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Home Workout, 15 Minuten fürs gute Gewissen 

Wer vor der Pandemie schon kein Sport gemacht hat, sollte es im Lockdown auch dabei lassen. Nacht acht Stunden in verschiedenen Videokonferenzen noch schnell den  Wohnzimmerteppich bei Seite und sich ein paar Minuten auf dem guten Echtholzparkett  verausgaben, nur um am selben Abend eine komplette Tüte funny-frisch Ungarisch zu  inhalieren, weil man es sich ja verdient hat. Manche Pandemie Trends sind gekommen, um zu  bleiben, viele aber auch nicht. Sport in den eigenen vier Wänden ist einer davon.  

Die Einzimmerwohnung oder das WG-Zimmer wurde im letzten Jahr nicht nur zum Büro,  Hörsaal oder zur Stammkneipe, sondern auch zum Fitnessstudio. Ohne Ablenkung durch einen  geregelten Alltag fällt einem schnell auf wie schlecht man sich ernährt und wie wenig Sport  man eigentlich macht. Aber was tut man nun gegen dieses schlechte Gewissen?  Fitnessstudios haben geschlossen, fürs Joggen fehlt einem die Ausdauer und muss man in die  gefürchtete Öffentlichkeit, was sollen da bloß die Leute denken. Die Lösung: Home Workouts. 

Eine viertel Stunde vor dem Laptop rumhampeln, sich Minute für Minute ungeschickter  vorkommen, nur um Ende 100 Kalorien verbrannt zu haben, die man später mit nur einem  Löffel Ben & Jerry’s wieder wett macht. Statt die grundlegenden Probleme anzugehen,  versteckt man sich hinter einem Pamela Reif Ganzkörpertraining. Da geht’s schon los; das  Angebot an Fitness Videos auf YouTube ähnelt dem Angebot an weltverändernden Dokumentationen auf Netflix. Von wem soll ich mich die nächsten Minuten bei Übungen  anfeuern lassen, zu den mein Körper gar nicht imstande ist? Pamela Reif an einem weißen  Sandstrand in Bali oder doch lieber realitätsnah vom McFit-Trainer, der pandemiebedingt  Videos in seinem Keller aufnimmt? Bauch-Beine-Po, Ganzkörper oder doch das Training für  den perfekten Sommer Body, den ich aber später nur meinem eigenen Haushalt zeigen darf.  Zu lange soll es bitte auch nicht sein, wir wollen keine Langzeitfolgen haben, wie Muskelkater  für die nächsten zwei Tage. Zehn Minuten dagegen sind zu kurz, kaum Zeit für unseren Körper  ins Schwitzen zu kommen, die einzige Form von Bestätigung, die wir erwarten können.  Am Ende liegt man, an die Decke starrend, auf seiner Yogamatte und ringt verzweifelt nach  Luft. Es hätte so schön sein können, die Yogamatte, die nach dem Impulskauf bei Tchibo im  Keller verstaubte, hätte wieder einen Zweck und man selbst sei doch sportlicher als man  ursprünglich vermutet hatte. Doch während die Besinnung langsam zurückkehrt, noch nicht genug, um sich selbst zu belügen, spürt man, dass weder seinem Körper, noch seinem Geist  einen Gefallen getan wurde. Jetzt bloß nicht verschwitzt auf das Sofa setzen, schnell unter die  Dusche und die Scham über den gescheiterten Versuch von Sport wegspülen. Aber einem wird  schwarz vor Augen, als man zu schnell für den längst überforderten Körper aufsteht. Während  man sich fast den Kopf am Türrahmen stößt, kommt man zur Vernunft: Weder man selbst noch die eigene Wohnung sind für Sport gemacht.

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