🧩 Teil 2: Moderne kaputt – wer repariert?
Willkommen im Servicebereich der Geschichte. Mit unserem Podcast Episode 6: Humor am Rande des Erdbeerfelds. Die große Erzählmaschine der Moderne stottert, das Fortschritts-Navi piept im Tunnel, und auf dem Beifahrersitz sitzt Andreas Reckwitz (hier zu Teil 1) (Opens in a new window)mit einer Mischung aus Schrecken und Sachlichkeit: „Wir haben ein Problem.“ (Finde hier die wissenschaftliche Analyse von A. Reckwitz „Verlust” im nuPerspective Labor (Opens in a new window))
Aber keine Panik – noch läuft der Motor. Fragt sich nur: Wohin eigentlich? Und was genau soll da bitte repariert werden? Lauscht unserem Gespräch…
Nun: 32 Min. eins auf die Ohren und dann das folgende 7-Min.-Epos als Rahmen dazuholen :-) und am Ende noch ein Heinz Erhard Gedicht… Nein. Doch. Och.
💣 1. Diagnose: Die Moderne ist durch
Reckwitz ist kein (strenger) Apokalyptiker, auch wenn das Wort fällt. Kein Trumpler. Kein Extinction-Rebell. Er ist ein kulturdiagnostischer Chirurg – und seine Diagnose ist klar: Wir haben das Versprechen der Moderne verspielt. Fortschritt, Wohlstand, Emanzipation? Klingt gut, ist aber – wie das WLAN auf dem Land – nur theoretisch stabil.
Stattdessen:
Soziale Spaltung,
Burnout durch Selbstverwirklichung,
Klimakollaps mit Premium-Features.
Willkommen in der Spätmoderne – oder wie Reckwitz es diplomatisch nennt: „Eine Moderne im Modus des Verlusts“. Klingt wie ein Betriebssystemfehler, ist aber real: System Error 404 – Sinn nicht gefunden.
🚦 2. Drei Wege aus dem Schlamassel
Und wie reagieren wir auf diesen kollektiven Kontrollverlust?
Option 1: Verdrängung
Läuft doch alles! Weiterwachsen! Noch ’ne App! Noch ’ne Wahl! Wer braucht schon Sinn, wenn man Streaming hat?
Option 2: Kollaps
Der große Reset, aber bitte mit Kulturkampf. Zurück zur Nation, zur Ordnung, zur wahren Identität – oder wenigstens zum Kaminfeuer im Tiny House. Hauptsache klar.
Option 3: Reparatur
Hier winkt Reckwitz: Leute, lasst uns das mal mit System flicken. Neue Werte, neue Institutionen, neue Erzählung. Soziale Kohäsion 2.0. Kein Zurück, kein Weiter-so – sondern kluges Weiterdenken. Spoiler: Das klingt gut. Ist aber tricky.
🛠️ 3. Die große Flickschusterei: Was meint „Reparatur“?
Reparatur ist hier kein Handwerk, sondern kulturelle Traumatherapie. Also etwa so:
Wir trauern um verlorene Sicherheiten.
Wir bauen neue „Zukünfte“, möglichst nachhaltig.
Wir reden wieder miteinander. (Ja, auch mit Onkel Egon.)
Wir investieren in Resilienz, Gemeinsinn, Bildung.
(Klingt wie die SPD in gut.)
Die Leitfrage: Wie halten wir das alles aus – ohne durchzudrehen oder abzudriften?
Für die PAUSE ein Liedchen: Raketenstart (2018)
https://youtu.be/_2tWK9gcQCM?feature=shared (Opens in a new window)🤨 4. Problemchen: Resilienz ist auch nur Yoga für Gesellschaften
Reckwitz’ Reparaturansatz ist solide – aber auch etwas… bürgerlich-brav? Resilienz als Ziel? Echt jetzt?
Resilient ist der Teddybär, der nach 30 Waschgängen noch lächelt.
Aber was, wenn die Welt nicht nur gestreichelt, sondern radikal neu gedacht werden will?
Hier kommt Nassim Taleb ins Spiel:
Antifragilität heißt das Zauberwort.
Nicht einfach stabil bleiben – sondern besser werden durch Krisen.
Nicht „zurück zur Normalität“ – sondern vorwärts zu einer Bewältigungsmethode, die mit neuen Komplexitäten umgehen kann.
Nicht Flickwerk – sondern Mutation.
Mit anderen Worten: Nicht nur die Fenster abdichten – sondern endlich ein neues Haus entwerfen.
🌱 5. Und jetzt? Zwischen Reckwitz und der realen Revolution
Reckwitz bringt uns bis zur Türschwelle. Aber durchgehen müssen wir selbst.
Er zeigt uns die Sackgassen (Verdrängung, Kollaps) und skizziert einen Weg (Reparatur). Doch der wirklich spannende Punkt bleibt offen:
Wie entsteht ein neues kulturelles Betriebssystem, das nicht wieder dieselben Fehler recycelt – nur in Grün oder Woke oder Digital?
Hier beginnt der Raum, den wir Metamoderne nennen:
voller Ambivalenz, aber ohne Zynismus,
voller Hoffnung, aber ohne Kitsch,
voller Spiritualität, aber ohne Jenseitsvertröstung.
Reckwitz hat den Schraubenzieher.
Aber für den Quantensprung brauchen wir andere Werkzeuge – Mythos, Mystik, Metaperspektive. Oder so…
🙏 6. Transzendenz fehlt. (Und das ist kein Luxusproblem.)
Was Reckwitz völlig ausspart:
Spiritualität,
Transzendenzkompetenz,
Ritualwissen,
Weisheitstraditionen.
Kurz: Theologie, verstanden als Kultivierung von Tiefe, Wunde, Verwandlung.
Ohne das bleibt seine Reparatur eine technokratische Restaurierung mit besserem WLAN.
Aber was, wenn wir in Wahrheit ein neues Narrativ brauchen? Eines, das den Verlust nicht nur anerkennt, sondern transformiert?
➡️ Teaser für Teil 3: Das neue „Evangelium der kaputten Dinge” – was könnte das sein?
Das bringen wir dann in Teil 3 nächste Woche …
Die Moderne ist keine Baustelle mehr – sie ist ein Trümmerfeld, aber mit Potenzial? Oder auch nicht?
Und genau hier setzt die theologische Metamoderne an:
Die Wiederkehr der Unheilspropheten oder Apokalyptiker.
Transchristentum als apokalyptische Christentumsversion, aber eben ohne fundamentalistisch in die Transzendenz der Jenseitigkeit zu escapen. Hübsch hier geblieben.
Spirituelle Antifragilität, grounded in History, Anti-Hopium-Evangelium und Holy Shit.
Herzlichst euer Duo Helge und Ann Kristin
P.S. Noch ein Gedicht von Heinz Erhard „Flecken” (Reziertert von Ann Kristin Reuter, 4 Min.)