Grüße aus Tokio
Von Hasnain Kazim - Japan / Maja T. / Urlaubsgründe / Lebenswerteste Städte / Zwiebelarmband
Liebe Leserin, lieber Leser,
heute sende ich Ihnen herzliche Grüße aus Tokio. Ich bin zwar schon viel rumgekommen in der Welt, war aber noch nie zuvor in Japan. Dabei war dieses Land für mich immer schon Sehnsuchtsort. Als Kind habe ich Zeichentrickserien wie “Captain Future” und “Heidi” geschaut - und wusste, dass das japanische Produktionen sind. In meinem Umfeld fanden viele japanische Automarken gut, sie galten jedenfalls als qualitativ gut. Und dann die vielen Elektronik- und Kameraprodukte: Sony, Nikon, Sanyo, Canon, Casio, Nintendo, et cetera…

Das ist Kindheit. Heute ist es etwas anderes. Japan zählt nämlich, neben ein paar anderen Ländern wie Deutschland und die USA, zu den großen Schreibwarenherstellern der Welt. Wegen der Schriftzeichen waren in Japan Schreibmaschinen nicht so verbreitet wie bei uns in Europa und Amerika, erst Computer führten zur maschinellen Verarbeitung von Schrift. Sprich: Viel länger als bei uns war handschriftliche (Geschäfts-)Korrespondenz in Japan üblich. Bis heute sind hier Kalligraphen hoch angesehene Künstler.
Sie können sich vorstellen, dass deshalb japanische Hersteller von Füllhaltern, Tinte, Papieren nach wie vor führend sind und dass es hier ein riesiges Angebot gibt. Es gibt hier große und kleine, aber immer feine Schreibwarenhandlungen und tolle Füllfedermacher, die wahre Meister ihres Faches sind. Ich werde hier also, so weit meine finanziellen Mittel es ermöglichen, einkaufen gehen! Ansonsten möchte ich, gemeinsam mit meinem Sohn, durchs Land reisen, es mir anschauen und es kennenlernen.
Und dann diese das wunderbare Essen, die sehr andere Sprache, die Kultur(en)… Ich bin sehr gespannt! Mehr dazu aber ab nächster Woche, in bin nämlich erst gestern, am Samstag, in Japan angekommen.
Ach Maja…
Sie haben sicher die Geschichte von der 24-jährigen Maja T. gehört, die in Ungarn in Haft sitzt und der vorgeworfen wird, als Mitglied einer linskextremistischen Terrororganisation an Gewalttaten teilgenommen zu haben, gegen tatsächliche oder mutmaßliche Rechtsextremisten. Nun ist sie im Dezember 2023 in Berlin deswegen verhaftet und im Juni 2024 nach Ungarn ausgeliefert worden. Die Auslieferung erfolgte, obwohl das Bundesverfassungsgericht das untersagt hatte - eine Entscheidung, die wenige Minuten zu spät kam.
Mich treibt diese Geschichte um, vor allem der Umgang damit, denn ich bin überzeugt, so, wie es derzeit geschieht, stärkt es wieder rechtsextreme politische Kräfte.
Ich finde es richtig, dass man sich dafür einsetzt, dass Maja T. aus Ungarn zurück nach Deutschland gebracht und vor ein hiesiges Gericht gestellt wird, das ihr dann den Prozess macht. Was ich aber überhaupt nicht verstehe, sind diese “Free Maja!”-Forderungen. Sorry, ihr werden übelste Gewalttaten vorgeworfen.
Es gibt ein Video, auf dem eine Tat in Budapest zu sehen ist. Es ist unklar, ob sie dabei ist, aber die Tat als solche ist grausam und brutal. Man sieht dort einen Überfall, eine Gruppe von Vermummten schlägt brutal auf einen Mann ein und tritt weiter auf ihn ein, als er schon auf dem Boden liegt. Man sieht förmlich, dass die Täter den Tod des Mannes in Kauf nehmen. Es hieß, das sei möglicherweise gar kein Rechtsextremist, irgendwo las ich, es handele sich um einen “Touristen aus Portugal”, aber ganz ehrlich: Das ist völlig egal.
Denn so sehr ich Rechtsextremisten verachte und mit Worten bekämpfe, so sehr man gegen sie politisch und wirtschaftlich vorgehen kann, so wenig ist akzeptabel, dass man physische Gewalt gegen sie ausübt. Man darf auch Islamisten kritisieren, aber es ist inakzeptabel, wenn Neonazis auf sie einschlagen, ihre Unterkünfte anzünden, sie durch die Orte jagen, und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob es irgendwelche Migranten sind oder tatsächliche Islamisten. Man darf alle Politiker kritisieren und doof finden, aber es geht nicht, dass man sie schlägt, mit Waffen bedroht, Gewalt gegen sie ausübt. Man darf Karikaturisten und Religionskritiker kritisieren, kann ihre Zeitschriften und Bücher boykottieren, kann Abos kündigen, demonstrieren, aber nie, nie, nie ist physische Gewalt gegen sie akzeptabel.
Warum kommt der Einsatz für Maja T. so rüber, als sehe man ihr Gewalt nach, weil sie sich ja gegen die Richtigen wende? “Free Maja!”? “Free”? Echt jetzt? Unschuldsvermutung wie bei allen Angeklagten - ja natürlich! Aber wie wär’s, wenn man ihr erst mal den Prozess macht, die Schuld beweist, das Urteil abwartet - und sie dann, wenn schuldig, bestraft? Was denn sonst? Und so lange Fluchtgefahr besteht oder auch die zur Last gelegte Straftat so schwerwiegend ist wie in diesem Fall, ist Untersuchungshaft auf jeden Fall angemessen. Wie bei jedem mutmaßlichen Täter. “Oh, sie musste beim Prozess Hand- und Fußfesseln tragen!”, beklagen manche. Ja. Müssen andere Leute, denen derartige Gewalttaten vorgeworfen werden, auch. Aus Gründen.
Maja T. ist eine Transfrau, und bei der Prozesseröffnung in Budapest im Februar 2025 machte sie daraus eine einzige Show zum Thema Transfeindlichkeit und Homophobie in Ungarn. Das ist ein wichtiges Thema und tatsächlich ein Problem, umso besser, dass vorvergangenen Samstag in Budapest fast 200.000 Menschen bei der Pride-Parade waren, obwohl Viktor Orbán sie untersagt hatte.
Nur: Der Prozess hatte und hat null damit zu tun. Es geht kein Stück um Transfeindlichkeit und Homophobie, sondern einzig darum, dass ihr vorgeworfen wird, mit einer Schlagwaffe auf einen Menschen eingeschlagen zu haben, Verletzungen, vielleicht auch seinen Tod in Kauf nehmend. Dazu aber verlor sie: kein einziges Wort. Kein Zurückweisen der Schuld, aber auch kein Geständnis, einfach: Schweigen zu den Vorwürfen und stattdessen eine seltsame Ich-werde-hier-diskriminiert-Show. Und einige Medien und Politiker fielen tatsächlich auf dieses Ablenkmanöver herein. Was soll das?
Und dann lese ich, dass Politiker der Linken und Grünen sie besuchen, dass jemand schreibt, es sei doch nicht “mit Hämmern” eingeschlagen worden, sondern “mit Teleskopschlagstöcken”. Herrje. Das mag juristisch von Relevanz sein, bei der Erörterung der Frage, welche Verletzungen in Kauf genommen und herbeigeführt wurden; für die allgemeine Bewertung ist das: irrelevant.
Da ich mehrere der Leute kenne, die sich für Maja T. in der einen oder anderen Form einsetzen, habe ich sie kontaktiert und gefragt, warum sie das tun. Alle sagten, es ginge ihnen um Rechtsstaatlichkeit, darum, ihr einen fairen Prozess zu ermöglichen, und zwar in Deutschland, nicht in Ungarn. Das kann ich nachvollziehen. Allerdings handelt es sich hier um ein allgemeines Problem der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn, nicht um ein Maja-T.-Problem.
Ich unterstelle diesen Leuten, die ich, wie gesagt, größtenteils kenne, keine Nähe zu Linksextremisten. Und doch bleibt bei mir der Eindruck, dass solch ein Einsatz für den Rechtsstaat in dieser Sichtbarbeit und mit diesem Engagement ausbliebe, wenn es sich um einen Rechtsextremisten oder Islamisten handelte, dem man eine Gewalttat vorwirft. Denen ließe man, da bin ich mir sicher, keine Ablenkmanöver durchgehen wie bei Maja T. Für die ginge man auf keine Demo. Die besuchte man nicht im Gefängnis. Zurecht, ich könnte es verstehen. Wieso dann hier? Bei der Beurteilung der Tat, die ihr vorgeworfen wird, spielt nämlich dies absolut keine Rolle: ihr Geschlecht, ihre sexuelle Orientierung, ihre geschlechtliche Identität.
Warum ich Urlaub brauche…
Ich sah und las von einem Musikfestival in der südenglischen Kleinstadt Gastonbury, bei dem ein, nun ja, Musiker namens Bob Vylan “Death, death to the IDF!” skandierte, den israelischen Soldaten also den Tod wünschte - und Tausende Zuhörer schrien mit. Uff.
Ich las im Netz den Kommentar der Aktivistin Mariam Ahmed:
“#Staatsräson - Ich bekomme immer mehr den Eindruck, dass Rassismus und die Auslöschung Nicht-Weißer, insbesondere Muslime und Schwarze, die eigentliche Staatsräson in Deutschland ist. Das spricht keiner so aus. Man handelt einfach danach. Israel setzt das um, deshalb unterstützt man mit Waffen und erklärt es zudem als ‘Drecksarbeit für uns’.”
Das muss man sich mal vorstellen: Da wirft jemand uns als Deutschland - und damit auch mir - öffentlich pauschal mal „Auslöschung Nicht-Weißer“ als „Staatsräson“ vor. Uff.
Ich freue mich über die Sonne und den Sommer - und stelle mit keinem Wort den Klimawandel infrage und tue es auch gedanklich nicht, im Gegenteil, die Zahlen sind besorgniserregend. Aber schon ein Ausdruck der Freude über einen Tag am Wasser, über ein Eis oder über das Wetter in Japan führt dazu, dass einige wenige, aber sehr laute Typen im Netz einen überhäufen mit dem Vorwurf, ein “Klimaleugner” zu sein oder “das Problem nicht ernst zu nehmen”. Uff.
Tatsächlich laufe ich nicht den ganzen Tag humorbefreit mit Mundwinkeln nach unten herum, sehe nicht in jedem Kram “Mikroaggression”, bin nicht permanent “getriggert”, “verletzt”, “traumatisiert”, sondern finde, man muss handeln, aber auch Gottvertrauen haben und Vertrauen in seine Mitmenschen. Und nun?
So lebenswert!
Wien war ja jahrelang auf Platz eins der lebenswertesten Städte der Welt, in unterschiedlichen Umfragen. Eine der bekanntesten: die des britischen Magazins “Economist”. Diesmal ist Wien nun auf den zweiten Platz gerutscht, das ist in meiner Heimatstadt natürlich ein Politikum! Auf Platz eins jetzt: Kopenhagen (sicher verdient), auf Platz drei: Zürich (das kann ich nicht beurteilen, ich kann mir diese Stadt einfach nicht leisten; ich war dort mal eine Kleinigkeit essen, und als die Rechnung kam, dachte ich, die wollten mir das ganze Restaurant verkaufen). Auf Platz sieben: Osaka, da bin ich nun demnächst und freue mich!
Am anderen Ende der Liste kenne ich mich übrigens auch aus: Auf Platz drei der am wenigsten lebenswerten Städte ist Dhaka in Bangladesch, wegen der massiven Umweltverschmutzung, der katastrophalen Gesundheitsversorgung und des schlimmen Verkehrs; eigentlich bedauerlich, ich mag Dhaka nämlich. Platz vier kenne ich noch besser: Karatschi, Pakistan. Was soll man dazu noch sagen? Sicher verdient, auch wenn es natürlich auch dort tolle Orte gibt. Auf Platz eins übrigens: Damaskus, auf Platz zwei Tripoli in Libyen. Dass keine einzige afghanische Stadt unter den Top Ten vorkommt, weder Kabul noch Kandahar, verwundert mich.
Zwiebelarmband
Neuerdings stoße ich immer häufiger auf Werbung für Armbänder, mit denen man den Weg eines Wals, eines Pinguins, eines Hais oder einer Schildkröte nachverfolgen kann. Man soll sich, das ist die Botschaft, dann mit dem jeweiligen Tier verbunden fühlen. Eine Art gedankliche Standleitung mit einem Viecherl irgendwo da draußen in der großen weiten Welt.


Ich bin mir sicher, dass das in der heutige Welt mit den oben beschriebenen Beispielen an Seltsamkeiten ein erfolgreiches Produkt ist - auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Endlich etwas, das einen emotional erfreut!
Daher erwäge ich, Armbänder in Form von Zwiebelringen auf den Markt zu bringen, je nach Preisklasse aus Silber, Gold oder Platin, versehen mit einem kleinen Herzlämpchen, das immer dann aufleuchtet, wenn ich ein Zwiebelmettbrötchen esse. Ich rechne damit, dass viele Fans das kaufen und sich mit mir verbunden fühlen werden.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag, hier in Tokio bin ich ja schon sieben Stunden weiter als Deutschland und Österreich, und sende herzliche Grüße,
Ihr Hasnain Kazim
P. S.: Wenn Sie mir einen Sencha Tee oder ein Sushi spendieren wollen, werden Sie gerne Mitglied. Und wenn Ihnen die “Erbaulichen Unterredungen” gefallen und Sie sie nicht mehr verpassen wollen, abonnieren Sie sie gern und empfehlen Sie sie weiter. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass die Zahl der Leserinnen und Leser kontinuierlich wächst!