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ADHS und Resonanz

Was fehlt mir an echtem Echo in meinem Leben?

Ein Text über Resonanz, seelische Taubheit – und den leisen Wunsch, mit dem richtigen "Ohr" gehört zu werden.

Stell dir vor, du rufst in einen Wald. Nicht laut. Nur ein „Hallo?“ – so, wie Kinder rufen, wenn sie nicht sicher sind, ob jemand da ist. Und es kommt nichts zurück.

Keine Stimme. Kein Rascheln. Nicht einmal ein Luftzug.

Also rufst du nochmal. Vielleicht klarer. Vielleicht leiser. Vielleicht mit einem Lächeln in der Stimme, damit es niemand falsch versteht.

Aber wieder: nichts.

Nach ein paar Versuchen verstummst du. Deine Stimme wird innerlich. Du richtest dich ein in einer Welt ohne Echo.

Und irgendwann fragst du dich nicht mehr: „Ist jemand da?“

Sondern: „Bin ich überhaupt da?“

Paradoxerweise sogar dann, wenn man sehr häufig "Aufmerksamkeit" erhielt, weil man zu viel, zu laut, zu intensiv fühlte, zu heftig reagierte oder impulsiv Wahrheiten ausgesprochen hat, die niemand hören wollte. Dann ist man zwar physikalisch gesehen nicht "allein", aber eben mit Resonanzstörungen.

Wenn wir als Kinder keine echten Antworten auf unser inneres Erleben bekommen, passiert etwas Seltsames. Wir wachsen weiter – aber nicht ganz. Wir lernen, zu funktionieren. Uns an anderen zu orientieren.

Wir werden gut darin, zu spüren, was andere brauchen. Aber immer schlechter darin, zu merken, was wir selbst brauchen.

Und manchmal, wenn wir es dann doch spüren – Trauer, Wut, Bedürftigkeit, Angst – dann fühlt sich das fremd an. Bedrohlich. Wie etwas, das uns selbst überrollt, weil niemand je mit uns gemeinsam dort war.

Viele Menschen, die psychisch leiden, tragen nicht nur Symptome mit sich. Sie tragen eine Geschichte der Resonanzlosigkeit. Sie sind keine defekten Menschen. Sondern Menschen, die irgendwann aufgehört haben zu rufen, weil nie jemand geantwortet hat.

Sie erzählen davon nicht laut. Sie zeigen es oft in ihrer Körpersprache. In ihrem Blick. In ihren Pausen. Oder in etwas, das als „Symptom“ gelesen wird: Rückzug. Antriebslosigkeit. Selbstverletzung. Manchmal auch der Wunsch, zu verschwinden – nicht, weil man sterben will, sondern weil man nirgends wirklich gelebt hat.

Und dann gibt es diesen Moment: Man fasst sich ein Herz. In einer Partnerschaft. In einer Therapie. In einer freundschaftlichen Begegnung. Man zeigt etwas. Sagt vielleicht: „Mir geht’s nicht gut.“ Oder auch nur: „Ich weiß gerade nicht weiter.“

Und was dann passiert, entscheidet manchmal über Monate.

Denn wenn du dann auf jemanden triffst, der wirklich da ist – im Sinne von offen, mitfühlend, unerschrocken – dann kann etwas Heilsames beginnen.

Aber wenn du wieder auf jemanden triffst, der selbst in Alarm geht, der dichtmacht, ablenkt, bagatellisiert – dann wiederholt sich das alte Drama. Dann wird das alte Echo-Defizit reaktiviert. Diesmal vielleicht noch schmerzhafter. Weil du es dir nicht mehr leisten kannst, naiv zu hoffen.

Es ist nicht selten, dass Menschen mit früher Resonanzentbehrung auf Partner:innen oder Therapeut:innen treffen, die selbst wenig innere Kapazität für emotionale Nähe haben. Sie wollen helfen, ja. Aber nur bis zu dem Punkt, an dem es in ihnen selbst zu viel wird. Dann schnappt ein Modus ein: Distanzierung, Kontrollieren, Bagatellisieren. Nicht, weil sie schlecht sind – sondern weil sie es selbst nicht besser gelernt haben.

Das Resultat für dich? Wieder kein Echo.

Und so geht die alte Schleife weiter: Ich zeige mich – du ziehst dich zurück. Ich sage, was weh tut – du erklärst es weg. Ich brauche Nähe – und du wirst sachlich. Ich frage nach Hilfe – und du gibst mir eine Methode. Ich sage, ich bin überfordert – und du sagst, das wird schon.

Und wieder steht man allein im Wald. Nur dass man sich diesmal zusätzlich schämt, es versucht zu haben.

Resonanz heißt nicht, dass jemand deine Probleme löst. Es heißt: Da ist jemand, der dein Inneres sieht – und nicht gleich erschrickt. Jemand, der bleibt, auch wenn du selbst gerade fliehen willst. Jemand, der sagt: „Ich weiß vielleicht nicht, was ich tun soll – aber ich bin da.“

Das ist so viel mehr als es klingt.

Und vielleicht ist das die Frage, die am tiefsten berührt: Wer bleibt, wenn ich mich nicht mehr zusammenreiße? Wer antwortet, wenn ich nicht funktioniere? Wer hört mich, wenn ich leise bin?

Wenn du diese Erfahrung nie gemacht hast, ist es kein Wunder, wenn dein Nervensystem Alarm schlägt, sobald du dich jemandem zumutest. Es ist auch kein Wunder, wenn du dann überreagierst – oder gar nicht mehr reagierst. Wenn dein Körper dich „rausnimmt“, weil du in ihm keine sichere Heimat mehr findest.

Und es ist kein Wunder, wenn du dich selbst verletzt – nicht, weil du dich bestrafen willst, sondern weil du dich überhaupt wieder spüren willst.

Oder wenn du – wie viele, die ich kenne – plötzlich überfordert bist, obwohl äußerlich „nichts los“ ist. Weil da endlich Raum ist – aber niemand mehr in dir, der ihn füllen kann.

Resonanz heilt nicht, indem sie dich repariert. Sondern indem sie dich zurückholt in den Moment, in dem du aufgehört hast zu glauben, dass du wichtig bist.

Wenn du das erkennst – in dir, in anderen, in der Therapie – dann wird etwas möglich: Ein neuer Ruf. Ein erstes vorsichtiges „Hallo?“ Ein Echo, das sich vielleicht ganz leise zurückmeldet. Nicht sofort. Nicht groß. Aber spürbar.

Und wenn du das einmal gespürt hast – eine ehrliche Antwort auf dein Inneres – dann wirst du sie wiedererkennen. Und vielleicht lernen, sie auch dir selbst zu geben.

In Form von Freundlichkeit. In Form von Nachsicht. In Form von: „Du darfst da sein – auch wenn niemand applaudiert.“

Und manchmal, ganz langsam, wirst du andere Menschen finden, die auch so rufen. Und vielleicht – irgendwann – antwortest du ihnen. Ganz leise. So, wie du es dir immer gewünscht hättest.

Diesen Text habe ich auch bei LinkedIn gespostet. Vielleicht kennst du Leute, die davon auch profitieren und hier den Newsletter noch nicht kennen?

Oder Du und andere neurodivergente, die die Aufklärungsarbeit über das social crowdfunding bei Steady unterstützen können und mögen?


Danke für Deine Unterstützung und Mitwirkung.

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