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Nasser-Krankenhaus: Lieber Volksverpetzer, wir müssen reden

Das Nasser Krankenhaus nach dem Luftschlag

Lieber Volksverpetzer,

ich mag Euch. Wirklich.
Ich folge Euch schon lange und Eure Petition habe ich auf meinen Plattformen geteilt.
Enttäuschend zu sehen, dass Ihr nun in die einseitige Berichterstattung der Medien zum Gazakrieg einsteigt. Und dabei dem gleichen Bias unterliegt, wie gefühlte 99% aller Journalisten.

Am Samstag, dem 30.08.2025, habt Ihr den „Faktencheck“ von Philip Kreißel mit dem Titel „Gaza: IDF-Streitkräfte töten Journalisten – Rechtfertigung widerlegt“ veröffentlicht.
Es geht um den Beschuss am Nasser Krankenhaus in Chan Yunis am 25.08.2025.

Screenshot des Beitrags des Volksverpetzers

Ich nehme mir die Freiheit zu erklären, warum der „Faktencheck“ kein Faktencheck ist. Sondern lediglich die Aufzählung von Informationen einer Seite, weil für die andere Seite die Expertise fehlt.

Leider muss ich aufgrund der Erregungsbereitschaft des Netzes einige Dinge vorwegschicken. So kurz es geht. Weil ich sonst wieder hunderte unsinnige Kommentare habe.

  • Ich war zehn Jahre lang Unteroffizier eine Spezialeinheit im Nachrichtenbereich. Auch im Einsatz und für die NATO. Angefangen habe ich aber als Richtschütze auf einem Leopard II. Ich unterstelle mir zumindest halbwegs die Fachkenntnisse, die hier relevant sind.
    Zusätzlich habe ich länger mit einem Freund telefoniert, der u.a. auch als Panzerkommandant im Einsatz war.

  • De facto bin ich Journalist, bezeichne mich aber als MilBlogger. Weil mein Schwerpunkt die Wissensvermittlung ist. Erklären, nicht Berichten.

  • Alles, was ich hier behaupte, kann ich belegen. Ich vereinfache, denn das ist Teil der Wissensvermittlung.

  • Es geht nicht darum, die IDF freizusprechen. Was ich hier schreibe, würde ich ebenso schreiben, wenn es sich um russische oder ukrainische Streitkräfte handeln würde.

  • Ich verzichte auf meine übliche lakonische, militärische, rheinische Schnauze. So schwer es fällt. Ich möchte konstruktiv sein. Sonst hätte ich das nämlich als Beitrag hinter Bezahlschranke setzen können.

  • Ich bin kein Boomer, politisch links und Krieg ist nichts Tolles.

Man kann keinen Faktencheck betreiben, wenn man einen blinden Fleck hat.
Dieser blinde Fleck ergibt sich daraus, dass die allermeisten Journalisten keine Ahnung von Militär und Krieg habt. Sicher auch nicht der Datenanalyst Philip Kreißel.

Das ist bereits am Titel zu erkennen. Ich darf Eure „IDF-Streitkräfte“ für übersetzen: „Israelischen Verteidigungsstreitkräfte-Streitkräfte“.
Geschenkt.

Genug der Vorrede.

Das Panzer-Mindsetting

Kampfpanzer sind aus der Idee der Kavallerie entstanden. Die mit Säbel auf dem Pferd.
Es sind fahrende Kanonen. So vollgestopft mit Technik und Computern, dass die Besatzung kaum noch Platz hat.

In der westlichen Gefechtstaktik - und dazu zählen auch die israelischen Streitkräfte - werden sie üblicherweise eingesetzt im so genannten „Gefecht der verbundenen Waffen“.
Vereinfacht: Angenommen man will ein Dorf einnehmen, dann fängt erstmal die Artillerie an, das Dorf aus der Ferne zu beharken. („Shaping“) Dann kommen die stark gepanzerten Kampfpanzer angeritten. Und hinter ihnen die Schützenpanzer, aus denen dann die Infanteristen („Fußsoldaten“) springen und in den Häuserkampf gehen („abgesessenes Gefecht“).
Man kann dieses Vorgehen bereits in der Scharfschützen-Szene im Film Full Metal Jacket sehen, also im Vietnamkrieg.

Die Kampfentfernung für einen Kampfpanzer wie den Leopard II (D), den Abrams (USA) oder Merkava (I) ist so ganz grob 1000m bis 4000m. Für darunter, so von 300 bis 2000m, hat er auch ein „koaxiales“ Maschinengewehr. Der Schütze schießt dann nicht mit der Kanone, sondern mit dem MG.

Unmittelbar um sich herum ist der Kampfpanzer, wenn die Luken im Gefecht geschlossen sind, quasi blind. Zwar gibt es Spiegel, die sind aber sehr eingeschränkt und selten beweglich. Zudem kann er auf kurze Distanz gar nicht schießen. Er ist ziemlich wehrlos. Er ist dafür gemacht zu reiten, nicht zu stehen.

Deshalb ist es sehr unpassend, einen solchen Kampfpanzer in den Häuserkampf zu schicken.
Es gibt gute Gründe, das trotzdem zu tun. Die würden aber einen ganzen Vormittag taktischen Unterricht erfordern, das lassen wir weg.
Die Israelis tun es, und sie haben Gründe. Punkt.

Ein Merkava aus einer Ruine aus wenigen Metern fotografiert.

Das ist die schlimmste Situation in einem Häuserkampf in einem asymmetrischen Gefecht, wie die Hamas, der Dschihad und die Hisbollah sie betreiben.
Gehen die Luken zu, weißt du nicht, ob du wieder aussteigen wirst. Eine Unachtsamkeit kann dazu führen, dass jemand eine Rakete feuert und du in deinem Sitz verbrennst. Denn du kannst auch nicht schnell raus. Der Richtschütze kann beispielsweise erst raus, wenn der Kommandant rausgeklettert ist.

Und das ist das Mindsetting, mit dem die Besatzungen von Kampfpanzern sich in solchen Einsätzen bewegen.

Asymmetrischer Kriegsführung

Das wissen natürlich auch andere.

Die Palästinenser schießen tragbare Anti-Tank-Raketen aus den Trümmern von oben auf die Panzer. Weshalb die Merkava häufig auch mit einem Gitter versehen sind, wie wir es aus Bildern aus der Ukraine kennen. („Bljatmobil“) Der Sinn ist, dass die Rakete auslöst, bevor sie auf die Panzerung trifft und die Wirkung dadurch (hoffentlich) verpufft.

Ein Merkava von oben aus einem kaputten Fenster aufgenommen.

Und sie laufen geduckt an Merkava heran und platzieren im hinteren Teil der Wanne eine Sprengladung. Wenn sie Pech haben, passiert nichts. Wenn sie Glück haben, erwischen sie ein Munitionsdepot und es kommt zu einem „Cook Off“: die ganze Munition geht hoch.
Was man dafür braucht ist nur einer, der fanatisch genug ist, und eine Sprengladung.

Doppelbild: Zwei Palästinenser werfen eine Sprengladung auf einen Merkava, der daraufhin komplett in Flammen steht.

Und das verdeutlicht vielleicht auch einmal, warum das häufige Argument Unfug ist, warum die „überlegenen Streitkräfte“ nicht in der Lage sind, die Hamas zu schlagen. Denn asymmetrische Kriegsführung bedeutet ja, dass eine Seite versucht, die Vorteile, die die andere Seite hat, durch möglichst einfache Mittel zu umgehen.
Vietnamesen in Flip Flops haben die USA davongejagt und Mudschaheddin mit Kamelen die Sowjetunion.

Befehl ist Befehl

Natürlich muss ein Panzer nicht jedes Mal nachfragen, wenn er schießt. Das ist die Verantwortung des Kommandanten. Üblicherweise ein Unteroffizier.
Zwei Drittel bis drei Viertel der Soldaten sind Wehrpflichtige.

Aber es gibt Maßgaben, wonach eine übergeordnete Stelle bestimmte Einsätze genehmigt. Beispielsweise bei einem Luftangriff mit einer Drohne. Dafür gibt es üblicherweise eine Gefechtsführung, die manchmal auch weit weg in einem Zelt oder einem Bunker sitzt.

Kommunikation im Gefecht, schematsiche Darstellung

Und darüber kommt dann mindestens noch eine Instanz, die der militärischen Einheit, beispielsweise der Division. Das ist aber in jedem Land und sogar in jedem Einsatz unterschiedlich.

Das Nasser Krankenhaus

Ein dritter Faktor ist meiner Meinung nach für die Beurteilung des Vorfalls wichtig. Nämlich die „Location“.

Das Nasser Krankenhaus ist ein sehr großer Gebäudekomplex in Chan Yunis, im südlichen Teil des Gazastreifens.
Dieser Komplex ist dafür bekannt, dass Kombattanten sich dort „verstecken“. Übrigens vor den Augen aller anderen Palästinenser.

Sattelitenbild des Komplexes
Sattelitenbild des Komplexes, November 2023

Bereits 2024 fanden Gefechte um das Gebäude statt.
Das bedeutet, die IDF haben da nicht willkürlich rumgeballert, sondern Palästinenser haben zurückgeschossen.

Es ist auch gesichert, dass dort mehrere Geiseln gefangen gehalten wurden. Zudem wurden Medikamente mit den Namen von Geiseln darauf gefunden. Mindestens sechs sind namentlich bekannt.

Erst im Juli kam es zu Feuergefechten zwischen Anhängern der Hamas (und vermutlich des Dschihads) und Angehörigen der Shabab-Miliz. Letztere sollen auch kurzzeitig die Kontrolle über das Krankenhaus erlangt haben. Zumindest lang genug, um für Gruppenfotos zu posieren.

Kämpfer der Shabab posieren für ein Gruppenbild.
Gruppenbild der Shabab Milizen vor dem Nasser Krankenhaus. Screenshot Hindustian Times

Als Mitte Januar eine Waffenpause zwischen den Palästinensern und Israel verkündet wurde, haben Hamas Anhänger aus dem Krankenhaus heraus einen bejubelten kleinen Konvoi gestartet. Dummerweise, bevor die Waffenruhe in Kraft war. Weshalb die Autos nicht weit gekommen sind.

Screenshots des Konvois
Screenshots des Konvois, Quelle: Video, X

Die immer gleiche Situation

Am 21.07.1861 fand die erste große Schlacht des amerikanischen Bürgerkrieges statt, die Schlacht am Bulls Run oder Schlacht bei Manassas. Und weil auch noch Sonntag war, ließ man sich im nahen Washington die Pferde anspannen, die Haussklaven einen Picknick Korb packen, die Damen zwängten sich in die Korsetts und man fuhr dann dorthin, um anderen beim gebratenen Hähnchen beim Sterben zuzusehen.
Als diese Proto-Autobahngaffer merkten, dass Kanonenkugeln nicht halt machen und durch ihr Brathähnchen titschten, kam es zu einer panischen Flucht. Der moderne Krieg.

Mit offenem Mund saß ich davor, als ein Journalist vor Ort erklärte, was passiert war.
Am 13.10.2023 hatten sich einige Journalisten versammelt, um von Gefechten zwischen Hisbollah und IDF zu berichten. Von einer Anhöhe aus, mit gutem Blick, unmittelbar an der israelisch-libanesischen Grenze.

Ein Inferno, ohrenbetäubender Lärm, plötzlich brannte das Auto. Den Vorfall habe ich damals ausgewertet und die Entfernungen gemessen. Ein Merkava hatte eine, vielleicht zwei Granaten da reingesetzt. Aus über 1300 Metern, die Journalisten hatten den Merkava im Tal vor ihnen sicher nicht einmal gesehen. (Was in Untersuchungsbericht später bestätigt wurde.)
Ein Journalist starb.

Das brennende Auto, im Vordergrund transportieren Helfer eine Leiche ab.

Ich kann mich daran erinnern, dass ich damals mit einem Journalisten des SWR diskutiert habe. Konstruktiv wohlgemerkt. Nett und freundlich. Weil meine Haltung war: Diese armen Narren.
Ich habe erklärt, was man aus einem Panzer überhaupt sieht, vielleicht mit einem Wärmebild sieht (Restlichtverstärker, Infrarot o.ä.), wie weit die Kampfentfernungen sind und so weiter.

Aber das waren nicht nur Picknicker bei Manassas. Sie haben sich auf einer Anhöhe positioniert und einige von ihnen haben Kameras auf Stativen aufgebaut. Was in einem Kampfgeschehen leicht für eine Panzerabwehrrakete gehalten werden kann.

Panzerabwehrraketen

Viele dieser Raketen oder RPG arbeiten mit Infrarot oder Laser, um die Entfernung zu messen.
Deshalb haben moderne Kampfpanzer ein Warnsystem. Sobald eine solche Quelle auf sie gerichtet wird, bekommt der Kommandant ein optisches und akustisches Warnsignal. Er kann sofort seine Optik auf den Ursprung des Signals setzen. Mit nur einem Knopfdruck schwenkt der tonnenschwere Turm herum, das Rohr geht sofort auf das Ziel. Und dann wird ausgelöst. Vom Kommandanten oder vom Richtschützen.

Zwei vermummte Hamas-Kämpfer mit Panzerabwehrraketen.
Zwei vermummte Hamas-Kämpfer mit Panzerabwehrwaffen RPG, Beit Hanun, August 2015.

Dieser ganze Vorgang wird trainiert. Er dauert vielleicht drei bis fünf Sekunden. Keine Zeit nachzudenken, denn sonst kann es schon zu spät sein.
Und nun machen wir uns klar, dass auch Kameraleute häufig die Entfernung mit Infrarot oder Laser messen. Es gibt sogar Geräte, die dafür auf Kameras aufgeschraubt werden können.

Ich denke nicht, dass das hier oder im aktuellen Fall beim Nasser Krankenhaus passiert ist. Aber es gibt eine Vorstellung. Die Entscheidung, einen Schuss zu lösen, also zu feuern, fällt in wenigen Sekunden.

Dutzende Panzerabwehrraketen liegen auf dem Boden ausgestellt.
Sichergestellte RPG, 07.10.2024

Und aus einem weiteren Grund werden Kameras als Bedrohung angesehen. Überall, nicht nur von den israelischen Streitkräften.
Kameras eignen sich zur „Gefechtsfeldbeobachtung“. Eigentlich erschließt sich das jedem, sobald man an Drohnen denkt. Doch das geht ja mit jeder Kamera, sogar mit einem Handy. Schöne neue Welt.

Ein Panzermann kann nicht wissen, ob derjenige, der eine Kamera auf ihn richtet, die Bilder für die Presse aufzeichnet, oder ob er die Bilder an einen Kommandostand der Hamas, Hisbollah oder Russen überträgt.

Zudem gibt es im Netz hunderte Propaganda-Videos, die zeigen, wie israelische Panzer aufgenommen und anvisiert werden. Daher das typische rote Dreieck, das ein Ziel markiert. Was auch die Ecke der arabischen Revolutionsflagge, also der Palästinenserflagge, symbolisiert.
Deshalb gibt es inzwischen unter den Soldaten das geflügelte Wort: Siehst Du eine Kamera, bist du gleich tot.

Das alles im Gepäck schauen wir uns nun einmal an, was am Nasser Krankenhaus passiert ist.
Aber wir wechseln die Perspektive. Wir schauen einmal aus den Augen eines Soldaten.

Die Kamera auf der Treppe

Am Montag, dem 25.08.2025 fanden in Chan Yunis und vom Süden kommend bei Gaza-Stadt Gefechte statt. Dazu waren auch Merkava im Einsatz.

Irgendwann wurde eine Kamera im vierten Stock der Außentreppe des Nasser Krankenhauses gemeldet.
Ob fest installiert oder mobil, ob von der Presse oder von der Hamas, das zählt dann nicht mehr. Die Kamera ist der Feind, die Kamera ist das Ziel. Nicht die Personen an der Kamera und nicht das Gebäude, an dem die Kamera steht.

Es ist für die Soldaten völlig unerheblich, wer bei der Kamera ist. Denn sie haben gar keine Zeit, sich zu vergewissern.
Das Militär allgemein geht davon aus, dass wer eine Kamera auf ein aktives Gefecht richtet, das zu wissen hat. Das Militär, jedes Militär, sieht sich in dem Moment in einer Notwehrsituation.

Sattelitenbild, die Außentreppe markiert

Die häufige Nachrichtenmeldung von einem Angriff „auf“ das Nasser Krankenhaus muss also per se falsch sein. Denn dann wäre das Krankenhaus an sich das Ziel gewesen.
Da die IDF mehrfach 2000-Pfünder eingesetzt haben und 4000-Pfünder besitzen, würde nach einem Angriff „auf“ das Krankenhaus nicht mehr viel stehen. Doch das ist ja nicht passiert.

Ob es tatsächlich einen Luftschlag, mutmaßlich durch eine Drohne, gegeben hat, ist derzeit noch unklar. Die Division, also das übergeordnete Kommando, hatte wohl einen solchen Einsatz freigegeben.

Dann haben Merkava Kampfpanzer gefeuert. Nach derzeitigem Stand zwei Mal. Metergenau dahin, wo die Kamera war.
Wodurch das ausgelöst wurde, kann auch ich derzeit nicht sagen. Da das aber für moderne Kampfpanzer sehr ungenau war, gehe ich davon aus, dass sehr schnell geschossen wurde.

Der Double Tap

Und dann ist es unmittelbar nach dem Einschlag des Schusses zu einem weiteren Einschlag gekommen. Das ist der eigentlich relevante. Ob es nun der dritte war, ist bisher unklar. In jedem Fall war es der Zweite auf das gleiche Ziel.

Daraus machen viele Medien nun einen „Double Tap“. Auch Philip Kreißel im Volksverpetzer, indem andere Quellen verlinkt werden und er schreibt: „Ein militärischer Grund für den zweiten Angriff ist ebenfalls nicht ersichtlich.“
Doch.

Wie ein Genozid mehr ist, als viele Menschen zu töten, ist auch ein „Double Tap“ mehr, als zweimal auf das gleiche Ziel zu schießen.

Das Paradebeispiel eines Double Tap hat der IS Ende Februar 2016 in Sadr City, Bagdad, geliefert.
Zunächst hat ein Selbstmordattentäter sich auf dem Markt in die Luft gejagt. Und als dann Helfer herbeiliefen, ist ein zweiter Selbstmordattentäter in diese Helfer gelaufen, und hat sich seinem Kameraden dort angeschlossen. Mindestens 70 Tote waren die Folge.

Der Sinn des „Double Taps“ ist es, Terror auszuüben. Indem man Menschen verunsichert, zu helfen.
Es ist also zwangsläufig notwendig, einen Double Tap genau mit dieser Intention von vornherein zu planen. Zweimal schnell auf ein Ziel zu feuern ist dafür nicht ausreichend.

Auch Russland hat das beispielsweise im Syrienkrieg mehrfach angewendet. In einer Auswertung eines Raketenangriffs (Öffnet in neuem Fenster) im September 2024 auf das Poltawa Militärinstitut musste ich beispielsweise aber zu dem Urteil kommen, dass das dort auch nicht der Fall war.
Dafür ist fürchterlich unerheblich, ob ich Russland mag, oder nicht.

Wirkungsbild des Poltawa Militärinstituts, die zwei Eisnchläge sind deutlich zu erkennen.
Wirkungsbild des Poltawa Militärinstituts.

Wenn mit Kampfpanzern in kürzester Zeit – und das hat auch Philip Kreißel von den Sky News verlinkt – zweimal auf ein Ziel gefeuert wird, ist das nicht zwangsläufig ein Double Tap. Es ist eher unwahrscheinlich. Das Motiv ist entscheidend.

Ich sag es so, wie es ist: Dass palästinensische Journalistendarsteller sofort herbeieilen, um Elendsbilder zu produzieren und mit einem Handy aufzunehmen, dafür kann Israel nichts. Und am wenigsten die Schützen der Merkava.

Nach dem Brechen des Schusses fällt beim Richtschützen sofort ein Sichtschutz, die Optik wird schwarz. Weil er sich sonst durch das Mündungsfeuer die Augen „verblitzt“. Der Ladeschütze lädt sofort nach, die Kanone geht automatisch in die alte Position. Der Richtschütze kann also sofort nochmal feuern. Zeitfenster vielleicht fünf Sekunden, eher weniger. Und das scheint wohl die Zeit gewesen zu sein, in der die verlinkten Sky News einen zweiten Kanonenschuss erkannt haben.

Wäre ein Double Tap geplant gewesen, wie auch der Vertreter Palästinas bei der UN später behauptete, hätte man doch sinnvollerweise in die Rettungsmaßnahmen im Erdgeschoss und den Abtransport der Verletzten gefeuert. Vermutlich konnte der Merkava das aber aufgrund des Winkels gar nicht.

Mediale Narrative

Gehen wir einmal durch, was die Medien vermeldet haben.

Einen „Angriff auf“ das Nasser Krankenhaus hat es nicht gegeben. Es gab Beschuss auf das vierte Stockwerk der südlichen Außentreppe.
Hätte Israel das ganze Ding plattmachen wollen, wäre es jetzt platt.

Es wurde behauptet, Israel hätte einen Double Tap durchgeführt. Dafür sehe ich keinen Anhaltspunkt. Nur Behauptungen von Menschen, die offenbar nicht verstanden haben, was „Double Tap“ bedeutet. Oder es für Klicks ignorieren.

Es wurde behauptet, Israel hätte auf Journalisten gezielt.
Ähnlich wie beim Vorwurf des Genozids wäre dafür notwendig nachzuweisen, dass Israel gezielt Journalisten tötet. Doch das sehe ich nicht.

Ich bestreite nicht, dass Israel versucht Journalisten aus Kampfzonen herauszuhalten. Wie jede andere Streitkraft seit dem Vietnamkrieg auch.
Ich bestreite auch nicht, dass sie dabei wenig zimperlich vorgehen. Ebenfalls wie jede Streitkraft der Welt.

Ich bezweifele, dass es eine Systematik gibt, einen Befehl, eine Direktive.
In diesem Fall ist das Argument aber eh Makulatur. Denn auf dem veröffentlichten Video sieht man, dass keiner der Leute, die sich bei den Schüssen auf dieser Treppe befanden, überhaupt als Journalisten erkennbar waren. Der Schütze im Kampfpanzer konnte also nicht wissen, dass sich in dem Moment Journalisten auf der Treppe befanden.

Screenshot aus dem Video.
Die Szene auf der Treppe unmittelbar vor dem Einschlag.

Durch die einseitige Berichterstattung, geschuldet dem Umstand, dass die meisten Journalisten keine Expertise haben, muss implizit der Eindruck entstehen, dass Israel anlasslos einfach mal „auf“ Journalisten an einem Krankenhaus geschossen hat.
Ich habe nicht einen einzigen Medienbeitrag gelesen, in dem gesagt wurde, dass unweit des Krankenhauses eine aktive Gefechtssituation bestand. Auch nicht, nachdem die IDF das erklärt haben.

Palästinensische Journalisten und Journalisten in Palästina

Und wo wir gerade unter uns sind, muss ich das anfügen:

Die Medien sprechen ständig von „Reuters-Journalisten“ oder ähnlichem.
Es sind palästinensische Journalisten. Üblicherweise Freelancer, die auch Bilder oder Meldungen an Nachrichtenagenturen oder Medien verkaufen. Die wiederum aber nicht wissen können, wer ihnen da etwas verkauft. Weil sie keine Möglichkeit haben, die Leute zu prüfen.

Ich kaufe selber ständig Stock-Medien aus dem Gazastreifen. Und ich bin sicher, ich habe schon hunderte Euros für Bilder ausgegeben, die von Menschen gemacht wurden, die zur Hamas gehören. Direkt oder mittelbar.
Aber das erzählt man nicht auf dem Galaempfang für einen Journalistenpreis. Lieber erzählt die Lobby, es seien „Reuters-Journalisten“ gewesen. Was bei dem durchschnittlichen Deutschen die Assoziation weckt, die seien fest bei Reuter angestellt und hätten dort einen Auftrag erfüllt.

Denken wir an Hassan Eslaiah, der seine Bilder an die größten Agenturen verkauft hat und von dem später rauskam, dass er zeitgerecht zum Durchbruch der Palästinenser am 10/7 am Zaun war. Und dessen Selfie mit dem mehrfachen Mörder und Militärchef der Hamas Yahya Sinwar dann auftauchte.

Selfie: Der Journalist bekommt vom militärischen Anführer der Hamas ein Bussi

Oder an den bei dem Beschuss auf das Nasser Krankenhaus getöteten „Journalisten“ Mohamed Salama, der nachweislich nicht nur die Übergabe der toten Bibas Familie gefilmt hat und am 10/7 die Stürmung der israelischen Grenze begleitet hat, sondern von dem inzwischen viele Fotos auftauchen, die ihn mit Vertretern der Hamas-Führung zeigen.

Mohamed Salama mit Kamera in Presseweste und Helm

So muss auch Philip Kreißel erwähnen, dass Israel Journalisten den Zugang verweigert.
Übrigens so, wie ebenfalls jede andere Streitkraft der Welt auch, seit dem Vietnamkrieg. Es geht nur noch „eingebettet“, also in Begleitung.
Und der ganze Gazastreifen ist im Grunde eine Kampfzone. Das Gebiet ist etwa so groß wie Bochum.

Doch auch diese selbstwertdienliche Forderung der Medien-Lobby ist wieder einseitig. Ob bewusst oder unbewusst. Denn auch vor dem Krieg musste man schon bei einem Vertreter der Hamas in Ramallah oder Ost-Jerusalem vorsprechen, um im Gazastreifen arbeiten zu dürfen.
Ich frage mich, ob diejenigen, die wieder und wieder diese Forderung aufstellen, tatsächlich glauben, die Hamas würde gerne freie, „westliche“ Journalisten dort rumlaufen haben.

Genauso, wie von der Lobby ständig so getan wird, als genössen Journalisten einen besonderen völkerrechtlichen Schutz. Das ist falsch und trotzdem so tief eingesickert, dass man bei KI-Plattformen sehr dezidiert nachfragen muss. Weil die natürlich nur nachplappern.
Das einzige Mal, dass Journalisten überhaupt im Völkerrecht erwähnt werden, ist im Artikel 79 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen von 1977. Und da steht nur, dass sie als Zivilpersonen zu behandeln sind.
Sie genießen also den gleichen Schutz, wie jeder andere Zivilist auch. Aber eben nicht mehr.

Der Faktencheck-Faktencheck

Schauen wir uns zum Abschluss den Beitrag von Philip Kreißel einmal an.

Bereits in der Überschrift heißt es „Rechtfertigung widerlegt“.
Es ist zumeist nicht so, dass die Überschriften vom Autoren gewählt werden. Hier zeigt sich aber schon das große Problem. Neben „Streitkräfte-Streitkräfte“.

Irgendjemand in den IDF hat in einem Einsatz eine Kamera erkannt. Sie mussten davon ausgehen, dass die Kamera „feindlich“ ist. Und genau so steht es im ersten Ergebnis, den die IDF auf X gepostet haben und der im Beitrag auch zitiert wird.

Allerdings wäre eine „initial inquiry“ keine „ersten Ermittlungen“, sondern eher eine „anfängliche Prüfung“. Denn diejenigen, die das prüfen, haben keine Ahnung, was die Soldaten im Einsatz dort machen. Die müssen erstmal nachfragen, was überhaupt los war.

Das als „Rechtfertigung“ zu bezeichnen, halte ich für schwierig. Es als „widerlegt“ zu bezeichnen, zeigt ein völlig falsches Verständnis davon, was dort passiert und zu erwarten wäre.
Das Militär schildert, was aus seiner Sicht passiert ist. Das zu widerlegen wäre Aufgabe eines Gerichtes. Nicht des Militärs in einer ersten Prüfung. Das ist eine falsche Erwartungshaltung, um die Philip Kreißel den ganzen Beitrag aufgebaut hat.

Sehr häufig hatte ich schon das Argument in den Kommentarspalten, das Militär müsse vorher sicherstellen, dass es der Feind ist, bevor es schießt. Doch das muss es nicht. Und das kann es nicht.
Das ist aber das, was viele Zivilisten, und somit auch viele Journalisten, aus ihrem Rechtsverständnis des Friedens heraus zu denken scheinen. Oder wollen.

Tatsächlich ist ein Gefecht erst einmal ein rechtsfreier Raum. Und verschiedene Verantwortliche - Vorgesetzte, Kommandanten, Kommandeure usw. – tragen die Verantwortung dafür, dass zumindest das Völkerrecht und die eigenen Regularien eingehalten werden. Das ist die große Verantwortung, die jeder Vorgesetzte zu tragen hat. Und für die er sich zu rechtfertigen hat.

Wenn Menschen nun erwarten, dass das im Nachhinein geprüft wird und das Militär im zivilen, friedlichen Rechtsverständnis somit auf der Anklagebank sitzt, ist das völlig verständlich. Und auch richtig und gut so.
Aber die Erwartungshaltung, dass das nun innerhalb weniger Tage untersucht wird und dann eine Art Rechtsgutachten erstellt wird, ist schlicht falsch.

Auch das ist ein Maßstab, der immer wieder an das israelische Militär angelegt wird, aber irgendwie an keinen anderen. Nicht an die Ukraine, nicht an Russland, nicht an die Huthi, nicht an die Hisbollah, nicht an den Irak, nicht an den Libanon, nicht an den Dschihad in Palästina und sicher nicht an die Hamas.

Und genau das ist der blinde Fleck.
In einer völligen Unkenntnis wie Krieg funktioniert, werden Maßstäbe angelegt. Und in diesem speziellen Fall wird eine Erwartungshaltung gegenüber Israel aufgebaut, die bei keiner anderen Streitmacht zu gelten scheinen.

Wie kann den bitte ein Journalist, der von einer fundamentalen Seite eines Problems keine Ahnung hat, einen „Faktencheck“ durchführen? Und dazu dann einfach nur dutzende andere Quellen zusammensuchen und verlinken, die meist ebenso wenig Ahnung haben?
Als Kommentar, als Meinungsbeitrag, wäre das in Ordnung. Aber als „Faktencheck“?

Ich bin mal ganz ehrlich: Ich habe das Gefühl, durch eine Kompetenzlosigkeit, die ich manchmal als „friedensverwahrlost“ bezeichne, bewegt sich die öffentliche Debatte auf dem Niveau einer Massenpsychose. Eine völlige Verzerrung, die der Hamas-Propaganda in die Karten spielt.
Und diejenigen, die dagegen ankämpfen und versuchen Krieg zu erklären, wie Andrew Fox, Torsten Heinrich, Ralf Raths vom Panzermuseum oder auch Ryan McBeth werden von den Medien ignoriert oder als Nationalisten, Rechte, Einseitige oder Kriegsgeile abgefrühstückt. Da setzt man sich lieber Soziologinnen in die Talkrunde oder übernimmt UN-Narrative, die klar auf die Hamas zurückgehen.
Von dem, was auf Social Media abläuft, ganz zu schweigen.

Für einen Faktencheck hätte ich andere Fragen und Antworten erwartet:

  • Warum halten sich „Journalisten“ auf einem Gebäude auf, dass als Kombattanten-Hotspot bekannt ist?

  • Warum halten sich „Journalisten“ in unmittelbarer Nähe zu Rettungsarbeiten auf, die in Reichweite einer aktiven Kampfzone stattfinden?

  • Warum melden Medien weltweit einen Angriff „auf“ ein Krankenhaus, obwohl das Ziel (oft gemäß eigener Berichterstattung) ein anderes war?

  • Wie können die IDF gezielt Journalisten getötet haben, wenn die Getöteten gar nicht als Journalisten zu erkennen waren?

  • Warum melden die IDF die Tötung von sechs Terroristen, die offenbar nicht bei dem Einsatz getötet wurden?

  • Wer führt eine mögliche Untersuchung durch?

  • Gab es einen Luftschlag? Wie lange vor der Zeit bis zu den Panzertreffern? (Hat der israelische Stabschef übrigens befohlen weiter zu untersuchen. Steht auch im zitierten Posting.)

  • Was war der Grund, womöglich ein zweites bzw. drittes Mal auf das Ziel zu feuern? Gab es einen Verantwortlichen, der das autorisiert hat, oder war das eine spontane Handlung in einem Gefecht? (Auch das hat der israelische Stabschef befohlen weiter zu untersuchen. Steht ebenfalls im zitierten Posting.)

  • Wenn es bereits mehrfach Gefechte in und um das Nasser Krankenhaus gegeben hat, warum haben die IDF es nicht besetzt, gesichert und gehalten?

  • Warum wird die Meldung zu einem vergleichsweise kleinen Vorfall von den Medien priorisiert, während Israel 30 Ziele im Jemen bekämpft, die die internationale Schifffahrt bedrohen, und inzwischen die gesamte Führungsriege der Huthi ausgeschaltet hat?

  • Würden die Palästinenser wirklich unabhängige Journalisten im Gazastreifen akzeptieren?

Wirklich, ich mag Euch, Volksverpetzer.
Aber dieser „Faktencheck“ war nix.

Kategorie Medien und Politik

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