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Adaptive Aufmerksamkeit und ADHS

Ablenkbarkeit und Unaufmerksamkeits-Blindheit bei ADHS
Podcast (NotebookLM) zu einem neuen Modell des Aufmerksamkeits-Management zum Ausblenden von unwichtigen Informationen

Podcast dazu
🧠 Wie unser Gehirn entscheidet, worauf es achtet

Die Yale-Studie zur "adaptive computation" und warum sie für ADHS und Neurodivergenz so wichtig ist

„Ich will mich konzentrieren, aber mein Kopf springt ständig zu anderen Dingen.“


Diese Erfahrung machen viele Menschen mit ADHS, aber auch Autist:innen oder hochsensible Personen. Was oft wie Ablenkung aussieht, ist in Wirklichkeit ein Zeichen dafür, wie das Gehirn Reize verarbeitet und steuert. Eine aktuelle Studie der Yale University gibt uns dazu neue, spannende Einblicke.

📚 Was wurde erforscht?

Die Psycholog:innen Ilker Yildirim, Mario Belledonne u. a. wollten wissen:
Wie verteilt das menschliche Gehirn seine begrenzte Wahrnehmungskapazität in dynamischen, komplexen Situationen?

Das Team entwickelte dafür ein Modell namens „adaptive computation“, das beschreibt, wie wir Informationen verarbeiten, wenn mehrere Dinge gleichzeitig passieren – aber nur einige davon wichtig sind.

🔬 Wie sah das Experiment aus?

Die Forscher ließen Versuchspersonen acht bewegliche Objekte auf einem Bildschirm verfolgen. Vier davon waren als „Zielobjekte“ markiert – die sollten mit den Augen verfolgt werden. Währenddessen erschienen kurzzeitig kleine Lichtblitze (Reize), auf die reagiert werden sollte. Gleichzeitig variierten die Forscher:

  • Anzahl der Reize auf dem Bildschirm

  • Bewegungsgeschwindigkeit der Objekte

  • Komplexität der Aufgabe

Die Proband:innen sollten später auch bewerten, wie anstrengend die Aufgabe war.

🧠 Was ist Adaptive Computation (Adaptive Berechnung)?

Das Modell geht davon aus, dass unser Gehirn nicht alles gleichzeitig verarbeiten kann.
Stattdessen entscheidet es laufend, was wichtig ist – und setzt dafür mehr Rechenleistung ein. Unwichtige Reize werden dabei aktiv ausgeblendet.

Das Gehirn als Manager begrenzter Ressourcen: Es priorisiert wie in einem Unternehmen Aufgaben mit hoher Zielrelevanz.

📊 Was sind die zentralen Ergebnisse?

  1. Relevanz schlägt Auffälligkeit:
    Auch wenn ein Reiz visuell stark ist (z. B. hell blinkt), wird er ignoriert, wenn er nicht zum Ziel passt.

  2. Rechenleistung ist begrenzt:
    Wenn viele relevante Reize gleichzeitig auftreten, nimmt die Präzision ab – und die mentale Belastung steigt.

  3. Aufmerksamkeitsverteilung ist dynamisch:
    Menschen wechseln ihren Fokus mehrmals pro Sekunde, je nachdem, wie sich die Reize verändern.

  4. Das Modell konnte voraussagen, wo und wann die Aufmerksamkeit lag – und wie schwierig die Aufgabe empfunden wurde.

🧩 Warum ist das für ADHS und Neurodivergenz relevant?

Bei ADHS funktioniert genau dieser Mechanismus nicht zuverlässig:

Das erklärt:

  • Warum ADHS-Betroffene „alles gleichzeitig“ wahrnehmen

  • Warum Konzentration oft schnell zusammenbricht

  • Warum Fokus nur mit emotional starker Zielbindung gelingt

💡 Was bedeutet das für Alltag, Therapie und Coaching?

Für ADHS-Betroffene:

  • Aufmerksamkeit ist kein Lichtstrahl, sondern eine Rechenzentrale.

  • Zielklarheit hilft beim Reizfiltern.

  • Reizreduktion entlastet das Gehirn messbar.

Für Therapeut:innen und Coaches:

  • Konzentrationsprobleme sind oft keine Faulheit, sondern Ressourcenkonflikte.

  • Zielarbeit braucht mehr als kognitive Klarheit – sie braucht emotionale Aufladung.

  • Wenn–Dann-Pläne, Timeboxing, visuelle Ziele helfen, adaptive Steuerung zu entlasten.

🧭 Einordnung im Rahmen von Neurodivergenz

Die adaptive computation erklärt viele Phänomene, die bei ADHS, Autismus oder Hochsensibilität beobachtet werden:

NeurotypTypische Reaktionsmuster im ModellADHSReizfilterung schwach, Zielbindung brüchigAutismusReizfilter sehr eng, Fokus fixiert, wenig flexibelHochsensibleIntensivere Reizverarbeitung, schnellere Erschöpfung

Die Studie unterstützt also ein modernes, dynamisches Verständnis von Neurodivergenz – als Variation der Reizverarbeitung und Steuerungslogik.

Ich habe in meiner Skool-Community (für die Vorkämpfer-Unterstützer) dazu ein 40 seitiges elektronisches Workbook zu diesem Konzept und den daraus abgeleiteten Vorgehen im Coaching und Therapie zusammengefasst

📘 Quelle & Originaltitel

Yildirim, I., Belledonne, M., Scholl, B., Butkus, E. (2025):
„Adaptive computation as a new mechanism of dynamic human attention“
Psychological Review
Zusammenfassung bei: Neuroscience News, 27. Juni 2025 (Opens in a new window)



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