CL064 Türkei-Special: Zwischen Halbmond und Sternen
Die Episode über islamische Astronomie, osmanische Wissenschaft und moderne Forschung in der Türkei.
In der zweiten Sommerfolge nehmen euch Eva und Jana mit auf eine astrohistorische Reise durch die Türkei. Wir erkunden, welche Rolle der Himmel seit Tausenden von Jahren für Religion, Macht und Wissenschaft spielt – und warum der Halbmond mehr ist als ein Flaggensymbol. Außerdem werfen wir einen Blick auf aktuelle Entwicklungen in den Bereichen Bildung, Forschung und Wissenschaftsfreiheit.
Sommer-Special: Türkei
In unserer zweiten Sommerfolge reisen wir astronomisch und historisch durch die Türkei – ein Land, das wie kaum ein anderes die Verbindung zwischen Vergangenheit, Religion, Wissenschaft und Zukunft verkörpert.
Unsere Reise beginnt im Neolithikum mit Göbekli Tepe, einer archäologischen Sensation im Südosten der Türkei nahe Şanlıurfa. Die monumentale Tempelanlage ist rund 11.500 Jahre alt – gebaut lange vor den Pyramiden und sogar vor der Erfindung der Landwirtschaft. Ihre gewaltigen Steinkreise mit kunstvollen Tierreliefs deuten auf eine komplexe Gesellschaft mit spirituellem Leben hin, noch bevor sesshafte Kulturen entstanden. Manche Forscher vermuten sogar eine astronomische Bedeutung der Anlage: Die Ausrichtung einzelner Steine könnte mit Sternbildern wie den Plejaden in Verbindung stehen – doch bleibt vieles spekulativ, da schriftliche Quellen aus dieser Zeit fehlen.
Das osmanische Reich und die islamische Astronomie
Ein Sprung ins Mittelalter führt uns in die Zeit der islamischen Blüte, in der insbesondere Istanbul (damals Konstantinopel) zu einem bedeutenden Zentrum für Wissenschaft und Astronomie wurde.
Im 16. Jahrhundert, unter der Herrschaft von Sultan Murad III., zog die Stadt Gelehrte aus der gesamten islamischen Welt und darüber hinaus an. In den Medresen, religiös-wissenschaftlichen Schulen, wurde Astronomie neben Mathematik, Medizin und Theologie gelehrt. Die große Bibliothekslandschaft von Istanbul bewahrte nicht nur antikes Wissen, sondern brachte es durch Übersetzungen und Kommentare auch in neue Kontexte. Der Mond spielte dabei eine besondere Rolle, denn die islamische Zeitrechnung basiert auf einem Mondkalender: Der Beginn des Fastenmonats Ramadan sowie das Zuckerfest richten sich nach der Sichtung der ersten Mondsichel. Auch heute noch gibt es hitzige Debatten, ob traditionelle Sichtungsmethoden oder moderne Technologien wie Teleskope und Software die religiöse Praxis bestimmen sollten.
Der "Halbmond mit Stern", heute auf der türkischen Nationalflagge zu sehen, ist eng mit dieser astronomischen Symbolik verknüpft – wenngleich er kein originär religiöses, sondern vielmehr ein politisches Symbol des Osmanischen Reiches war. Besonders eindrucksvoll zeigt sich der wissenschaftliche Ehrgeiz des Osmanischen Reichs im "Taqi ad-Din Observatorium", das 1577 in Istanbul gegründet wurde. Taqi ad-Din Muhammad ibn Ma’ruf, einer der bedeutendsten Astronomen seiner Zeit, führte dort hochpräzise Himmelsbeobachtungen durch, berechnete Planetenbahnen und entwickelte verbesserte astronomische Tabellen. Damit war das Observatorium auf Augenhöhe mit den großen europäischen Einrichtungen jener Epoche. Doch sein Schicksal war tragisch: Bereits 1580 wurde es nach religiöser Kritik und einem als schlechtes Omen gedeuteten Kometen zerstört – ein herber Rückschlag für die osmanische Wissenschaft. Während in Europa zeitgleich Tycho Brahe und später Johannes Kepler die moderne Astronomie einläuteten, endete in Istanbul ein vielversprechendes Kapitel.
Astronomie in der modernen Türkei
Heute ist die Türkei wieder aktiver Teil der globalen Wissenschaftsgemeinschaft. 2018 wurde die Türkische Raumfahrtagentur (TUA) gegründet, und auch moderne Observatorien wurden eingerichtet. Gleichzeitig bleibt das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik angespannt. Seit dem Putschversuch 2016 wurden Tausende Akademiker entlassen oder strafrechtlich verfolgt – insbesondere jene, die sich kritisch gegenüber der Regierung äußerten. Jüngste Reformen wie das „Turkey Century Education Model“ stoßen ebenfalls auf Kritik, da sie einen stärkeren Fokus auf religiöse Werte legen und eine mögliche Einschränkung säkularer Bildung befürchten lassen.
Die astronomische Geschichte der Türkei ist also nicht nur ein Blick in den Himmel, sondern auch ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen.
Unterstützt Eva
Die Tour de France neigt sich dem Ende zu, aber wer Eva Tour de France- "Pickerl" schenken oder tauschen möchte, darf sich gerne melden!