So antwortet die Neue Rechte auf die Soziale Frage!
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Hi,
wir fragen uns ja immer wieder: Wer wählt die AfD? Und warum?
Eine aktuelle Befragung des Progressiven Zentrums hat diese Fragen nun auch gestellt und zwar an “die Neuen”. Das sind junge Menschen, die bei der Bundestagswahl erstmals AfD gewählt haben. Der Grund für diesen Fokus: “Die Wähler:innenschaft der Partei ist jünger und weiblicher geworden” und die AfD habe den größten Zuwachs bei den 18- bis 24-Jährigen und danach bei den 25- bis 34-Jährigen erreicht.
Warum?
Laut Untersuchung eint die Befragten ein ausgeprägter Pessimismus. Sie nehmen den Zustand des Landes als durchweg negativ wahr, fühlen sich verunsichert, orientierungslos und erleben den gesellschaftlichen Zusammenhalt als zerbrochen - besonders seit der Coronapandemie. Manche sehnen sich nach einem idealisierten “früheren Deutschland”, andere empfinden das Land als ungerecht.
Inhaltlich sind die politischen Einstellungen der “Neuen” ambivalent: Viele vertreten konservative Lebensentwürfe, befürworten aber auch progressive Positionen, etwa in der Energiepolitik oder beim Abtreibungsrecht. Das dominante Thema ist jedoch Migration - hier fordern sie deutlich restriktivere Maßnahmen und verbinden das Thema mit Vorstellungen von Fairness und Leistungsgerechtigkeit. Extremismus lehnen sie zwar ab, können aber kaum benennen, was ihn kennzeichnet. Auch der als rechtsextrem eingestufte Charakter der AfD wird häufig relativiert oder ignoriert.
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Ein zentrales Motiv für die Wahlentscheidung ist die Enttäuschung über die sogenannten etablierten Parteien, die sie für nicht mehr agil genug halten, um heute Deutschland zu regieren. Sie hätten zudem Wahlversprechen gebrochen und bei zentralen Fragen wie Rente, sozialer Aufstieg oder Sicherheit versagt. Besonders das kurz nach der Wahl beschlossene Sondervermögen für Bundeswehr und Infrastruktur gilt vielen als Symbol politischer Unaufrichtigkeit.
Gleichzeitig ist die Wahlentscheidung nicht in Stein gemeißelt. Viele der befragten jungen Wähler:innen sind prinzipiell offen für andere Parteien - vorausgesetzt, sie fühlen sich in ihren Sorgen ernst genommen. Entscheidend sind klare Haltungen, schnelle Kommunikation und ein sichtbarer politischer Gestaltungswille. Wird die AfD jedoch als wirksames Druckmittel wahrgenommen (als Protestform), das andere Parteien zu Kurskorrekturen zwingt, verstärkt das die Zustimmung - auch bei einer möglichen nächsten Wahl.
👉 Die ganze Untersuchung, wie junge Menschen ticken, die (zum ersten Mal) AfD gewählt haben, gibt es hier (Öffnet in neuem Fenster)!
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Herzliche Grüße und bleib achtsam!

Um was gehts?
“Die Soziale Frage der Gegenwart ist nicht primär die Verteilung des Volksvermögens von oben nach unten, unten nach oben, jung nach alt oder alt nach jung. Die neue deutsche Soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist die Frage nach der Verteilung des Volksvermögens von innen nach außen.”
Das hat Björn Höcke 2016 am “Tag der Arbeit” auf Facebook (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben. Es war der Vorgriff auf ein neurechtes Konzept, auf den “solidarischen Patriotismus”.
Höcke bricht ganz bewusst mit dem klassischen sozialdemokratischen Verständnis der “Sozialen Frage”. Darunter wurden eigentlich Folgen der Industrialisierung für die arbeitende Klasse zusammengefasst - beispielsweise lange Arbeitszeiten, Altersarmut, unzureichenden Lohn und fehlenden Arbeitsschutz. Heute versteht man laut Bundeszentrale für politische Bildung (Öffnet in neuem Fenster) eher “neue Formen der Armut, das Wohnungsproblem, die Ausgrenzung bestimmter Gruppen der Gesellschaft oder auch die Schwierigkeiten, die alte Menschen oder alleinstehende Mütter haben”.
Die AfD deutet das nun um und nimmt die Soziale Frage als Begründung für eine völkisch-nationale Sozialpolitik. Wie, darum geht’s diese Woche.
(Ganz unten findest du wie immer unsere neueste Rubrik: Aussage & Gegenrede)
💢 Partei der “Enttäuschten und Zornigen”
Seit Jahren inszeniert sich die AfD erfolgreich als Stimme der “Nicht-Repräsentierten” und setzt auf das populistische “Wir gegen die da oben”. Die Otto Brenner Stiftung (OBS) bezeichnet sie deshalb als “Partei der Metamorphosen (Öffnet in neuem Fenster)”, weil sie sich permanent wandelt.
Einerseits personell, die Gemäßigten (Lucke, Petry, Meuthen, …) wurden nach und nach von Extremen ersetzt (Weidel, Höcke, aber auch viele neue Mitglieder in der Bundestagsfraktion stehen für die Radikalisierung (Öffnet in neuem Fenster)). Andererseits inhaltlich, weil die Partei immer neue “Repräsentationslücken” findet, besetzt und “wahrgenommene Krisen als Agitationsfläche” nutzt.
👉 Soll heißen: Ob Eurokrise, Flüchtlingsdebatte, Corona oder Ukraine-Krieg - die AfD springt von einer polarisierenden Krisenrhetorik zur nächsten, um “Sprachrohr der Enttäuschten und Zornigen” zu sein.
Doch warum reagieren gerade benachteiligte Bürger:innen so stark auf dieses “Wir gegen die da oben”-Narrativ? Laut OBS liegt es daran, dass die AfD längst nicht mehr von einem Querschnitt der Gesellschaft, sondern mehr und mehr von “sozial schlechter gestellten Menschen” gewählt wird, die sich vom “übrigen Parteiensystem nicht mehr repräsentiert” und “gesellschaftlich abgehängt” fühlen und demokratischen Institutionen kaum mehr vertrauen.
🥊 Sozialpolitik? Feindbildkonstruktion!
Dazu passt, was Forschende vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) analysieren: Immer macht die AfD eine angeblich “bevölkerungsfeindliche” Politik der Eliten für Alltagsprobleme verantwortlich - und das ist auch ihr Angang in der Sozialpolitik. In ihrem Analysepapier (Öffnet in neuem Fenster) stellen die Forschenden vom IDZ nach der Thüringer Landtagswahl fest:
“Reale soziale Konfliktlagen (vom Mangel an bezahlbaren Wohnraum über Bildungs- und Infrastrukturdefizite bis zur inneren Sicherheit) werden kulturalisiert und - sofern sie aus Sicht der Wählenden wahlentscheidend sind - auf der Ebene des Ressentiments ‘aufgelöst’.”
Die typischen Feindbilder werden verantwortlich gemacht, vor allem Geflüchtete und Migrant:innen, aber eben auch “LSBTIQ*, Grüne und Linke”, schreibt das IDZ.
Wenn die AfD über soziale Probleme spricht, verknüpft sie das also mit (Massen-)Migration, die dann nicht nur für Alltagskriminialität, sondern eben auch für steigende Mieten und verknappten Wohnraum, für die Überlastung öffentlicher Infrastruktur wie Kitas und Schulen oder für den Verlust von “Vertrauensräumen” - das sind öffentliche Plätze, die durch angeblich kriminelle Migrant:innen zu No-Go-Areas werden - verantwortlich gemacht werden. Soziale Themen dienen also der Spaltung.
Zusammenfassend schreibt das IDZ, dass die AfD daraus keine “inklusive Sozialpolitik”, sondern einen “exklusiven Wohlstandschauvinismus” ableitet. Das bedeutet laut Ifo-Institut (Öffnet in neuem Fenster), dass die AfD eine völkische Gewichtung sozialer Leistungen will, dass beispielsweise “Sozialstaatsprogramme, von denen überproportional Migranten profitieren (etwa von der Sozialhilfe) hin zu solchen, die derzeit zu großen Teilen von der nativen Bevölkerung bezogen werden (etwa Grundsicherung im Alter oder Rente mit 63)” umgeschichtet werden, oder dass Migrant:innen der Zugang zum Sozialstaat insgesamt erschwert wird.
→ Am Ende geht es darum, dass Deutsche eher einen Anspruch auf Sozialleistungen haben als andere.
🥊 Vordenker mit radikaler Vergangenheit
Das führt zum sogenannten solidarischen Patriotismus. Einem “sozialpolitischen Konzept”, das Benedikt Kaiser im gleichnamigen Buch aufgeschrieben hat: “Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts”.
Kaiser zählt zu den ”Rechtsintellektuellen” und “Vordenkern” der Neuen Rechten, er ist Autor bei bekannten neurechten Publikationen (von Sezession über Kehre bis Freilich), besitzt zudem eine radikale Vergangenheit. Die Welt schrieb 2023 (Öffnet in neuem Fenster):
“Benedikt Kaiser bewegte sich zwischen 2006 und 2011 im Umfeld neonazistischer Organisationen wie den ‘Nationalen Sozialisten Chemnitz’, der Hooligangruppe ‘NS-Boys’ [mittlerweile verboten oder aufgelöst] und der NPD.”
Er war dabei nicht nur Mitläufer, sondern hat demnach “eine zentrale Rolle” eingenommen. In den Folgejahren orientierte sich Kaiser neurechts, arbeitete acht Jahre für Götz Kubitschek und dessen Sezession, dafür schreibt er immer noch, genauso für den französischen neurechten Identitären-Gründer Alain de Benoist. Außerdem war Kaiser - bis vor kurzem - Angestellter des AfDlers Jürgen Pohl im Bundestag, hatte auch ein Büro in Berlin.
In einem Porträt über Kaiser in der Zeit (Öffnet in neuem Fenster) heißt es, dass er die AfD dazu bringen wolle, sich die soziale Frage “zur Herzensangelegenheit” zu machen. “Links-rechts, Nationalismus und Sozialismus - für Kaiser ging es schon im Studium um den Versuch, beides so zu verbinden, dass man nicht bei ‘Hitler und dessen Praxisresultaten’ landet”, heißt es in der Zeit (das Porträt wurde später von Felix Schilk in einem Interview (Öffnet in neuem Fenster) kritisch eingeordnet).
Kaiser hält Sozialpolitik gundsätzlich für ein wichtiges Instrument der Verankerung und will das Thema in der AfD größer machen - und damit eine Form des “Kümmerns”, über das wir hier geschrieben haben (Öffnet in neuem Fenster). Das erklärt Kaiser auch in einem Gespräch mit dem AfD-nahen Deutschlandkurier: “Wenn eine patriotische Bewegung Erfolg haben will, muss sie von unten nach oben organisch wachsen.” Man müsse dort verankert sein, wo “die Sorgen real sind”. Nur, wenn man regional verankert sei, könne man Nachhaltigkeit schaffen (“Nachhaltigkeit nicht im links-grünen Propaganda-Sinne”).
→ Mit seiner patriotischen Sozialpolitik will Kaiser der AfD langfristige Verankerung und Legitimität verschaffen.
⚫🔴🟡 Solidarität, aber nur für “ethnisch” Deutsche
Doch was steckt in diesem neurechten sozialen Konzept? Der Soziologe Armin Pfahl-Traughber (Öffnet in neuem Fenster) kommt zum Ergebnis: nicht viel. Es handelt sich vor allem um ein “populistisches Schlagwort, womit links liegen gelassene Politikinhalte aufgegriffen” und der Linken “die Kapitalismuskritik” entwunden werden soll.
Kaiser bezieht sich laut Pfahl-Traughber vor allem auf linke Sozialwissenschaftler:innen, weshalb unklar sei, worin die “Besonderheit bei der Neuen Rechten” und ihrem Konzept liege.
Erst, als Kaiser erklärt, für wen Solidarität in seiner Sozialpolitik gelten soll, “werden Konturen deutlicher”, und zwar, wenn Kaiser schreibt, dass er eine “relative ethnische” und eine ”relative soziale Homogenität” will.
Was das bedeutet, damit hat sich ein Forschendenteam der Hans Böckler Stiftung auseinandergesetzt (“Die sozialpolitische Doktrin der Neuen Rechten (Öffnet in neuem Fenster)”). Die Autoren schreiben, dass sich Kaiser mit seiner “sozialen Homogenität” auf den Homogenitätsbegriff von Carl Schmitt bezieht. Über Schmitt haben wir schon einmal ausführlicher geschrieben (Öffnet in neuem Fenster), als wir uns angesehen haben, welche “Demokratie” die AfD will. Schmitt jedenfalls vertritt ein radikal homogenes Volksbild: “Zur Demokratie gehört notwendig erstens Homogenität und zweitens - nötigenfalls - die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen”, hat er einmal geschrieben.
→ Wer nicht zum Volk gehört, muss also raus.
Wer damit gemeint ist, zeigen zwei Aussagen aus Kaisers Buch: Erstmal seien ihm zufolge Masseneinwanderung und Sozialstaat “auf Dauer unvereinbar”. Außerdem:
“Wer ungehemmte Multikulturalisierung praktiziert oder gar ihre Steigerung fordert (und damit die relative ethnische Homogenität zerstört), macht die Gesellschaft brutaler, kälter, gefährlicher, prekärer - und bedroht die innere Sicherheit.”
Hier wird eine Trennlinie gezogen zwischen “völkisch Deutschen” und allen anderen, die nicht dazugehören.
Im Gespräch mit dem Deutschlandkurier sagt Kaiser noch: “Wir sind nicht allein auf der Welt. Wir sind in einer Familie, gehören einer Landsmannschaft an und wir sind Deutsche.” Es gebe also ein “großes Wir”. Ein Sozialstaat funktioniere nur, wenn dieses “Wir” definiert sei. Und das sei eine “politische Frage”. Für Kaiser seien das Leute, “die demselben Volk” und “demselben Kulturkreis” angehörten. An anderer Stelle (Öffnet in neuem Fenster) spricht er davon, dass dieses “Wir” aus einer “über Jahrhunderte gewachsenen organischen Gemeinschaft” mit “ewiggültigen Bestandteilen” und einer Ahnenreihe bestehe.
Das ist wichtig, um zu verstehen, wem die Solidarität zusteht, weil die AfD laut Kaiser “Volk über Klasse stellt” und “sich zur gegenseitigen Hilfe innerhalb unseres Volkes” bekennt. Und das sei solidarischer Patriotismus.
Es geht nicht um eine Umverteilung von oben nach unten, sondern um eine Abgrenzung von innen nach außen.
Deshalb hält es Kaiser auch für falsch, wer in Deutschland Bürgergeld erhält: Migrant:innen. Er sagt: “Es gibt eine Umverteilung der Gelder ins Ausland oder an nicht-europäische Migranten, die stark im Bürgergeld sind. […] Nicht der Sozialstaat ist das Problem, sondern Entscheidungen der Politiker. Der Sozialstaat muss um die Probleme beseitigt werden, die uns von den Altparteien eingebrockt wurden.”
Das Problem ist für ihn also, dass eben nicht das neurechte “Volk” von Sozialleistungen profitiert - wie es seiner Meinung nach wohl sein sollte.
→ Der “solidarische Patriotismus” ist also kein harmloses sozialpolitisches Schlagwort, sondern ein völkischer Ausgrenzungsmechanismus. Solzialleistungen: ja - aber nur für ethnisch Deutsche. Am Ende ist es das Gegenteil einer inklusiven Sozialpolitik, die alle mitnehmen und mehr soziale Gerechtigkeit herstellen will.
Und so könnten Aussage und Gegenrede zu diesem Thema aussehen:
Aussage:
“Die wahre soziale Frage heute ist doch: Warum fließt so viel Geld an Fremde? Wir müssen unser Volksvermögen schützen – für unsere Leute. Was bringt uns Umverteilung, wenn das Geld ins Ausland oder an Migranten geht?”
Gegenrede:
“Sie verschieben bewusst die Debatte: Weg von Reichtum und Armut, hin zu Herkunft und Zugehörigkeit. Die Soziale Frage war nie eine ethnische – sie ging immer um Gerechtigkeit, faire Löhne, Teilhabe. Wer daraus ein 'Wir gegen die Anderen' macht, hetzt statt zu helfen.”
Aussage
“Aber es ist doch Fakt: Der Sozialstaat ist überfordert. Unsere Alten kriegen kaum Rente, während andere hier mit Bürgergeld versorgt werden – das ist doch unfair!”
Antwort:
“Unfair ist, wenn die wahren Ursachen ignoriert werden. Prekäre Renten, teure Mieten, schlechte Infrastruktur – das sind keine Migrationsfolgen, sondern politische Fehlentscheidungen. Die AfD bietet keine Lösungen, nur Sündenböcke.”
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