Resolution von Genozid-Forschern: Wie man einen Völkermord macht

Seit einigen Tagen berichten viele Medien davon, dass „Genozidforscher“ die Kriterien für einen Völkermord im Gazastreifen erfüllt sehen.
Zeit, sich das genauer anzusehen.
Seit dem 01.09.2025 füllen Schlagzeilen die internationalen Medien.
Die Erzählung ist, dass der „weltweit größter Genozid-Forscherverband“ zu dem Schluss gekommen sei, dass Israel im Gazastreifen einen Völkermord begeht.
Spannend sollte an dieser Stelle bereits sein, dass kein Medium, das ich gelesen habe, den Namen des Verbandes nennt oder eine Primärquelle angibt.
Die International Association Of Genocide Scholars
Die International Association Of Genocide Scholars, kurz IAGS, ist ein Interessenverband. Kein Forscherverband oder ähnliches.
Die Übersetzung stößt auf ein großes Problem. Denn den Begriff „Scholars“ gibt es im Deutschen so nicht.
Er wird verwendet für alle, die im weitesten Sinne mit Wissenschaft, Lehre oder Schulen zu tun haben. „Scholar“ kann sowohl der Lehrer, als auch der Schüler sein. Scholar kann man auch übersetzen mit „Wissenschaftler“, der tatsächliche Forscher wäre aber eher der „Scientist“. „Scholar“ wird auch verwendet für Stipendiaten, Studenten und allgemein Akademiker.
Die IAGS beschreibt sich auf ihrer Homepage selber:
„IAGS-Mitglieder sind Akademiker, Menschenrechtsaktivisten, Studenten, Museums- und Gedenkstättenfachleute, politische Entscheidungsträger, Pädagogen, Anthropologen, unabhängige Wissenschaftler, Soziologen, Künstler, Politikwissenschaftler, Ökonomen, Historiker, Völkerrechtler, Psychologen sowie Literatur- und Filmwissenschaftler.“
Dort steht weder etwas von „Forschern“, noch von irgendwelchen Beitrittsqualifikationen.
Tatsächlich kann dort jeder ohne weiteren Nachweis für 125 $ pro Jahr Mitglied werden.
Man kann also gar nicht genau sagen, wer da irgendetwas festgestellt hat. Da aber abgestimmt wurde, waren es sichern nicht „Genozid-Forscher“.

Die Resolution
Es geht um die dreiseitige Resolution „IAGS Resolution on the Situation in Gaza“.
Diese wurde am 28.07.2025 in irgendeiner Art „eingebracht“ und am 31.08.2025 beschlossen. Also einen Tag, bevor die Medienmeldungen begannen.

Im Kern heißt es dort:
„[Das IAGS] erklärt, dass die Politik und die Aktionen Israels in Gaza der rechtlichen Definition von Völkermord in Artikel II der Konvention der Vereinten Nationen zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (1948) entsprechen“
Tatsächlich wird aber kein Nachweis erbracht.
Es werden die üblichen Argumente von Dritten wiedergegeben, die hier nur in Auszügen besprochen werden können. Das erinnert sehr stark an das erste Verfahren Südafrika gegen Israel vor dem IGH, in dem die südafrikanischen Ankläger sehr ähnlich argumentiert haben, u.a. mit Quellen aus Social Media.
Auf eben dieses Verfahren wird auch Bezug genommen:
„In Anerkennung der Tatsache, dass der Internationale Gerichtshof in drei einstweiligen Verfügungen im Verfahren Südafrika gegen Israel – Januar, März und Mai 2024 – festgestellt hat, dass es plausibel ist, dass Israel mit seinem Angriff auf Gaza einen Völkermord begeht.“
Doch das hat das Gericht nicht getan.
Die vorsitzende Präsidentin Joan Donoghue hat dies in einem Interview mit der BBC bereits Mitte 2024 erklärt: Das Gericht hat festgestellt, dass es „plausibel“ („plausible“ = überzeugend, einleuchtend) ist, dass die Bevölkerung von Gaza unter die Genozid-Konvention fällt, dass das Gericht zuständig ist und dass Südafrika berechtigt ist, die Klage vor dem IGH vorzubringen. So steht es im Urteil.
Das Gericht hat aber eben nicht festgestellt, dass Israel einen Völkermord begeht.

An dieser Stelle ist vielleicht auch interessant, dass die nächste Konferenz der IAGS im Oktober in Südafrika stattfinden soll.
Fast überflüssig zu erwähnen, dass das Papier die Zahlen der Hamas wiedergibt - mit Zwischenstopp UN. Darüber hinaus wird an mindestens einer Stelle tatsächlich Al Jazeera als Quelle angegeben, einmal das pro-palästinensische Middle East Eye und es werden Aussagen israelsicher Politiker aus der Times of Israel zitiert.
Die Zerstörung von Anbauflächen, Bäckereien o.ä. wird „deliberate“, als „absichtlich“ bezeichnet, mit Quellenverweis auf Amnesty International. Obwohl auch das Paper dafür keinen Nachweis liefert.
Die ganze Resolution ist also keineswegs eine wissenschaftliche Aufarbeitung.
Es ist eher ein politisches Statement, ohne Nachweise und ohne jegliches eigenes Forschungsergebnis.
Insgesamt wird – wie auch im Verfahren Südafrika – keinerlei Nachweis für eine Absicht erbracht, so wie die Konvention sie zwingend vorschreibt.
„Was ohne Nachweis behauptet werden kann, kann auch ohne Nachweis verworfen werden.“
Hitchens Rasiermesser, nach Christopher Hitchens
Wie viele waren es denn nun?
Die Veröffentlichung dieser Resolution wurde wohl innerhalb der IAGS zur Abstimmung gebracht. Das geht ausmehreren Veröffentlichungen hervor.
Die primäre Quelle hierfür ist der Bericht der britischen BBC. Dort wird wörtlich übersetzt geschrieben:
„Von den 500 Mitgliedern nahmen 28 % an der Abstimmung teil und 86% der Abstimmenden unterstützten die Resolution.“

Die Nachrichtenagentur Reuters „versteckt“ das in dem Snippet „Resolution backed by 86 percent of scholars who voted.“ Also „Resolution wird von 86 Prozent der abstimmenden Scholars unterstützt“.
„Who voted“… die also überhaupt mit abgestimmt haben.

In einem Monat Laufzeit haben nicht einmal ein Drittel der Mitglieder der IAGS abgestimmt. Und selbst davon haben wiederum nur 86% zugestimmt. Das ergibt einen Anteil von 24%, nicht einmal ein Viertel.
In Zahlen 120 Mitglieder von 500!
Und das wohlgemerkt bei einem zusammengewürfelten Haufen, bei dem jeder Mitglied werden kann.
Der Agenturmedienzirkus
Es ist wahrscheinlich, dass die Resolution dann von der der IAGS als Pressemitteilung an die Medien, vorzugsweise die Agenturen ging. Das erschließt sich auch aus den Verweisen der veröffentlichenden Medien, die die Meldung dann wiederum Reuters und AP abgekauft haben.
Das tut man so, sowohl in der Lobbyarbeit, als auch in Organisationen und sogar Universitäten.

Am 01.09.2025, also bereits am Tag nach dem Beschluss der Resolution, veröffentlich Reuters selber den Beitrag der Niederländerin Stephanie van den Berg.
Ab da geht alles seinen üblichen Lauf in den Agenturmedien.
Ich gebe nur einige Überschriften deutschsprachiger Medien wieder.
»Weltweit größter Genozid-Forscherverband wirft Israel Völkermord in Gaza vor«
Alexander Schmalz, Berliner Zeitung, 01.09.2025
»Genozidforscher sehen Kriterien für Völkermord durch Israel in Gaza erfüllt«
„Reuters, APA, maa, 1.9.2025“, Der Standard, 01.09.2025
»Fachleute zu Gaza - Kriterien für Genozid durch Israel erfüllt«
„red, ORF.at/Agenturen“. ORF, 01.09.2025
»Genozid-Forscher sehen Kriterien für Völkermord in Gaza erfüllt«
„ntv.de, raf/rts“, ntv, 01.09.2025
»Genozid durch Israel? "Das, was in Gaza passiert, ist Völkermord"«
„Agenturen, best“, Kurier, 01.09.2025
»Israels Krieg in Gaza - Forscher sehen einen Genozid«
Daniel Bax, taz, 02.09.2025
»Es ist ein Völkermord. Wo bleibt der zivile Ungehorsam?«
Leon Holly (Kommentar), taz, 02.09.2025
»Wie erkennt man einen Völkermord?«
Sonja Zekri, SZ, 02.09.2025
»Gaza-Krieg: Tatbestand Völkermord«
Raul Zelik (Kommentar), nd, 02.09.2025
»Forscher sehen Kriterien für Völkermord in Gaza erfüllt: „Von verhältnismäßiger Verteidigung kann kaum mehr die Rede sein“«
Maxi Beigang, Tagesspiegel, 03.09.2025
Bemerkenswert, dass viele den Begriff der „Forscher“ übernommen bzw. verwendet haben.
Es ist anzunehmen, dass sich kein Journalist die Mühe gemacht hat zu schauen, wer das IAGS ist, geschweige denn die Resolution genauer zu lesen.
Bei Daniel Bax von der taz wurden aus dem zustimmenden Viertel des zusammengewürfelten Haufens ohne Zugangsqualifikation nicht nur „Forscher“, sondern gleich „renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern“.
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