Hunger Games: Leserfrage

Es wird unappetitlich. Auf mehreren Ebenen.
Ich hätte es Euch und mir wirklich lieber erspart.
Ich wurde heute Morgen per Mail nach dem Bild zu einem Bericht des Spiegels gefragt.

Screenshot des Beitrags
Das Foto soll einen unterernährten Jungen im Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt zeigen. Als Quelle ist die Nachrichtenagentur Reuters angegeben und der Fotograf Dawoud Abu Alkas.
Letzterer ist tatsächlich Fotograf im Gazastreifen und hat bereits mehrere Fotos an Stock-Medien verkauft.
Der Beitrag stammt von heute Morgen, 23.07.2025 06:38h.

Screenshot des Angebots der Agentur Reuters.
Das Bild wird in den vergangenen ca. 24 Stunden durch viele Medien international herumgereicht. Der Mann wird dabei als 14-jähriger Mosab al-Debs vorgestellt.
Es ist zumeist Aufhänger für die Berichterstattung über einen Appell von 110 Hilfsorganisationen. Hinzu kommt, dass die Hamas gerade erklärt hat, dass mehrere Kinder an einem Tag verhungert seien, die Zahlen gehen auseinander.

Screenshot eines Berichts der BBC
Eines der ersten Medien-Outlets war laut Zeitstempel Al Jazeera.

Screenshot des Berichts von Al Jazeera
In der Primärquelle (Reuters) wird der Zustand als „malnutrition“ bezeichnet. Und das bedeutet nicht „Unterernährung“, sondern ist der medizinisch korrekte Begriff für eine Mangelernährung. Und eine solche Mangelernährung kann auch durch viele Erkrankungen hervorgerufen werden, beispielsweise Krebs oder Leukodystrophie.
Eine solche Abmagerung, wie sie auf den Bildern zu sehen ist, muss schleichend über einen langen Zeitraum passieren.
Deshalb habe ich auch einfach mal einen befreundeten Arzt angerufen. Dem sofort die Nasensonde und der frische Kopfverband auffielen. Ersteres zeigt eine Versorgung, zweiteres muss eine andere Ursache haben.
Bemerkenswert ist auch, dass der Guardian ein Bild der gleichen Fotoreihe veröffentlicht hat, auf dem zwei Frauen – sicherlich Angehörige – zu sehen sind, die man durchaus als wohlgenährt bezeichnen darf.

Screenshot des Beitrags des Guardian
Beim tieferen Tauchen im Netz lief mir dann eine Fotoreihe eines Patienten in Gaza von Omar Ashtawy über den Weg, der an Hirnatrophie („Hirnschwund“) leidet. Was übrigens Mangelernährung verursachen oder sogar durch eine Stoffwechselerkrankung wie Leukodystrophie verursacht werden kann.
Dort ist der Mann zwar 21 und heißt Ahmed Al-Najjar, aber die Bilder vom 05.07.2025 wären bei einem Krankheitsverlauf naheliegend.

Screenshot des Angebots der Fotoreihe eines Stock-Anbieters
Auch Ahmed Al-Najjar wurde damals bereits durch die Medien und Social Media getrieben, als Nachweis für eine Hungerkriese im Gazastreifen.

Screenshot eines Postings von Palestine Online auf X mit Bildern von Ahmed Al-Najjar
Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, ob es sich um die gleiche Person handelt.
Doch ein Szenario finde ich sehr viel zutreffender, als die implizierte Geschichte:
Der Fotograf Dawoud Abu Alkas fotografiert in dem von der Hamas betriebenen Al-Shifa-Krankenhaus einen Patienten. Diese Bilder verkauft er mindestens an die Agentur Reuters, vielleicht auch an andere. Dort noch mit der medizinisch korrekten Beschreibung einer Mangelernährung.
Die Agentur Reuters verkauft die Bilder an verschiedene Medien. Die keine Möglichkeit haben, das zu verifizieren. Und so wird es mit der mehr oder minder zufällig zusammenfallenden Meldung der Hamas über verhungernde Kinder und dem Apell der Hilfsorganisationen von den Medien verwendet. Obwohl die Bilder selber auf eine andere Erkrankung hindeuten.
Und die „westlichen“ Leserinnen und Leser gehen implizit davon aus, dass viele „Kinder“ im Gazastreifen so abgemagert aussehen.

Foto: Hunderte junger Gaza-Palästinenser tragen 25-Kilo-Säcke von einer Ausgabe nach Hause.
Das ist übrigens kein Skandal, sondern Tagesgeschäft.
Ich betone ausdrücklich, dass keine meine Aussagen bedeutet, dass es im Gazastreifen keine Hungernden gibt!
Ich wurde nach einem Bild gefragt, das habe ich recherchiert. Mehr nicht.
Bemerkenswert allemal, dass seit Dezember 2023 vor einer Hungerkatastrophe gewarnt wird, während aktuell tausende Tonnen Hilfsgüter auf palästinensischer Seite am Grenzübergang Kerem Schalom vergammeln, weil sie nicht abgeholt werden.