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Die Platte verdient einen Neustart

KOLUMNE / LEBEN

Das Wohnen im Block hat einen schlechten Ruf. Statt darauf mit Abriss zu reagieren, sollten Städte lieber etwas dagegen tun. Am besten mit innovativer Soziokulturarbeit.

von Claudia Arndt

  1. März 2024

Ich bin ein Kind der Platte. Meine Siedlung in Cottbus Neu-Schmellwitz hat sogar Prominenz erlangt. Der Filmemacher Peter Rocha bildete sie 1989 in seiner preisgekrönten dokumentarischen Trilogie „Die Schmerzen der Lausitz“ (Öffnet in neuem Fenster) ab. Dort war die Platte gleichsam Metapher für ein eintöniges Lebensumfeld wie für Zukunft. In diesem Spannungsfeld bin ich aufgewachsen zwischen grauen Fünfgeschossern aus Waschbeton. Wir Kinder verbrachten unsere Zeit am Fließ, in den Durchbrüchen, auf Teppichklopfstangen. Doch dieser Reiz nutzte sich ab. Ende der 90er Jahre empfand ich die Atmosphäre in unseren Platten nur noch drückend.

Die Erinnerung an die Platte und das lebendige Gemeinwesen in problematisierten Stadtvierteln ließ mich nicht los. 15 Jahre später hatte sie mich wieder. Da war ich Sozialarbeiterin im Quartiersmanagement im Stadtteil Ströbitz. Dort waren 2016 viele Geflüchtete hingezogen. Meine Aufgabe war es, zwischen neuen und alteingesessenen Bewohnern zu vermitteln, um Konflikte zu vermeiden.

Was mir dabei klar wurde: Eine solche Siedlung wird wird zum sozialen Brennpunkt, weil man sie für einen sozialen Brennpunkt hält. Das hat die Platte nicht verdient. Ja, Hochhaussiedlungen sind nicht jedermanns Sache. Aber sie stehen für ein urbanes Lebensgefühl, dass angesagt war, als der Beton noch frisch war. Und das eigentlich nie verschwunden ist. Wir müssen umdenken, um die Platte wieder en vogue zu machen. Wir müssen Vorurteile und negative Konnotationen überwinden

und den Plattenbau als das sehen, was er sein kann: eine innovative und nachhaltige Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Schauplatz kultureller Innovation

Das kann die Platte auch in kleinen Städten sein. Wie in Herzberg. Dort hat die Leipzigerin Maxie Jost mehrere Monate in einem unsanierten Block gewohnt. Das Ganze war Teil des„Summer of Pioneers“ (Öffnet in neuem Fenster)- einem Projekt, das junge Kreative aufs Land lockt, um sich dort einzubringen. Maxie nahm sich den letzten unsanierten Plattenabschnitts in Herzberg-Nord vor. Dort schuf die Kulturanthropologin in einer leeren Wohnung einen Begegnungsraum und nannte ihn „Platte Macchiato“. (Öffnet in neuem Fenster)

Maxie Jost, selbst in diversen Plattenbaugebieten innerhalb Leipzigs aufgewachsen, kennt die Faszination für Waschbeton-Blöcke nur allzu gut. Sie war Sozialarbeiterin im Salvador-Allende-Viertel (Öffnet in neuem Fenster) in Berlin-Köpenick. Maxie wollte dem Leerstand in den Plattenbauten Leben einhauchen. Sie wollte einen Ort schaffen, den sie trotz hässlicher Fliesen und PVC-Mief lebenswert findet. Das setzt voraus, dass offensichtliche Probleme in der Nachbarschaft nicht länger ignoriert werden.

Maxie Jost sieht den Plattenbau als Schauplatz einer kulturellen Innovation im normalen Alltag. Eine Zweizimmerwohnung mit vergilbter Tapete ist für sie nicht nur ein Ort zum Wohnen, sondern eine Leinwand für kreative Experimente und Begegnungen, die vielleicht sonst im täglichen Leben nicht zustande kommen. Sie hat Interviews mit Leuten aus dem Block geführt und die Mitschnitte beim Stadtfest abgespielt - in einem Trabant. Sie hat Plattengeschichten in Schallplattenhüllen gelegt und zur öffentlichen Abstimmung gestellt, welche Geschichte aus dem Leben in der Platte erzählt werden darf. Diese Performances haben dem Plattenwohnen eine neuen wertschätzenden Rahmen gegeben. Die Geschichten wurden in die Herzberger Innenstadt getragen, wo hübsch sanierte Ackerbürgerhäuser immer mehr Zuzüglern aus Berlin ein neues Lebensgefühl bieten.

Aufwertung statt Abriss

Solche Aktionen zeigen, dass die Platte mehr ist als nur eine stumme Zeugin vergangener Tage. Sie ist - wenn man sie lässt - ein Ort der kulturellen Entfaltung und des gemeinsamen Erlebens. Doch dazu müssen sich Menschen wieder freiwillig fürs Wohnen in der Platte entscheiden. In Großstädten, wo Wohnungen fehlen, ist das viel eher möglich als in einer Kleinstadt mit viel Leerstand. Solange der Wohnblock nur flexibler Wohnraum ist für diejenigen, die keine andere Wahl haben, wird sich sein Ruf nicht bessern. Solange nur diejenigen die Nachbarschaft und den Zusammenhalt im den Plattenbauvierteln schätzen, die dort seit Jahrzehnten wohnen, bleibt Revitalisierung ein Traum. Es ist Aufgabe kluger Stadtpolitik, das zu steuern durch gezieltes Investieren und das Anschieben von zivilem Engagement.

Plattenbau ist auch ein Stück Kultur. Das wissen selbst diejenigen, die damit hadern. Sie war nie dazu da, herkömmlich eingeordnet zu werden, sondern ist ein Experimentierraum, der Altes und Neues miteinander verschmelzen lässt. Es wird Zeit, ihre Schönheit und Vielfalt neu zu entdecken und für die Entwicklung unserer Städte nutzbar zu machen. Es ist Zeit und liegt an uns, den Plattenbau als das zu sehen, was er sein kann: ein lebendiger und inspirierender Raum für alle. Ein Ort der Vielfalt, Innovation und Gemeinschaft.

Die Vernachlässigung von Wohnflächen in Plattenvierteln ist sowohl aus biografischer als auch sozialer Perspektive bedauerlich. Bewohner sollten nicht länger mit dem drohemden Abriss ihres Zuhauses leben müssen. Die Aufwertung dieser Viertel ist nicht nur eine Frage des ästhetischen Werts, sondern auch ein Akt der sozialen Gerechtigkeit.

Kategorie Köpfe und Stimmen