Kolumne: Am Herd der Wahrheit
Generalverdacht in der Messertasche – Bin ich Koch oder Krimineller?
Wenn gut gemeinte Politik zur Farce wird und das Santoku zur Tatwaffe.
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Ein Gastbeitrag aus der Küche.
Es gibt ein Geräusch. Ein leises, fast andächtiges s-c-h-a-l-i-n-g, wenn frisch geschliffener, deutscher Stahl auf japanischem Wetzstein tanzt. Es ist das Geräusch von Präzision, von Handwerk, von Leidenschaft. Es ist das erste Geräusch meines Arbeitstages. Meine Messer sind keine Werkzeuge. Sie sind eine Verlängerung meiner Hände, meines Willens. Mit dem Tourniermesser verwandle ich eine Karotte in ein Kunstwerk. Mit dem Santoku filetiere ich einen Fisch mit der Ehrfurcht, die das Lebewesen verdient.
Und bald, so scheint es, bin ich damit ein Fall für das Ordnungsamt. Oder schlimmer.
Deutschland hat ein Problem. Das ist unübersehbar. Die Nachrichten sind voll von Gewalt, oft jung, oft sinnlos, oft mit einer Klinge in der Hand. Und wie reagiert der Staat in seiner ganzen, oft hilflosen Pracht? Er erfindet die „Messerverbotszone“. Ein magischer Kreis, gezeichnet auf eine Landkarte, in dem das Böse gefälligst stumpf zu bleiben hat.
Was für eine brillante Idee. Ich stelle mir den Aushang schon bildlich vor: „Liebe Kriminelle, das Mitführen von Stichwaffen ist in diesem Bereich ab sofort untersagt. Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Ich bin sicher, das wirkt.
Aber was ist mit mir? Was ist mit dem Heer der Köche, der Caterer, der Auszubildenden, die nach einem 14-Stunden-Tag mit ihrer sorgsam gepflegten Messertasche durch die nächtliche Stadt nach Hause eilen? Werden wir bald an jeder Ecke von übereifrigen Ordnungshütern angehalten, die mit der gleichen Kennermiene unser Schälmesser beäugen wie ein Drogenfahnder ein Päckchen Puderzucker?
Ich male mir die Szene in meinem Kopfkino aus, gewürzt mit einer Prise schwarzem Humor:
„Guten Abend, allgemeine Personenkontrolle. Was haben Sie in dieser verdächtigen Rolltasche?“ „Guten Abend, Officer. Mein Handwerkszeug. Ein 20er Kochmesser, ein flexibles Filiermesser, ein Santoku mit Kullenschliff...“ „Aha! Ein ganzes Arsenal also. Wofür brauchen Sie so etwas denn um diese Uhrzeit?“ „Ich habe gerade ein 8-Gänge-Menü für eine Hochzeitsgesellschaft zubereitet. Und mit dem Brotmesser schneide ich ungern Zwiebeln, das gibt unsaubere Würfel.“ Der Beamte nickt langsam, die Hand am Gürtel. „Verstehe. Unsaubere Würfel. Ein klassisches Motiv.“
Das ist die absurde Konsequenz einer Politik, die nicht die Täter, sondern das Werkzeug ins Visier nimmt. Es ist der Versuch, einen gesellschaftlichen Flächenbrand mit einer bürokratischen Wasserpistole zu löschen. Was kommt als Nächstes? Ein „Spitze-Gegenstände-Führerschein“ für Sommeliers, damit sie den Korkenzieher legal führen dürfen? Eine Registrierungspflicht für Zimmermannsäxte?
Verstehen Sie mich nicht falsch: Jedes Opfer von Gewalt ist eines zu viel. Das Problem ist real und muss mit aller Härte an der Wurzel bekämpft werden. Doch diese Wurzel liegt nicht in der Solinger Stahlwarenindustrie. Sie liegt in gescheiterter Integration, in Perspektivlosigkeit, in Gewaltverherrlichung – Themen, die so komplex sind, dass ein einfaches Verbotsschild sie nicht einmal ankratzt.
Während man also Debatten über die Klingenlänge von Taschenmessern führt, lachen sich die, die wirklich Böses im Schilde führen, ins Fäustchen. Sie werden andere Wege und andere Waffen finden. Und ich? Ich stehe demnächst vielleicht vor der Wahl: Entweder ich schmuggle meine eigenen Arbeitsgeräte wie ein Schwerverbrecher zum nächsten Catering-Job oder ich versuche, eine Tomate mit dem Löffel zu schneiden.
Beides wäre eine Kapitulation. Vor der Gewalt – und vor der Dummheit.