarischen Stil um die geheime homosexuelle Beziehung zwischen Viet und Nam. Und darum, dass Nam, nach einer besseren Zukunft strebend, das Land verlassen möchte. Bevor er jedoch gehen kann, will er mehr über seinen Vater wissen – wie seine Mutter, die den Verstorbenen auch nicht ruhen lassen kann. Zusammen mit Viet und dem Veteranennachbar und ehemaligen Freund des Vaters begeben sie sich auf eine bewegende Reise in den Süden des Landes. Gespickt mit Bildern aus dem Untergrund, Fantasien und der Hoffnung nach einer besseren Zukunft, erzählt Regisseur Trương Minh Quý auf poetische Weise nicht nur eine berührende Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Männern, sondern bietet auch eine spannende Perspektive auf Vietnam, die sowohl aktuelle als auch vergangene Themen verhandelt. Thị Minh Huyền Nguyễn
„Viet und Nam“ VN/CH/FR/LI 2024 ( Regie: Trương Minh Quý. Mit Phạm Thanh Hải, Đào Duy Bảo Định, Nguyen Thi Nga Hoa, Daniel Le Viet Tung u. a., 129 Min., Start 07.08. )

Das Deutsche Volk
Es ist einer dieser Dokumentarfilme, die hoffentlich bald in jedem deutschen Lehrplan auftauchen. Es ist die wohl wichtigste Doku über den rassistischen Anschlag von Hanau in der Nacht des 19. Februars 2020: weil sie uns über mehrere Jahre hinweg ganz nah an die Menschen bringt, deren Leben durch den Anschlag von Grund auf erschüttert wurden. Marcin Wierzchowski hat die Angehörigen der neun Opfer und Überlebenden in den vier Jahren nach dem 19. Februar begleitet. In „Das Deutsche Volk“ dokumentiert er ihre Trauer, ihren Kampf um Gerechtigkeit und gegen Rassismus. Wierzchowski nimmt die Zuschauer*innen mit auf Beerdigungen, mit in die Arena Bar, sogar mit nach Rumänien und in die Türkei zu den Familien von Vili Viorel Păun und Gökhan Gültekin. Die Aufnahmen sind in Schwarz-Weiß, sie bleiben unkommentiert und roh aneinandergeschnitten: Es gibt keine Erzählstimme aus dem Off und keine Einblendungen. Was sollte ein*e Erzähler*in auch groß hinzufügen, wenn Niculescu Păun die blutige Kleidung seines verstorbenen Sohnes in die Kamera hält und erklärt, er könne sie seit Jahren nicht waschen? Oder wenn er erzählt, wie er am Morgen nach dem Anschlag zur Arbeit fuhr, weil die Polizei es versäumte, ihn über den Tod seines Sohnes zu informieren? Die szenische Doku ist radikal ehrlich. Ohne Verharmlosungen bildet sie ab, wie die Angehörigen keine Ruhe finden können – nicht einmal vier Jahre nach dem Anschlag. Nele Cumart
„Das Deutsche Volk“ DE 2025 ( Regie: Marcin Wierzchowski. 132 Min., Start: 04.09.)

Mädchen Mädchen!
Ein Remake der gleichnamigen Teenie-Komödie „Mädchen, Mädchen“ aus dem Jahr 2001: Inken, Vicky und Lena machen sich auf die Suche nach ihrem ersten Orgasmus. Die nostalgische Begeisterung verfliegt leider schnell. Denn schon die schauspielerischen Leistungen – insbesondere der Nebendarsteller*innen – werfen viele Fragen auf, vor allem: Wurde hier nach Instagram-Reichweite statt nach schauspielerischem Talent gecastet?! Noch viel irritierender ist es allerdings, dass sich drei 17-jährige Mädchen 2025 kichernd gegenseitig fragen: „Hattet ihr schon mal einen Orgasmus?“, das O-Wort dabei kaum aussprechen können und dann Antworten kommen wie: „Hihihi, nee, aber ich bin immer gern reiten gegangen.“ Der tief verankerte männliche Blick auf weibliche Sexualität – der unterstellt, junge Frauen würden garantiert nie an sich selbst herumspielen und der Orgasmus sei für Menschen mit Vulva ohnehin ein schwieriges Unterfangen – hätte ruhig im Jahr 2001 bleiben können. Ja, der Film bemüht sich um Diversität, doch die pseudo-woke Aufmachung geht nicht auf, wenn es bereits an der angemessenen Aktualisierung offensichtlich veralteter Inhalte scheitert. Im Kino haben vor allem die drei halbglatzigen Ü45-Männer vor mir gelacht und ich sag mal so: Es passt ins Bild. Lucie Andritzki
„Mädchen Mädchen!“ DE/AT 2025 ( Regie: Martina Plura. Mit Kya-Celina Barucki, Julia Novohradsky, Nhung Hong, Annette Frier u. a., 90 Min. )

Oxana
Oksana Schatschkos Biografie eigenet sich wirklich für eine Verfilmung: Zwischen ihrer Jugend in der Ukraine und ihrem Suizid in Frankreich kämpfte die Femen-Aktivistin unerschrocken gegen Kirche, KGB und Konservatismus. Sie durchlebte Gefängnis, Folter und Exil. Im Filmporträt „Oxana“ der französischen Regisseurin Charlène Favier wird ihr radikaler Kampf von Kinopathetik überdeckt. Es wirkt in vielen Szenen wie ein makelloser Streifen europäischer Filmtradition, aber nie wie die Realität einer revolutionären ukrainischen Künstlerin, die ihren Körper als Protestobjekt gegen Autokraten wie Alexander Lukaschenko in Belarus oder Wladimir Putin in Russland gestellt hat. Die spannendste Szene des Filmes ist jene, in der Oxana (Albina Korzh) einer Beamtin in Frankreich ihre Geschichte selbst erzählt, um sie von ihrem Fluchtstatus zu überzeugen – hier findet Schatschkos tragische Geschichte Raum, hier spricht politischer Kampf ohne Geschnörkel. Doch in den meisten Szenen bleiben sowohl der Antrieb der Protagonistin als auch der Realitätsgehalt des Spielfilms unklar: Warum hat Oxana spontan Sex in der Umkleidekabine eines Schwimmbads? Was ist ihr Motor? Warum begeht sie Suizid? Die Kampfansage von Oxana bleibt nach dem Film trotzdem hängen: „Unsere Mission: Rebellion. Unser Gott: Die Frau.“ Laura Helene May
„Oxana“ FR 2024 ( Regie: Charlène Favier. Mit Albina Korzh, Maryna Koshkina u. a., 104 Min., Start: 24.07. )
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