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Pfizergate: Die Verschwörung der Kritik

Wie Ursula von der Leyen aus demokratischer Kontrolle eine Bedrohung macht – und dabei selbst zur Institution wird, die sie zu verteidigen vorgibt.

Es war ein Moment, der in die Annalen der europäischen Demokratie eingehen wird – nicht weil er ihre Stärke bewies, sondern ihre Schwäche entlarvte. Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, trat in Straßburg ans Rednerpult, die Arme theatralisch geöffnet, als wolle sie nicht nur das Kreuz tragen, sondern gleich auch die Schuld abwaschen, die sich über Jahre im Innersten der Brüsseler Machtapparate angesammelt hat. Doch was sie dann sagte, markiert einen Zivilisationsbruch: Die Kritik an ihr sei nicht etwa politische Kontrolle, sondern „Verschwörung“, „Desinformationskampagne“, „Putin-Propaganda“. Das ist keine Verteidigung – das ist ein Angriff auf den Kern des demokratischen Prinzips.

Denn was ist Demokratie anderes als das Recht, die Mächtigen infrage zu stellen?

Und was ist Zensur anderes als das Recht der Mächtigen, diese Fragen in pathologisches Rauschen zu verwandeln?

Die Umwertung der Kritik

Mit einem rhetorischen Trick, wie man ihn in autoritären Regimen lernt, gelang es von der Leyen, aus der berechtigten Empörung über fehlende Transparenz im sogenannten „Pfizergate“-Skandal ein moralisches Schuldeingeständnis der Kritiker zu machen. Wer fragt, was in den gelöschten SMS mit Pfizer-CEO Albert Bourla stand, so suggeriert sie, ist nicht etwa an Aufklärung interessiert – sondern daran, Europa zu zerstören. Wer eine Offenlegung fordert, handelt im Auftrag Moskaus. Wer eine Debatte verlangt, gehört zum „illiberalen Lager“.

Diese Umkehrung ist ein Lehrstück in politischer Semiotik: Kritik wird diskreditiert, bevor sie überhaupt gehört wurde. Und sie wird nicht widerlegt – sondern entwertet durch Assoziation. Das Argument zählt nicht mehr. Nur noch das Etikett.

Die Geburt der Immunitätsdemokratie

In einem seltsamen historischen Echo erinnern diese Tage an das Jahr 1999, als die EU-Kommission unter Jacques Santer geschlossen zurücktrat – wegen des Verdachts auf systemischen Betrug. Heute jedoch gibt es keine Rücktritte. Kein Anzeichen von Demut. Im Gegenteil: Die Präsidentin erscheint mit ihrer gesamten Kommission wie eine in Gold gegossene Staatsoper, die sich selbst beklatscht, während draußen die Bühne brennt.

Die Botschaft: Wer mich stürzt, stürzt Europa. Wer mir misstraut, ist ein Extremist. Und wer Transparenz fordert, will zurück ins Mittelalter.

Das ist die Geburt einer Immunitätsdemokratie – einer Ordnung, in der sich Macht nur noch selbst kontrolliert. In der institutionelle Kritik automatisch mit Illoyalität gleichgesetzt wird. Und in der die Wirklichkeit durch narrative Disziplin ersetzt wird.

Die SMS als Symbol

Dass es sich bei „Pfizergate“ um die vermutlich teuerste Vertragsverhandlung der EU-Geschichte handelt – ein Impfstoffdeal über 1,8 Milliarden Dosen im Wert von über 21 Milliarden Euro – ist bekannt. Dass diese Verhandlungen teilweise über private Textnachrichten geführt wurden, wurde von der Kommission eingeräumt. Dass dieselben Nachrichten auf wundersame Weise verschwunden, gelöscht, nicht archiviert oder „nicht relevant“ seien, glaubt inzwischen nicht einmal mehr das Gericht der Europäischen Union, das der Kommission eine „nicht plausible“ Begründung attestierte.

Doch genau in dieser Leerstelle liegt der Kern des Problems. Nicht in der Korruption – sondern im Kulturbruch. Die SMS steht heute für eine neue Art politischer Kommunikation: flüchtig, privat, unarchivierbar. Sie ist das ideale Medium für Macht, die nicht verantwortlich sein will.

Der neue Autoritarismus ist narrativ

Von der Leyens Antwort auf all das war keine Aufklärung, sondern Geschichtspolitik. Mit dramatischen Bildern – Militärlaster in Bergamo, Leichen, Angst, die „Erfolge Europas“ – wurde ein Narrativ aktiviert, das Kritik nicht etwa als Teil der demokratischen Verarbeitung der Pandemie begreift, sondern als Geschichtsrevisionismus. Die Pandemie, so die Subbotschaft, war ein sakraler Moment europäischer Solidarität. Wer daran rüttelt, ist ein Ketzer.

In einer Welt, in der Regierungen zunehmen wie Medien agieren, wird der Spin zur Wahrheit. Das Framing zur Verteidigungslinie. Und das Protokoll zur Verschwörung. Wer dokumentiert, ist bereits verdächtig. Wer rekonstruiert, attackiert. Wer fragt, will zerstören.

Der letzte Triumph: Die Diffamierung der Öffentlichkeit

Die vielleicht gefährlichste Aussage des Tages: Dass es gar nicht um sie gehe, sondern um „Demokratie“. Dass man nicht sie kritisiere, sondern die „europäischen Werte“. So verwandelt von der Leyen das eigene politische Handeln in eine unantastbare Entität. Kritik an ihr wird zur Kritik an Europa selbst. Eine klassische Immunisierungsstrategie: Ich bin nicht Person, ich bin Institution.

Was aber passiert, wenn eine Institution sich selbst über das Recht stellt?

Dann entstehen Räume der Dunkelheit. Der Paragraf wird zur Nebelkerze. Die Öffentlichkeit zur Bedrohung. Und das, was einmal demokratische Kontrolle hieß, wird nun zur Staatsfeindlichkeit erklärt.

Das Ende beginnt im Applaus

Als Ursula von der Leyen ihre Rede beendete, applaudierte ihre Fraktion stehend – allein. Die Kameras zeigten leere Bänke, müde Gesichter, ironisches Kopfschütteln. Es war, als hätten selbst ihre Verbündeten gemerkt, dass hier nicht mehr die Zukunft Europas verhandelt wurde, sondern nur noch die eigene.

Vielleicht war es ein letztes Aufbäumen. Vielleicht aber auch das Anfang vom Ende einer Politik, die Kontrolle mit Paranoia verwechselt und Kritik mit Feindschaft.

Topic Gesellschaft

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