Vetschau macht Watt
HINTERGRUND / ENERGIEWIRTSCHAFT IN OBERSPREEWALD-LAUSITZ
Juli 2025
Im Ortsteil Missen macht sich eine Bewegung für Bürgerenergie stark. Stromerzeugung soll künftig ohne große Anlagen von auswärtigen Investoren auskommen. Das Dorf verspricht sich davon mehr als Geld.
Von Christine Keilholz

Grüner Strom entsteht in Missen im Kreis Oberspreewald-Lausitz seit 15 Jahren. 2010 wurde eine große Photovoltaik-Anlage am Ortsausgang installiert. Damals wurden die Anwohner nicht lange gefragt, was sie davon halten. Doch nun steht das Repowering der Anlage an - und da wollen die Missener mitreden. „Da müssen Bürger mit ins Boot geholt werden“, sagt Ortsvorsteherin Jeanette Richter. Sie geht davon aus, dass die meisten im Dorf Energieprojekte auf diese Weise nicht unterstützen wollen. Die Einstellung zur PV-Anlage ist „zu 75 Prozent negativ“, schätzt sie.
Denn bisher hat Missen von seinem erneuerbaren Strom wenig. Von dem, was die Kommune an der Anlage verdient, bleiben nur fünf Prozent im Dorf. Ein größerer Teil wird auf die umliegenden Dörfer verteilt. 75 Prozent gehen in die Stadtkasse von Vetschau. Das rechnet Richter vor an diesem Nachmittag im Dorfgasthof. An die 40 Leute sind gekommen, um darüber zu beraten, wie Energiewende in ihrem Dorf besser laufen kann. Die Erneuerung der alten Solaranlage bietet Anlass zum Reset. Auf der Einladung für den Nachmittag steht Bürgerenergie. Eine Genossenschaft zu gründen, dafür können sich viele hier erwärmen.
Missen hat gute Voraussetzungen, im großen Stil in die Solarenergie einzusteigen. Das zeigt die Potenzialkarte (Öffnet in neuem Fenster) vom Energieportal Brandenburg, die der BTU-Rechtswissenschaftler Dirk Marx an die Wand im Tanzsaal wirft. Südlich von Vetschau sind 500 bis 600 Hektar für Solar geeignet, meist Ackerland mit ungünstigen Bodenwerten. Missen liegt mitten in einem energiepolitischen Kraftfeld, das wird mehr Investoren anziehen, erwartet Marx: „Man muss jetzt aktiv werden, damit dieses Potenzial nicht einen willkürlichen Druck entwickelt, sondern dass man da Gestaltungsspielraum hat.“
Ein Dutzend Projekte in Brandenburg
Energiewende lief in vielen Dörfern der Lausitz bisher ähnlich ab: Meist wurden große Anlagen von auswärtigen Investoren hochgezogen. Meist sind die Anwohner nicht zufrieden damit. Die gängigen Einwände wegen Lärmbelästigung, gestörter Optik oder zerschnittener Flora-Fauna-Habitate verdecken dabei oft das Eigentliche, was diese Art von Top-Down-Investment in den Dörfern hinterlassen hat: ein verbreitetes Gefühl von Ohnmacht angesichts der Umgestaltung der eigenen Umgebung.
Das hat Widerstand produziert und eine Skepsis auch gegenüber neuen Formaten von wohnortnaher Energiegewinnung, die ausdrücklich anders laufen sollen. Sebastian Zoepp muss deshalb behutsam vorgehen. „Die Energiewende läuft nur bedingt im Interesse der Menschen vor Ort“, sagt der Unternehmer aus Vetschau. „Es hängt viel davon ab, wie die Aushandlungsprozesse vor Ort sind und wie Gespräche mit Investoren laufen.“ Zoepp organisiert Beteiligungsprozesse und Veranstaltungen wie diese. Seine Mission ist es, Energiewende als zivilgesellschaftliches Engagement in den Dörfern beliebt zu machen. Er ist überzeugt, Akzeptanz entsteht nur, wenn die Menschen ins Geschehen eingreifen können. Und das geht nur durch Zusammenschlüsse.
Die Kraft gemeinsamer Energiegewinnung überzeugt auf vielen Dörfern. Um die 1.000 Genossenschaften produzieren bereits deutschlandweit. In Brandenburg allerdings erst ein Dutzend. Unternehmer Zoepp und Wissenschaftler Marx wollen das ändern. Die Bandbreite von Bürgerenergie reicht von einfacher Beteiligung bis hin zu eigener unternehmerischer Tätigkeit in großem Stil. Dabei stehen die Projekte immer im Dienste des Kollektivs. „Die Leute machen das nicht zu einem höheren Zweck, sondern dass Ihre Gemeinschaften davon profitieren“, sagt die Stadtplanerin Laura Doyé, die sich in Zoepps Unternehmen (Öffnet in neuem Fenster) um Bürgerenergie kümmert.
Solareuro verändert das Denken
Vetschau hat lange Erfahrungen mit der Energie. Das Kohlekraftwerk Vetschau gibt es seit 30 Jahren nicht mehr, es hatte mit 1.200 Megawatt Leistung. „Wir waren eine Stromerzeugungskraft und sind es immer noch“, sagt Bürgermeister Bengt Kanzler. Er will in Vetschau Bürgerenergie angehen. Eine PV-Anlage auf dem Dach des Schulzentrums soll den Anfang machen. Kanzler meint, die Vetschauer seien schon zu gewinnen dafür, wenn sie wissen, welche Vorteile es bringt - und was mit der produzierten Energie passiert. Wer an einem Windrad beteiligt ist, will auch den eigenen Strom nutzen, nicht irgendwelchen aus dem Netz.
Grundsätzlich, so beobachtet Bürgermeister Kanzler, lässt die Skepsis nach. „Der Solareuro, lässt das Denken schon ein bisschen anders werden.“ Seit Anfang des Jahres belohnt der sogenannte Solareuro Kommunen in Brandenburg, die PV auf ihren Flächen zulassen. Je mehr Leistung eine Anlage bringt, desto mehr Geld fließt. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Akzeptanz schon steigen wird, wenn die Menschen mitverdienen.
Doch das ist kein Selbstläufer. Die Dörfer im Spreewald sind nicht unbedingt auf der Suche nach neuen Einnahmequellen. Ein ungestörtes Erscheinungsbild gilt hier mehr als Strom und Industrie, auch wegen der Touristen. Missen hat gut gepflegte Höfe und schmucke Vorgärten. Ein lauschiger Wohnort für Menschen, die nach Berlin oder Cottbus pendeln.
Kein Beitrag zum Neid
Auch Günther Thiele ist für Bürgerenergie. „Damit hätten die Dörfer eigenes Geld, nicht nur die Kommune.“ Thiele war einmal selbst Dorfbürgermeister und weiß wie es ist, wenn die eigene Gemeinde ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann. Er hat die Dorfbewegung Brandenburg mitgegründet. Die Energiewende in der Fläche sieht er als Chance für die Dörfer, ihre verlorene Gemeinschaft wiederzufinden.
Wenn man es richtig angeht. Schließlich geht es um viel Geld. „Solaranlagen sollten kein Beitrag zum Neid in den Dörfern werden“, das ist Thiele wichtig. Er meint auch den Neid unter den Dörfern, denn nicht alle stehen bei Investoren und Engagierten gleich hoch im Kurs. Einige Verwaltungen können sich nicht an Förderung beteiligen, weil sie keine Eigenmittel haben oder keinen stabilen Haushalt aufstellen können. Die Energiewende ist eine ungleich verteilte Verheißung. Sie begünstigt jene, die Flächen haben, günstig gelegen sind und schnell handeln können.
Von Neid weiß auch Missens Ortsvorsteherin zu berichten. Die 15 Jahre alte PV-Anlage hat das Dorf geteilt in jene, die daran verdienen, und den Rest, der den Anblick ertragen muss. „Man weiß, welcher Flächenbesitzer das ist und wie viel der bekommt“, sagt Jeanette Richter. Die Idee einer Energiegenossenschaft findet sie gut. Das könnte die Konflikte befrieden.
