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Pressefreiheit im rechten Zerrspiegel: Wie das Compact-Urteil umgedeutet wird

Hallo,

zu Beginn ein kurzer Nachtrag zu unserem Newsletter von Anfang Juni “Wie Dobrindt die Justiz ignoriert” (Öffnet in neuem Fenster). Darin haben wir über den Fall der drei Menschen aus Somalia gesprochen, die vor Gericht gezogen sind, weil sie rechtswidrig an der deutschen Grenze abgewiesen worden waren. Sie hatten einen Asylantrag gestellt, den die Bundespolizei aber nicht prüfen wollte - womit sie gegen geltendes EU-Recht verstieß.

Innenminister Alexander Dobrindt sah in der Gerichtsentscheidung keinen Grund, etwas an seiner Asylpolitik zu ändern. Er tat die Entscheidung als “Einzelfall” ab - und ignorierte sie.

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Deshalb hat sich vor wenigen Tagen der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Andreas Korbmacher (Öffnet in neuem Fenster) zu Wort gemeldet - und klar gemacht, wieso es eben keine Einzelfallentscheidung ist. Er erklärte: Das Verwaltungsgericht sei im Eilverfahren erst- und auch letztinstanzlich zuständig. “Das hat die Politik bewusst so geregelt, um in solchen Verfahren zu schnellen abschließenden Entscheidungen zu kommen”, sagte Korbmacher.

Und wegen des fehlenden Rechtsmittels seien die Verwaltungsgerichte verfassungsrechtlich verpflichtet, die Rechtslage intensiv durchzuprüfen. Die Berliner Richter:innen hätten das getan. “Das fällt dem Bundesinnenministerium jetzt auf die Füße”, sagte Korbmacher.

Journalist und Jurist Ronen Steinke bezeichnete das bei Phoenix (Öffnet in neuem Fenster) als “außergewöhnlichen und einmaligen Vorgang, dass der Innenminister und der Kanzler persönlich von einem Gerichtspräsidenten gesagt bekommen: Ihr hört wohl nicht richtig zu.”

Auch im Hauptteil unseres Newsletters geht es heute um ein Gerichtsurteil, das nun bereits 1,5 Wochen her ist: Das Compact-Verbot wurde aufgehoben und wir dröseln auf, was die Neue Rechte daraus gemacht hat.

Bleib achtsam und alles Liebe!

Um was geht’s?

“Es ist die wichtigste Entscheidung für die Pressefreiheit seit Gründung der Bundesrepublik.”

Das hat Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer nach der Urteilsverkündung des Bundesverwaltungsgerichts am 24. Juni in Leipzig gesagt. Damit ist klar: Das rechtsextreme Magazin Compact, die dahinterstehende GmbH und weitere Teilorganisationen, sowie alle Online-Angebote (Öffnet in neuem Fenster) sind nicht mehr verboten.

Wie Elsässer und Co. das Urteil nun deuten und welche Erzählungen sie dabei aufgreifen, darum geht es heute.

Narrativ 1: Compact sorgt dafür, dass die Presse- und Meinungsfreiheit triumphiert

Es ist das naheliegendste Narrativ und es schallt laut aus dem neurechten Eck: Compact und das Team rund um Jürgen Elsässer machen sich zu Bewahrer:innen der Presse- und Meinungsfreiheit. Elsässer sagt: “Wir sind, wie Augstein mal über den Spiegel gesagt hat, das Sturmgeschütz der Demokratie.”

Neben der überhöhten Selbstdarstellung, sich auf eine Ebene mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel zu heben, bedient Elsässer hier eine in neurechten Kreisen sehr erfolgreiche Erzählung, wie Politologe Florian Spissinger erklärt. Demnach gibt es bei der AfD und ihrem Umfeld viele “entlastende Narrative (Öffnet in neuem Fenster)”, mit denen man sich als Verteidiger:innen von Freiheit, Demokratie und Wahrheit darstellt und sich so stets “bei den Guten” wähnt.

Dazu passend (Öffnet in neuem Fenster) argumentiert der rechtsextreme Brandenburger AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt. Er sagt, dass Compact einen “Dienst am Gemeinwesen” und “an der Demokratie” geleistet habe, indem es den Prozess gegen das Verbotsverfahren angenommen und gewonnen habe:

Das ist echter Verfassungsschutz, Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung.”

👉 Damit labelt Berndt nicht nur die Compact als zweifelsfrei demokratisch, sondern delegitimiert gleichzeitig die Verfassungsschutzbehörden.

Der Grund: Das vorübergehende Compact-Verbot fußte auf Recherchen und Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden. Viele sind öffentlich einsehbar, wie der Verfassungsschutzbericht 2024. Darin steht (Öffnet in neuem Fenster) unter anderem, dass Compact “in seinen unterschiedlichen Publikationen regelmäßig und seit Jahren antisemitische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte” verbreitet.

Solche Erkenntnisse sind ein Grund dafür, wieso der Verfassungsschutz von neurechten Akteur:innen schon lange als politisch gesteuert und von den “Altparteien” instrumentalisiert geframt wird.

Narrativ 2: Compacts Macher:innen sind die wahren Demokrat:innen

Genau das macht hier Hans-Christoph Berndt, indem er Compact symbolisch an die Stelle der offiziellen Institution setzt.

👉 Nicht der Verfassungsschutz, sondern Compact schütze die “echte Demokratie”. Damit verschiebt er die Definitionsmacht darüber, was demokratisch und verfassungstreu ist, gezielt ins rechtsextreme Milieu.

Die Botschaft: Nicht staatliche Organe, sondern neurechte Medien und Akteur:innen sind die wahren Hüter:innen der freiheitlichen Ordnung.

Zugleich versucht Berndt, rechtsextreme Inhalte als legitime Meinungsäußerungen zu normalisieren. Indem er Compact als demokratische Institution inszeniert, möchte er rechtsextreme, antisemitische und verschwörungsideologische Positionen aus der öffentlichen Kritik nehmen und gesellschaftlich akzeptabel machen. Dies hat wiederum das Ziel, jegliche staatliche Reaktion darauf als illegitim und antidemokratisch erscheinen zu lassen.

👉 So bedient Berndt eine zentrale Strategie der Neuen Rechten: Er delegitimiert staatliche Institutionen und Behörden, um Raum für die eigene politische Agenda zu schaffen und rechtsextreme Positionen immer weiter in die Mitte der Gesellschaft zu rücken.

Narrativ 3: Compact ist Opfer einer Regierung, die mit (Links-)Extremen besetzt ist

Elsässer und mehrere AfD-Politiker:innen verbreiten gezielt das Narrativ einer politisierten Regierung und Justiz, indem sie staatlichen Vertreter:innen eine Nähe zu extremistischen Kräften zuschreiben. So bezeichnet Joachim Paul von der AfD Rheinland-Pfalz Innenministerin Nancy Faeser als “Antifa-SPD-Linke-Ministerin” und behauptet, die “Altparteien” seien für Demokratie und Meinungsfreiheit “zu schwach”.

Ebenso schreibt Björn Höcke auf Telegram, Faesers Amtszeit sei “eine Serie von Grenzüberschreitungen und Tabubrüchen”. Auch Jürgen Elsässer greift gezielt Innenministerin Faeser an, indem er ihr vorwirft, “den Verfassungsbruch angetrieben” zu haben, und sie indirekt in die Nähe autoritärer Machtausübung rückt.

👉 Durch solche Aussagen werden staatliche Institutionen und ihre Vertreter:innen bewusst diffamiert und als linksradikal oder extremistisch dargestellt, um den Staat als politisch parteiisch zu delegitimieren.

Narrativ 4: Compact als Opfer staatlicher Willkür

Zweitens kommt es (einmal mehr (Öffnet in neuem Fenster)) zu einer gezielten Umdeutung der Begriffe “Diktatur” und “Faschismus”, die gegen demokratische Institutionen gewendet werden. Elsässer erklärt etwa, man habe “die diktatorischen Tendenzen besiegt” und vergleicht das Verfahren gegen Compact mit der Spiegelaffäre von 1962 (Öffnet in neuem Fenster), bei der Verteidigungsminister Franz Josef Strauß den Spiegel wegen eines kritischen Artikels zur Verteidigungsstrategie der Bundesrepublik der “Verbreitung von Staatsgeheimnissen” bezichtigte und durch eine Polizeirazzia sowie Festnahmen massiv unter Druck setzte.

Diese Affäre markierte einen Wendepunkt hin zu einer gestärkten Pressefreiheit, nachdem sich breite Teile der Gesellschaft solidarisierten und das Bundesverfassungsgericht später die fundamentale Bedeutung der Pressefreiheit bekräftigte.

👉 Indem Elsässer Compact in eine Reihe mit dem Spiegel stellt, inszeniert er sein Magazin als vermeintlich ähnliches Opfer staatlicher Willkür und Autoritarismus.

Er suggeriert, dass das Compact-Verbot nicht legitime staatliche Gegenwehr gegen rechtsextreme Inhalte gewesen sei, sondern ein gezielter Versuch, unbequeme Stimmen auszuschalten. Damit wird eine historische Auseinandersetzung um echte Pressefreiheit instrumentalisiert, um heutige Maßnahmen gegen rechtsextreme und verschwörungsideologische Inhalte zu diskreditieren.

Ähnlich argumentiert Harald Laatsch von der Berliner AfD (Öffnet in neuem Fenster), der behauptet, die SPD zeige durch das Compact-Verbot ihre “Verfassungsfeindlichkeit” und drifte “in den Faschismus” ab. Diese Begriffe - eigentlich auf den historischen Kontext autoritärer und totalitärer Systeme bezogen - werden hier bewusst umgekehrt.

Damit suggerieren die Akteure, die eigentlichen Gefahren für Demokratie und Verfassung gingen nicht von extrem rechten Kreisen, sondern von denjenigen aus, die diese schützen wollen. Diese gezielte Verschiebung dient dem Zweck, den demokratischen Konsens zu untergraben und staatliches Handeln gegen rechte Akteur:innen als undemokratische Repression zu brandmarken.

Narrativ 5: Compact ist nicht so schlimm wie alle sagen - Selbstverharmlosung

Eine der zentralen rhetorischen Verteidigungsstrategien von Compact ist die demonstrative Selbstverharmlosung. So erklären Stephanie Elsässer (Ja, das ist die Frau von Jürgen Elsässer) und Paul Klemm in einem Youtube-Video (Öffnet in neuem Fenster) nach dem Urteil, dass das Verfahren gegen Compact auf “Unterstellungen” basiert habe, dass Sätze “aus dem Zusammenhang gerissen” worden seien und manches einfach “nur Satire” gewesen sei. Klemm nannte die von der Gegenseite vorgebrachten Belege gar pauschal “alles Pillepalle”.

Dieses Muster zieht sich durch die gesamte Außendarstellung von Compact: Problematische Aussagen werden abgetan, verharmlost oder relativiert.

Damit unterschlägt das Team um Elsässer einerseits, dass das Bundesverwaltungsgericht zahlreiche Aussagen anmerkte, (Öffnet in neuem Fenster) die gegen die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde verstießen, insbesondere im Zusammenhang mit Islamfeindlichkeit und Konzepten wie dem rechtsextremen Kampfbegriff “Remigration”.

Das seien auch keineswegs nur vereinzelte Ausreißer, erreichten allerdings in der Gesamtwürdigung “noch nicht die Schwelle der Prägung” des Magazins insgesamt, so der vorsitzende Richter Ingo Kraft. Laut Legal Tribune Online betonte Kraft (Öffnet in neuem Fenster), dass in Compact auch immer wieder “Triggerwörter” vorkommen, eben wie “Remigration” oder auch “Umvolkung” und “Passdeutsche”, diese aber sowohl verfassungsfeindlich interpretiert als auch als überspitzte “Machtkritik” an aktuellen politischen Verhältnissen verstanden werden könnten.

👉 Und genau diese Uneindeutigkeit ist strategisches Programm bei Compact und dürfte dem Magazin nun vor Gericht geholfen haben.

Seit Jahren fungiert Compact innerhalb der neurechten Szene als Scharniermedium und Radikalisierungsmaschine (eine tiefgehende Analyse zu Compact gibt es beim Projekt “Gegenmedien” (Öffnet in neuem Fenster)). Es soll Angebote für die “Breite” der Gesellschaft schaffen, deshalb ist auch absichtlich “nicht jeder Text offen rechtsextrem oder verfassungsfeindlich”, wie der Soziologe Felix Schilk schreibt (Öffnet in neuem Fenster).

Vielmehr geht es darum, “die Szene zu erweitern, zu stabilisieren und Gelder zu generieren”. Deshalb sei man inhaltlich sehr breit aufgestellt und teste immer wieder neue “Themen, Feindbilder und Formate, die später oft von anderen übernommen werden”. Schilk erklärt, “wer etwa als Impfgegner, Esoteriker oder zeitgeschichtlich interessierter Verschwörungstheoretiker zu Compact greift, wird dort schnell an viele andere rechtsextreme Ideologien herangeführt”.

Beim Aktionsbündnis Brandenburg heißt es in einem Beitrag darüber (Öffnet in neuem Fenster), welche Gefahren für die Gesellschaft von Compact ausgehen:

Die kontinuierliche Lektüre von Compact birgt die Gefahr, zum Teil einer Filterblase zu werden, die soziale Entfremdungs- und politische Radikalisierungsprozesse verstärkt. Langfristig versucht Compact, menschenverachtende Einstellungen wie Antisemitismus, Antifeminismus, Rassismus und Islamfeindlichkeit salonfähig zu machen, demokratische Institutionen zu delegitimieren und durch die systematische Konstruktion von Feindbildern Vorurteile und Hass zu verstärken.”

Und dafür, das gibt Elsässer auch zu, lügt er. In einem Interview mit dem Politmagazin Kontraste vor vier Jahren sagte er (Öffnet in neuem Fenster):

“Es werden Erzäh­lun­gen gemacht, es werden Märchen und Alle­go­rien for­mu­liert, die dann wabern. Es ist nicht die Wahr­heit, aber es hält sozu­sa­gen die Volks­seele, den Volks­dis­kurs am Laufen. Und das ist sozusagen die Hefe, aus der ein politischer Widerstand im rationalen Sinn erst entstehen muss.”

Und um das zum Ende nochmal klar zu formulieren: Elsässer sagt immer wieder, wohin dieser Widerstand führen soll, den er entstehen lassen will. Etwa hier (Öffnet in neuem Fenster):

“Ein wichtiger Unterschied zu anderen Medien ist: Wir wollen einfach das Regime stürzen. Und nur, wenn man das Ziel vor Augen hat, kann man entsprechende Texte schreiben.”

Und das betont sogar das Leipziger Gericht in seiner Pressemitteilung (Öffnet in neuem Fenster). Darin erklärt es, dass es sich bei Compact und dem “Elsässer-Kreis” nicht nur um ein Presse- und Medienunternehmen handle, “vielmehr verfolgt der maßgebliche Personenzusammenschluss nach seinem eigenen Selbstverständnis eine politische Agenda, organisiert Veranstaltungen sowie Kampagnen und versteht sich als Teil einer Bewegung, für die er auf eine Machtperspektive hinarbeitet”.

Das brachte Elsässer schon 2018 auf die folgende Formel (Öffnet in neuem Fenster), die seine enge Verzahnung mit anderen rechtsextremen Organisationen zeigt: “Alle zusammen in großer Einheit: Pegida, IB, AfD, Ein Prozent, Compact! Fünf Finger, alle kann man einzeln brechen, aber alle zusammen sind eine Faust!”

Abschließend bleibt festzuhalten: Compact verkauft das Urteil als historischen Sieg der Freiheit - tatsächlich legt das Verfahren aber offen, dass das Magazin viel mehr ist als einfach nur ein streitbares Medium und sicherlich keine Beschützerin der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Und so könnten Aussage und Gegenrede zu diesem Thema aussehen:

Aussage:

“Das Urteil aus Leipzig ist der Beweis: Compact ist die letzte Bastion der Pressefreiheit in Deutschland. Das gekippte Verbot zeigt, dass die Vorwürfe von Antisemitismus und Hass allesamt falsch sind.”

Gegenrede:

“Das ist verkürzt. Das Gericht hat das Verbot aufgehoben, weil die menschenwürdeverletzenden Inhalte noch nicht prägend genug für das Gesamtbild des Magazins sind. Aber es hat ausdrücklich betont, dass Compact regelmäßig solche Inhalte verbreitet. Es war eher ein knapper Grenzfall, bei dem die Pressefreiheit gerade überwog.”

Aussage:

“Und herausgefunden hat das der Verfassungsschutz? Der ist doch nur Werkzeug der Altparteien. Was da im Bericht über Compact steht, ist reine politische Instrumentalisierung.”

Gegenrede:

“Wenn das so wäre, hätte Compact das im Prozess aufdecken können. Stattdessen hat das Gericht die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes größtenteils bestätigt. Wer ohne Beleg behauptet, der Rechtsstaat sei ‘gesteuert’, entwertet seriöse Kritik und öffnet Tür und Tor für Willkür.”

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