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Schicksal? Glaube so was nicht

Unseren großen Hund Momo nahmen wir am 15. August 2024 auf, also wohnt er noch kein ganzes Jahr mit uns. Etwa eine Woche, nachdem wir ihn entführten (Öffnet in neuem Fenster), brachten wir ihn zur nächsten Tierklinik für ein paar Tests. Seine Blutwerte waren phänomenal, der Tierarzt sagte, dass er lange nicht so einem gesunden Tier begegnete.

Kein ganzes Jahr nach diesen guten Ergebnissen musste Momo vor etwa einer Woche das rechte Vorderbein mitsamt Schulterblatt entfernt werden. Der Grund: Knochenkrebs. Ein Tumor wuchs in seinem Gelenk über der rechten Pfote. Er hatte zuletzt starke Schmerzen und ist bereits seit mehreren Monaten behindert gewesen. Er wollte nicht mehr raus, und wenn er es wollte, hatte er große Schwierigkeiten, Treppen hoch und runter zu steigen und zu gehen. Wir respektierten seinen Zustand, zwangen ihn nicht raus, zwangen ihn nicht, länger zu gehen als er wollte, und wenn er nicht mehr konnte, trugen wir ihn (er wog vor der gestrigen OP knapp 50 Kilo).

Während wir auf die Pathologie-Ergebnisse warteten, ist seine Lebensqualität stark gesunken. Etwa eine Woche nach dem Bescheid, dass der Krebsverdacht bestätigt wurde, wurde er operiert. Er wird jetzt gesund, allerdings kann er sich wieder erkranken. Daher muss er alle sechs Monate getestet werden, damit wir schnell erkennen und reagieren können. Knochenkrebs ist eine der häufigsten Todesursachen bei großen Hunden.

Enge Freund*innen, die unsere Geschichte kennen, sagen, dass sie ja eigentlich nicht auf so was glauben, aber bei uns irgendwie schon ein bisschen glauben müssen. Als käme Momo zu uns, weil er wüsste. So was wie Schicksal.

Und man will daran glauben, selbst wenn man nicht daran glaubt. Denn wie er zu uns kam, war echt merkwürdig. Wir saßen auf der Couch und schauten auf unsere Bildschirme. Als hätte ich darauf eine Nachricht bekommen, fragte ich plötzlich: Sach ma, wollen wir nicht einen Hund aufnehmen? Er antwortete erst skeptisch: Das werde sehr aufwändig. Ich entgegnete: Das sei wahr, aber wenn wir es nicht täten, dann würden sie ja sterben. Die Frage war dann: Was wiegt schwerer? Er war überzeugt. Das wars. Es waren wenige Sekunden und die Entscheidung war gefallen. Ich rief direkt einen Freund an, er sagte, dass er gleich los wollte, um Momo (so hieß er damals noch nicht) wegzubringen, weil der Tierheim-Wagen auf dem Weg war, um ihn wegzubringen. Wir sagten es sei egal, wie groß er ist, dass wir denjenigen Hund wollten, der am wenigsten die Chance hätte. Momo war an dem Tag jener Hund in unserer Reichweite.

Dieser Freund, ein selbsternannter Atheist, sagte, dass er bei so was fast schon gläubig werde. Ich denke aber, dass er schon ein bisschen an so was glaubt. Er schrieb mir vor wenigen Wochen, als er vom Krebsverdacht erfuhr:

Hättest du eine halbe Stunde später angerufen, wäre Momo für den Rest seines Lebens ungeliebt und allein in einem Drahtkäfig leben müssen. Niemand hätte seine Situation bemerkt. Du hattest eine Absicht, ein lauter Hilferuf kam, und nun wurdet ihr seine Schutzengel. Eure Geschichte fängt gerade erst an, Sibel.

Es ist genauso dramatisch wie es klingt, und ich glaube es ist auch als Betroffene wichtig, sich die Situation immer wieder vor Augen zu führen und zu erinnern, warum und weshalb das so ist. Wenn wir ihn nicht mehr erwischt und einen anderen Hund aufgenommen hätten, wäre Momo im Tierheim gelandet, dort womöglich gleich an einer Infektion gestorben, oder sie hätten gemerkt, dass er nicht mehr gut gehen kann, und ihn “eingeschläfert”, also getötet. Wir wollten Leben ermöglichen, und wir wollten genau den, der es nicht geschafft hätte. Und wir bekamen Momo. Am 15. August aufgenommen, am 2. Juli operiert.

Man muss nicht an Schicksal, Gott, Karma oder Sterne glauben. Die Situation ist dramatisch. Es ist schwierig, nicht helfen zu können, denn überall ist Elend. Irgendetwas zu tun war womöglich nie einfacher als jetzt. Weil sich viele gerade so über Wasser halten können, ohne zu wissen, wie lange das noch gut geht.

Momo wird heilen, und er wird leben so lange es geht. Er hat eine Dimension in meiner Gefühlswelt freigeschaltet, die ich mir niemals im Leben hätte vorstellen können. Meine Liebe zu ihm in ihrer Intensität wäre mir unvorstellbar. Daher schulde ich Momo meine ewige Dankbarkeit.

Saure Nachrichten

Historische Bromance: King Snow verleiht Darth Vader den Friedensnobelpreis!

King Snow erklärte den treuen Diener der dunklen Seite, Darth Vader, für den glücklichen Empfänger des Friedensnobelpreis. Mit seinen Bemühungen schmiede Vader Frieden, sagte Snow der hauseigenen Nachrichtenagentur Hunger Press.

zeitungsartikel von saure zeiten, schwarze schrift vor einem gelben hintergrund. links ist eine halbe zitrone als logo. auf dem mit KI generierten foto sieht man king snow von hunger games, der vor dem weißen haus darth vader von star wars den friedensnobelpreis reicht.
King Snow verlieh dem treuen Diener der dunklen Mächte den Friedensnobelpreis vor dem Weißen Haus. KI

Und jetzt werde ich nochmal bisschen über Hunde sprechen. Die türkische Regierung erklärte vergangenes Jahr das eigene, nicht vollstreckte “Tierschutzgesetz” für “nicht praktikabel und nicht wirksam” und reformierte es. Ich habe an dieser Stelle mehrfach darüber geschrieben. Verwaltungen müssen jetzt jegliche Tiere wie Hunde und Katzen, die draußen Leben, sammeln und töten. Sonst drohen den Bürgermeister*innen Haftstrafen und den Verwaltungen hohe Bußgelder.

Schon während der Debatte, bevor die Reform verabschiedet wurde, fühlten sich einige Menschen dazu berufen zu töten – ich meine nicht nur Tierheim-Angestellte. Meine Instagram-Timeline war wie ein blutiger Horrorfilm. Während die einen töteten, wehrten sich die anderen. Mindestens drei Menschen sind bei diesen “Auseinandersetzungen” getötet worden oder sind später ihren Verletzungen erlegen, aus dem einfachen Grund, dass sie sich um Tiere kümmerten oder es nicht hinnehmen wollten, dass diese brutal getötet werden. Mehrere wurden verletzt.

Was wollt ihr eigentlich von Hunden, will ich fragen. Was könnten sie euch denn angetan haben?

In Teheran ist es bereits seit Jahren, zumindest offiziell, verboten, mit Hunden spazieren zu gehen. Jetzt wurde das Verbot weiter ausgestreckt und gilt in fast 20 Städten Irans. Hunde gelten in bestimmten Lesarten des Islams als “unrein” und unhygienisch – eine Perspektive, die nicht alle Gläubige gemein haben und manche sogar ganz ausschließen. Dennoch prägt das Bild von Hunden als potenziell gesundheitsschädlich und gefährlich auch die Kultur und die Herangehensweise – auch in der Türkei.

Wenn ein Wesen als potenziell gefährlich für Menschen gilt, ob als Krankheitserreger oder bisslustig, fällt es Menschen leichter einfach wegzuschauen, während sie massenhaft getötet werden. Dabei ist es selten, dass Krankheiten vom Hund auf Menschen rüberspringen, sonst wäre ja eine Kamerad*innenschaft seit Tausenden Jahren nicht denkbar. Ebenso selten, dass Hunde einfach grundlos auf Menschen losgehen oder sie beißen – oft liegt der Fehler und die Schuld bei Menschen.

Im Rahmen der Vorbereitungen auf das Männerfußball-Weltmeisterschaft 2030 tötet derzeit Marokko viele Hunde. Das schlägt kollektive Wunden bei der Bevölkerung. Wie viele Hunde frei auf den Straßen eines Landes leben, scheint den Machthabenden eine Frage der Prestige – je weniger Hunde, desto höher das internationale Ansehen. Dabei ist es eigentlich eine Frage der Zivilisation, wie gut eine Gesellschaft nicht nur mit den Tieren, sondern allen schutzlosesten Mitgliedern umgeht. Oft wird als positives Beispiel herangeführt, dass in vielen Industrieländern keine Tiere auf den Straßen lebten. Welche brutale Maßnahmen dafür notwendig waren, wird entweder verschwiegen, oder diese werden gerechtfertigt als legitime Methode auf dem Weg zum Wohlstand. Diese Art der Menschlichkeit lehne ich ab.

In Berlin startete eine Person eine Petition auf change.org (Öffnet in neuem Fenster) und forderte FLINTA-Only-Waggons im öffentlichen Nahverkehr als Schutzmaßnahme gegen sexualisierte Belästigung und Gewalt. Warum ich das problematisch finde, schrieb ich in meiner letzten Kolumne (Öffnet in neuem Fenster) für Campact.

In other news…

Über Brigitte Macron wird oft geschrieben und gesagt, sie sei eine trans Frau. Macron geht gerichtlich dagegen vor, bisher ohne Erfolg. Das liegt daran, dass die Behauptung, jemand sei eine trans Frau, keine Diffamierung ist.

Auch über Lady Gaga wurde vor Jahren spekuliert (oder bewusst die Lüge verbreitet), dass sie eine eigentlich trans sei. Gaga antwortete darauf mit einem souveränen: So what? Das war richtig und wichtig. Brigitte Macron hätte sich das abgucken müssen. Denn damit hätte sie auch die Botschaft vermittelt: Trans zu sein ist genauso normal wie cis zu sein und es geht euch absolut nichts an, welche Reproduktionsorgane Menschen haben! Verbockte Chance.

In eigener Sache: Ich suche ab September einen festen Job in bzw. um Köln in der Kultur- oder Medienbranche oder Zivilgesellschaft. Falls du von einer Stelle weißt, kannst du mir das gerne schicken an: contact@sibelschick.net (Öffnet in neuem Fenster)

Ich freue mich, wenn du heute eine Mitgliedschaft abschließt (Öffnet in neuem Fenster) und meine Arbeit auch finanziell unterstützt.

Danke fürs Lesen und bis demnächst!

Liebe Grüße
Sibel Schick

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