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Der Deutsche Desinformationskomplex – Anatomie einer digitalen Hegemonie

Am Beispiel der Plattform Bluesky

Es gibt eine Wahrheit, die zu gefährlich ist, um ausgesprochen zu werden: Dass in der Ära der Informationsüberfülle nicht mehr der Lügner die Ordnung bedroht, sondern der Wahrheitsverwalter. Nicht der Troll, der verzerrt, sondern die Instanz, die sortiert. Nicht die Desinformation – sondern das, was aus ihrem Kampf geworden ist.

Seit der Öffnung der Plattform Bluesky im Februar 2024 für die breite Öffentlichkeit erleben wir ein digitales Schauspiel, das als Parodie auf Aufklärung beginnen mag, aber als Ideologie der Kontrollgesellschaft endet. Bluesky, geboren aus der Idee dezentraler Unabhängigkeit, ist heute ein Spiegel dessen, was Michel Foucault einst als Dispositiv beschrieb – eine Konstellation aus Macht, Wissen und Subjektivierung. Nur, dass der Machtfaktor hier nicht mehr der Staat allein ist, sondern ein Netzwerk aus Aktivisten, Journalisten, Faktencheckern und Plattformarchitekturen, das sich in algorithmischer Stille zur semantischen Polizei erhebt. Der Desinformationskomplex, wie wir ihn hier skizzieren, ist kein Projekt mehr – er ist eine neue Ordnung.

VOLKSVERPETZER

Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen „Desinformation“ ist ein Netzwerk entstanden, das sich selbst legitimiert: NGOs wie Correctiv, Mimikama, Volksverpetzer und mediennahe Akteure wie Brodnig zirkulieren Begriffe, Narrative und Autoritätsansprüche in einem geschlossenen Kreislauf – ohne externe Korrektur, ohne Widerspruch. Es ist ein System der Wiederholung, nicht der Aushandlung.

Unsere Analyse basiert auf einer umfassenden Netzwerkauswertung von Bluesky-Beiträgen aus dem Jahr 2024/25, die den Begriff „Desinformation“ enthalten. Die Ergebnisse sind eindeutig: Eine kleine Gruppe zentraler Akteure dominiert das semantische Feld, verstärkt sich gegenseitig in Reichweite und Bedeutung, während Gegenstimmen strukturell marginalisiert bleiben. Die Öffentlichkeit wird so nicht pluralistischer, sondern homogener – kontrolliert nicht von einem Staat, sondern von einem Ensemble zivilgesellschaftlicher Wahrheitsverwalter.

I. Die unsichtbare Architektur – Wenn Netzwerke zu Wahrheitsmaschinen werden

Bluesky wurde nicht dafür geschaffen, was es heute ist. Das Protokoll hieß AT-Protocol, seine Idee: keine zentrale Moderation, keine proprietären Zugriffsbeschränkungen. Doch mit dem Exodus liberaler und linker Nutzer nach dem Wahlsieg Donald Trumps im November 2024 – als Reaktion auf den algorithmischen Wildwuchs bei Elon Musks X – verwandelte sich Bluesky in eine neue Heimat. Doch eine Heimat ist keine Utopie – und schon gar kein pluralistisches Forum. Sie ist ein Code. Ein Biotop. Und vor allem: eine Bühne für jene, die das Monopol auf das Sagbare beanspruchen.

Eine auf Graphen basierende Netzwerkanalyse des Diskurses über „Desinformation“ auf Bluesky zeigt, wie tief strukturiert, wie hierarchisch dieses neue Biotop tatsächlich ist. Akteure wie volksverpetzer.de (Opens in a new window) (124 direkte Verbindungen), mimikama.org (Opens in a new window), correctiv.org (Opens in a new window) oder brodnig.bsky.social (Opens in a new window) fungieren nicht als Diskursteilnehmer, sondern als strukturelle Gatekeeper. Sie sind algorithmische Achsen – Verteilerzentren für semantische Homogenisierung. Ihre Zentralität im Netzwerk – gemessen an Degree und Betweenness Centrality – bedeutet: Ohne sie fließt kaum etwas. Ihre Abwesenheit würde Diskurse zerschneiden. Ihre Präsenz bedeutet: Ordnung, aber keine Freiheit.

Diese Knoten operieren wie die neuralgischen Schaltstellen eines Nervensystems, das nicht auf Erkenntnis, sondern auf Disziplinierung angelegt ist. Denn wo alles über sie läuft, wird nicht mehr diskutiert, sondern kuratiert.

Die numerische Auswertung der Netzwerkmetriken offenbart eine drastische Konzentration diskursiver Macht. Der Degree, also die Anzahl direkter Verbindungen eines Knotens, reicht von einem Minimum von 1 bis zu einem Maximum von 124 – bei einem Median von gerade einmal 2. Das bedeutet: Eine winzige Minderheit hochvernetzter Akteure steht einer großen Masse marginal eingebundener Nutzer gegenüber. Noch auffälliger ist die Betweenness Centrality, deren Durchschnitt bei 4.631 liegt, der Median aber bei null – ein Indikator für die absolute Dominanz weniger Vermittlungsinstanzen, durch die fast der gesamte Informationsfluss kanalisiert wird. Die Closeness Centrality, ein Maß für die Nähe eines Knotens zu allen anderen, erreicht einen Höchstwert von 0,164, bleibt im Durchschnitt aber niedrig (0,064), was auf ein insgesamt träges Netzwerk mit nur wenigen zentralen „Hub“-Knoten schließen lässt. Die Eigenvector Centrality sowie der PageRank, beide Indikatoren für strukturellen Einfluss und Prominenz im Netzwerk, sind gleichermaßen entlarvend: Die Maximalwerte (0,587 bzw. 0,002) stehen in keinem Verhältnis zu den Medianen von null – die strukturelle Relevanz ist extrem ungleich verteilt. Schließlich zeigt der Clustering Coefficient, der das Maß innerer Gruppenvernetzung beschreibt, mit einem Median von null und einem Mittelwert von lediglich 0,012, dass die Plattform nur in kleinen, ideologisch geschlossenen Clustern koaguliert. Kurzum: Die Diskurslandschaft ist nicht nur hierarchisch, sondern fragmentiert – mit wenigen zentralen Akteuren als semantischen Gatekeepern und einer Mehrheit, die zwar spricht, aber nicht durchdringt.

II. Der semantische Bürgerkrieg – Wie Begriffe kolonisiert werden

Desinformation – das Wort selbst ist zur Totalmetapher geworden. Es ist nicht mehr Beschreibung, sondern Urteil. Kein analytisches Werkzeug, sondern moralischer Hammer. Und je häufiger es gebraucht wird, desto weniger bedeutet es. Die semantische Analyse des Jahres 2024 zeigt dies eindrucksvoll: Der Begriff wurde im Bluesky-Diskurs fast ausschließlich in Verbindung mit Akteuren wie der AfD, Trump, RT DE oder „Klimaleugnern“ verwendet. Hashtags wie #DesinformationAfD, #FakeNewsTrump oder #PropagandaDesinformation dominieren das Feld. Doch was fehlt, ist die Spiegelung.

Kein Wort zu Desinformation in den eigenen Reihen. Kein #CorrectivIrrtum, kein #ZDFFraming, kein #UkraineNarrativeCheck. Die Abwesenheit solcher Begriffe ist kein Zufall. Sie ist das Vakuum, aus dem Hegemonie besteht. Was als Desinformation markiert wird, ist stets das Andere. Das Nicht-Genehme. Das Ideologisch-Fremde.

Das erinnert an Carl Schmitts Freund-Feind-Denken – nur dass die Feindschaft heute nicht mehr politisch, sondern epistemisch ist. Wer anders denkt, denkt falsch. Wer falsch denkt, muss korrigiert werden. Oder gelöscht.

III. Die neuen Inquisitoren – NGOs als Wahrheitsbehörden

Correctiv, Mimikama, Volksverpetzer – sie alle nennen sich „zivilgesellschaftlich“, „unabhängig“, „faktenbasiert“. Doch ihre Netzwerke erzählen eine andere Geschichte. Correctiv ist über Jahre hinweg mit Millionen aus öffentlichen Quellen gefördert worden. Mimikama, einst als Anti-Hoax-Plattform gegründet, ist heute Partner in staatlichen Medienkompetenzprogrammen. Volksverpetzer fungiert als semantischer Bulldozer in einem Diskursfeld, das längst zur ideologischen Kampfzone mutiert ist. Ihre gegenseitigen Verbindungen – sichtbar in hohen Eigenvector- und PageRank-Zahlen – zeigen: Dies ist kein loses Bündnis. Es ist ein Kartell.

Und dieses Kartell agiert nach innen wie nach außen. Es klassifiziert, rahmt, isoliert. Ingrid Brodnig, aktiv auf Bluesky, spricht über „digitale Zivilcourage“ – doch ihr Diskurs kennt keine Radikalität, die die eigene Rolle hinterfragt. Vielmehr reproduziert er das ideologische Zentrum immer wieder: als moralisch alternativlos.

Die Konvergenz von Faktenprüfung, Journalismus und digitaler Intervention ist dabei kein Fortschritt. Sie ist der Rückfall in eine epistemische Feudalordnung. Wer korrekt ist, definiert nicht mehr das Argument, sondern das Netzwerk.

IV. Der Algorithmus als Dogma – Strukturreform der Öffentlichkeit

Was bedeutet es, wenn ein Akteur wie Volksverpetzer die höchste Closeness Centrality besitzt? Es bedeutet, dass er alle anderen schneller erreicht als jeder andere. Es bedeutet, dass Narrative sich über ihn verteilen – nicht über die Masse, sondern über die Mitte. Es bedeutet: Wahrheitsverteilung wird infrastrukturell.

In einer idealen digitalen Demokratie wäre das egal. Doch auf Bluesky gibt es kein Gegengewicht. Keine rechten Influencer mit vergleichbarer Reichweite. Keine libertären Faktenchecker. Keine konservativen Think Tanks. Die Verteilung ist nicht nur asymmetrisch. Sie ist monolithisch.

Die Plattform, einst als dezentral deklariert, ist zu einem zentralisierten Meinungskorridor geworden. Und schlimmer noch: zu einem Modell, das sich als Blaupause für andere versteht. Die Gefahr ist nicht, dass hier Desinformation verbreitet wird. Die Gefahr ist, dass nur eine bestimmte Form von Information überlebt.

V. Die Erosion – Von der Aufklärung zur digitalen Theokratie

Was passiert, wenn „Wahrheit“ nicht mehr Aushandlung, sondern Lizenz ist? Wenn sie nicht mehr diskutiert, sondern vergeben wird? Wenn die Verteidiger der Aufklärung selbst zu Hohepriestern werden? Dann erleben wir das, was der Desinformationskomplex auf Bluesky zeigt: eine digitale Theokratie, in der die Häretiker nicht mehr verbrannt, sondern gelöscht werden.

Der Skandal um JD Vance – dessen Account innerhalb von 20 Minuten nach einem kritischen Beitrag zur Genderpolitik verschwand – ist kein Einzelfall. Er ist Symbol. Und er zeigt: Hier geht es nicht um Schutz, sondern um Säuberung.

Moderationsanfragen auf Bluesky vervierzigfachten sich 2024. Doch während explizite Gewalt- und Missbrauchsinhalte oft unberührt blieben, wurden politische Meinungen entfernt. Der Komplex ist selektiv – nicht weil er versagt, sondern weil er funktioniert.

VI. Die Schlussfolgerung – Wir brauchen kein Wahrheitsministerium, sondern Dissens

Was Bluesky im Jahr 2024 zeigt, ist keine technische Fehlentwicklung. Es ist eine gesellschaftliche Entgleisung. Der Kampf gegen Desinformation wurde zur Doktrin, zur neuen Orthodoxie, zur digitalen Moralpolizei. Es geht nicht mehr um Wahrheit. Es geht um die Kontrolle über die Bedingungen, unter denen Wahrheit gesagt werden darf.

Der Desinformationskomplex ist kein Ausrutscher der Plattformökonomie. Er ist deren Essenz. Und solange Plattformen wie Bluesky nicht transparent, pluralistisch und demokratisch organisiert sind – solange NGOs wie Correctiv als epistemische Richter agieren dürfen –, ist die digitale Öffentlichkeit nicht frei. Sondern formatiert.

Am Ende dieser Analyse steht kein technisches Problem, sondern ein erkenntnistheoretischer Scherbenhaufen. Was sich unter dem Banner des „Kampfs gegen Desinformation“ formiert hat, ist keine offene Öffentlichkeit, sondern ein zirkuläres System diskursiver Selbstauszeichnung – ein geschlossener Kreislauf aus sich gegenseitig bestätigenden Akteuren, Organisationen und Begriffen, die gemeinsam bestimmen, was gesagt werden darf, und vor allem: was nicht.

Correctiv zitiert Mimikama, Mimikama teilt Brodnig, Brodnig verweist auf Volksverpetzer, Volksverpetzer auf Correctiv. Was wie Transparenz aussieht, ist in Wahrheit ein semantischer Kurzschluss – eine Öffentlichkeit ohne Außen, ein Diskursraum, der sich selbst als Wahrheit inszeniert und jeden Widerspruch als Störung seines moralischen Selbstbilds empfindet. Es ist diese radikale Selbstreferentialität, die den Desinformationskomplex so gefährlich macht: Er ist nicht repressiv, sondern resistent gegen Kritik. Er braucht keine Macht, weil er Wirkung hat. Keine Debatte, weil er Deutung liefert. Keine Vielfalt, weil er Konsens produziert.

Die systematische Vernetzung der beteiligten Akteure erzeugt nicht bloß eine ideologische Blase – sie erzeugt ein geschlossenes Ökosystem mit epistemischer Ausschlusskraft. Wer nicht Teil des Netzwerks ist, ist nicht Teil der Wahrheit. Wer Kritik übt, wird nicht widerlegt, sondern etikettiert: als Desinformant, Verschwörer, Rechter, Spinner. So entsteht keine Aufklärung, sondern ein digital-moralisches Kastensystem, in dem Deutung nicht mehr errungen, sondern verwaltet wird.

Die strukturellen Daten bestätigen, was sich intuitiv abzeichnet: Eine winzige Minderheit hochvernetzter Akteure dominiert den Diskurs, definiert die Begriffe und zementiert ihre eigene Position durch algorithmische Wiederholung. Die Mehrheit der Nutzer – formal anwesend, aber semantisch bedeutungslos – dient nur noch der Illusion von Partizipation. Das ist keine demokratische Öffentlichkeit. Das ist ein Echoraum mit Moderatorenteam.

Der Desinformationskomplex ist damit keine pathologische Randerscheinung, sondern ein Ausdruck unserer gegenwärtigen Informationskultur: nervös, moralisierend, zentralisiert – und unfähig zur Selbstreflexion. Seine Stärke liegt nicht in seiner Wahrheit, sondern in seiner Wahrheitsvergabe. Seine Gefahr nicht in dem, was er bekämpft, sondern in dem, was er nicht mehr zulässt: Zweifel.

Was wir brauchen, ist keine neue Wahrheitsinstanz, sondern eine radikale Rehabilitierung des Dissenses. Denn wer nur noch auf die Richtigen hört, hört irgendwann gar nichts mehr. Nur sich selbst. Und nennt das dann Aufklärung.

Methodische Grundlage: Eine Analyse des Diskurses als Netz

Die hier dargelegte Analyse basiert auf einer systematischen Auswertung sämtlicher öffentlich zugänglicher Posts auf der Plattform Bluesky im Zeitraum der letzten 365 Tage (Stichtag: Juli 2025), die den Begriff „Desinformation“ enthalten. Die Methodik folgt den Standards der computergestützten Netzwerkanalyse, wie sie im Umfeld der digitalen Sozialforschung zunehmend etabliert sind – mit einem Fokus auf Graphentheorie, semantischer Clusterbildung und Akteurszentralität.

Die Daten wurden mittels spezifischer Filter auf Knoten (User) und Kanten (Interaktionen, z. B. Zitationen, Erwähnungen oder Reposts) hin untersucht, die mit dem semantischen Feld um „Desinformation“ in Verbindung stehen. Die Begriffe wurden dabei nicht isoliert betrachtet, sondern kontextualisiert: Welche Bigramme (Wortpaare), welche Hashtags, welche semantischen Koalitionen treten gemeinsam mit „Desinformation“ auf? Welche Akteure sind strukturell miteinander vernetzt? Und vor allem: Wer kontrolliert diese semantischen Bahnen?

Zur Beantwortung dieser Fragen kamen klassische Metriken wie Degree Centrality (Reichweite), Betweenness Centrality (Vermittlerrolle), Closeness (Effizienz der Verbreitung) sowie der Clustering Coefficient (ideologische Kohärenz innerhalb von Clustern) zum Einsatz. Ergänzt wurde diese Netzwerkanalyse durch eine semantische Inhaltsauswertung der 1.000 relevantesten Posts, gruppiert nach ihrer PageRank-Relevanz und dem jeweiligen Diskursraum.

Das Ergebnis ist kein loses Meinungsbild, sondern die kartographierte Architektur eines diskursiven Machtgefüges – ein Informationspanoptikum, das seine Autorität nicht durch Gewalt, sondern durch Wiederholung, strukturelle Erreichbarkeit und semantische Monopolisierung stabilisiert. Es ist nicht die bloße Existenz von Netzwerken, die problematisch ist. Es ist ihre Unsichtbarkeit. Ihre Selbstverständlichkeit. Und ihre Immunität gegenüber Kritik.

Topic Exklusiv

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